Tilla nickte. „Danke, Elmar. Dieses Angebot kann ich akzeptieren.“
Er legte seine Hand auf ihre und sah ihr in die Augen. „Darf ich dich trotzdem lieben? Ganz im geheimen. Ganz für mich allein.“
Sie lächelte. „Ich wüsste nicht, wer dir das verwehren könnte.“
14
Volker Ahlert hatte keine Ahnung, wie schlimm es um ihn gestanden hatte. Er war medikamentös ruhiggestellt worden und hatte viel geschlafen.
Zwischendurch war er immer wieder kurz bei Bewusstsein gewesen, ehe er in den nächsten bleiernen Schlaf versank. Bei jedem Erwachen nahm er mehr von seiner Umgebung wahr.
Er sah Schläuche, Drähte und Sonden und hörte die medizinisch technischen Geräte arbeiten. Manchmal sah er eine Krankenschwester oder einen Arzt, aber er konnte sich nicht mitteilen, war zu müde dazu. Er wusste, dass man ihn betreute und ließ sich vertrauensvoll treiben. Man würde tun, was möglich war, um ihn wieder auf die Beine zu stellen.
Später würde er mithelfen. Später, wenn er ein bisschen kräftiger geworden war.
In hellen Augenblicken erlebte er den Überfall noch einmal, aber er regte sich nicht auf. Alles lief vor seinem geistigen Auge wie ein Film ab, den er sich als unbeteiligter Zuschauer ansah.
Der Räuber hatte Susanne Egner niedergeschlagen und dann auf ihn geschossen. Volker Ahlert hatte den Eindruck, dass der Mann auf jeden Fall auf ihn gefeuert hätte.
Auch dann, wenn er sich nicht auf ihn zu stürzen versucht hätte, um Susanne Egner beizustehen. Geld ist ein Fluch, dachte Volker Ahlert. Manche Menschen tun alles dafür. Sie sind sogar bereit, ihre Seele zu verkaufen.
Als er wieder einmal erwachte, war eine hübsche, freundliche Krankenschwester da und fragte ihn, wie er sich fühle. Es ging ihm schon ein bisschen besser, und er sagte ihr das.
Er fühlte sich zwar immer noch schrecklich matt, aber er hatte Appetit, und das war ein gutes Zeichen. Er bekam Schonkost, die seinen Organismus nicht belastete, und nachdem er die Mahlzeit eingenommen hatte, übermannte ihn wieder ein tiefer Schlaf.
Irgendwann berührte ihn jemand. Er wurde davon wach und öffnete die Augen. Diesmal sah er einen freundlichen jungen Mann. „Ich bin Dr. Jürgen Büttner“, sagte er. „Sie tun genau das Richtige, Herr Ahlert. Sie schlafen sich gesund.“
„Ist das hier die Intensivstation?“, fragte der Patient schleppend.
„Ja. Hier lässt man Sie keinen Augenblick lang aus den Augen. Wenn keiner vom Personal in Ihrer Nähe ist, überwachen diese Apparate Ihre Lebensfunktionen. Bei einer Verschlechterung Ihres Zustands würden sie sofort Alarm schlagen. Erfreulicherweise gab es bisher keine Verschlechterung. Es geht mit Ihnen langsam, aber stetig aufwärts.“
„Als mich die Kugel traf, dachte ich, es wäre aus.“
„Sie hatten großes Glück“, gab Dr. Büttner zu. „Das Geschoss saß ziemlich dicht am Herzen.“
„Haben Sie mich operiert?“
„Zusammen mit unserem Chefarzt Dr. Berends. Einem besseren Chirurgen hätten Sie nicht unters Messer kommen können. Er wird nachher selbst nach Ihnen sehen.“
„Wie schlimm stand es um mich, als ich eingeliefert wurde?“, fragte der Patient.
Dr. Jürgen Büttner wiegte die Hand. „Sehr schlimm. Um so erfreulicher ist es, zu sehen, dass Sie sich auf dem Wege der Besserung befinden. Für mich stand außer Zweifel, dass Sie es schaffen würden. Sie sind jung und kräftig.“
„Kräftig.“ Volker Ahlert lächelte dünn. „Noch nie fühlte ich mich so schlapp.“
„Sie werden bald wieder Bäume ausreißen können“, erklärte der junge Chirurg.
„Ja, aber frisch gepflanzte.“
Dr. Büttner schmunzelte. „Na bitte, Ihren Humor haben Sie bereits wieder.“
Er ging, und zehn Minuten später betrat Dr. Berends das Krankenzimmer. Der Chefarzt nannte seinen Namen, und Volker Ahlert sagte: „Sie sind also der Mann, dem ich mein Leben verdanke.“
„Wieso?“, entgegnete der Mediziner.
„Sie haben mich operiert.“
„Ein Chirurg kann nur so gut sein, wie es das Team, mit dem er zusammenarbeitet, zulässt“, erwiderte der Leiter der Wiesen-Klinik bescheiden. „Ihr Dank gebührt mir nicht allein. Ich werde ihn an meine Mitarbeiter weiterleiten. Fühlen Sie sich stark genug, um eine erfreuliche Mitteilung zu verkraften?“
„Ich glaube schon.“
„Frau Tilla Deltgen war hier“, sagte Dr. Berends. „Wir konnten sie leider nicht zu Ihnen lassen. Sie wollte das zuerst nicht einsehen ..“
„Meine liebe, gute Tilla.“
„Auch eine freudige Erregung hätte Ihnen schaden können“, sagte Dr. Berends. „Frau Deltgen war zunächst sehr wütend, weil sie nicht zu Ihnen durfte. Ich konnte sie aber dann davon überzeugen, dass für Sie nichts wichtiger ist als Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe. Sie scheint Sie sehr gern zu haben.“
„Ja“, sagte der Patient leise und sehr glücklich. „Wenn ich ehrlich sein soll... Ich wusste das gar nicht. Ich dachte, ich würde sie viel mehr mögen als sie mich. Wann wird sie wiederkommen, Dr. Berends? Sie wird doch wiederkommen?“
Der Chefarzt schmunzelte. „Davon wird sie niemand abhalten können. Ich habe sie gebeten, Ihnen zwei Tage Zeit zu lassen, und sie wird so vernünftig sein, sich an die gegebene Zusage zu halten.“
„Ich liebe diese Frau, Dr. Berends.“
„Ich bin sicher, dass Frau Deltgen Ihre Liebe nicht nur wert ist, sondern auch von ganzem Herzen erwidert“, erwiderte der Leiter der Wiesen-Klinik. „An Ihrer Stelle würde ich nun zusehen, so rasch wie möglich gesund zu werden, für Tilla.“
„Für Tilla, ja“, sagte Volker Ahlert begeistert. „Ich werde wieder gesund für meine innigst geliebte Tilla!“
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