„Ich weiß. Aber ich frage mich, wie deine Entscheidung wohl ausgefallen wäre, wenn die Kugel nicht Ahlert, sondern mich getroffen hätte. Eine Antwort wird es auf diese Frage nie geben.“
„Es ist wirklich verrückt, solche Überlegungen anzustellen“, sagte Tilla Deltgen.
„Und sinnlos“, sagte Elmar Spira. „Weil die Würfel gefallen sind.“
Sie schwiegen eine Weile, und Tilla beschäftigte sich in Gedanken mit Volker.
Sie erreichten die Wiesen-Klinik, und Tilla war so aufgeregt, dass sie beinahe vergessen hätte, sich von Elmar zu verabschieden.
„Darf ich auf dich warten?“, fragte er.
„Lieber nicht“, sagte die Frau.
„Wir könnten nachher noch irgendwo zusammen Kaffee trinken.“
„Nein, Elmar, das möchte ich nicht“, entgegnete Tilla.
Er zuckte mit den Schultern. „Dein Wunsch ist mir wie immer Befehl.“
„Danke fürs Herbringen“, sagte sie und stieg aus.
Es stimmte Elmar Spira traurig, zu sehen, wie Tilla auf den Eingang der Wiesen-Klinik zueilte. Sie konnte es nicht erwarten, den geliebten Mann zu sehen.
Der junge Lehrer kehrte um, und er beneidete Volker Ahlert um sein großes Glück.
19
Alfons Eppler war rücksichtsvoll und ließ das Paar allein. Der Patient ging mit seinem Stiefsohn Waldemar in den Klinikpark. Die beiden Männer setzten sich in der Sonne auf eine Bank.
Tilla begann im Krankenzimmer zu weinen.
Volker Ahlert schüttelte den Kopf. „Nicht weinen, Tilla.“
„Du... du bist so blass, wirkst so müde ... und abgenommen hast du auch..
„Das kommt alles wieder in Ordnung. Ich befinde mich auf dem Wege der Besserung.
„Als ich hörte, was passiert war, hat mich vor Schreck fast der Schlag getroffen“, sagte Tilla.
„Gib mir deine Hand“, bat der Patient.
Sie gab sie ihm. Seine Hand war kraftlos und kühl.
„Danke, Tilla“, sagte er leise.
„Wofür?“, fragte sie verwirrt.
„Für die Tränen.“
Sie wischte sie mit dem Handrücken ab. „Deine Tränen verraten mir sehr viel“, sagte Volker. „Sie öffnen mir die Augen, lassen mich erkennen, was mir bisher verborgen blieb.“
„Oh, Volker... Volker..Sie hätte ihn am liebsten umarmt und geküsst.
„Ich werde wieder gesund“, versprach er ihr. „Ich beeile mich damit. Ich verspreche es dir.“
„Damit würdest du mir eine riesengroße Freude machen“, sagte die Frau mit tränenerstickter Stimme.
„Was uns verbindet, ist mehr als Freundschaft, Tilla, habe ich recht?“
Ihr versagte die Stimme. Sie nickte nur.
„Ich liebe dich, Tilla.“ Seine Hand drückte die ihre schwach.
Tilla schluckte. „Ich liebe dich auch, Volker“, gestand sie.
„Wir hätten wohl nicht den Mut gehabt, es uns jetzt schon einzugestehen, wenn dieser Gangster nicht auf mich geschossen hätte.“
„Sag jetzt bloß nicht, wir sollten ihm dafür dankbar sein“, meinte Tilla Deltgen. Sie ließ Volkers Hand nicht los. Elmars Name drängte sich in ihre Gedanken.
Sollte sie ihn jetzt schon erwähnen? Nein, jetzt war nicht der richtige Augenblick dafür. Tilla wollte eine andere, eine bessere Gelegenheit abwarten.
„Wenn ich entlassen werde, musst du dich täglich um mich kümmern“, sagte Volker lächelnd.
„Das werde ich“, versprach sie. „Ganz bestimmt.“ Sie beugte sich über ihn und küsste vorsichtig seinen Mund.
„Wir werden sehr glücklich sein, nicht wahr?“
„Niemand wird glücklicher sein als wir beide“, entgegnete die Sekretärin.
„Es ist so schön, lieben zu dürfen und geliebt zu werden“, sagte Volker.
„Bitte werde ganz schnell gesund, ja? Ich möchte, dass du mich fest in deine Arme nimmst und nie mehr loslässt.“
„Das werde ich tun, schon bald. Ich werde dich so fest an mich drücken, dass dir ganz schwindelig wird.“
„Das macht nichts.“ Sie lachte unter Tränen.
„Wir haben eine wundervolle Zukunft vor uns, mein Schatz.“
„Ja“, antwortete Tilla glücklich. „Ja, mein Liebling. Ich bin ja so unbeschreiblich froh, dass es dir besser geht. Ich war schon mal hier ...“
„Ich weiß. Dr. Berends hat es mir gesagt.“
„Er und Dr. Büttner ließen mich nicht zu dir. Ich war wütend. Ich wollte mich nicht davon abhalten lassen, dich zu sehen, aber Dr. Berends und sein Kollege sagten, das würde dir schaden, und da gab ich nach. Ich werde nie, nie etwas tun, das dir schadet, Volker.“
„Du bist ein Engel“, sagte Volker Ahlert bewegt.
„Dein Engel“, flüsterte sie und streichelte zärtlich und glücklich seine Wange.
Sie war froh, endlich zu wissen, zu wem sie gehörte.
20
Sigfrit Stassen kam wieder und brachte seine Tochter mit. Sie war eine hübsche, junge Frau. Ihr langes Haar glänzte wie Kupfer in der Sonne.
Niemand hätte sie für krank gehalten. Dr. Berends begrüßte sie und ihren Vater in seinem Büro. Gabriele trug ihr Schicksal auf eine bewundernswerte Weise.
Um ihre Augen lagen kaum wahrnehmbare Schatten. Man musste schon genau hinsehen, um sie zu entdecken. Der Chefarzt unterhielt sich sehr angeregt mit ihr.
Sie war intelligent und hatte vernünftige Ansichten. Dr. Berends konnte verstehen, dass Sigfrit Stassen gefragt hatte: „Warum Gabriele?“ Und er bedauerte, dass die Medizin dieser Krankheit so ohnmächtig gegenüber stand.
Er