Whitlock wandte sich noch einmal um. »Bitte, Sir, ich appelliere an Ihren gesunden Menschenverstand.« Seine Stimme klang beschwörend. »Gehen Sie auf Victorios Bedingung ein, und treiben Sie kein falsches Spiel mit ihm. Es gibt viele Häuptlinge, die noch in den Reservaten leben, die aber mit den herrschenden Verhältnissen ausgesprochen unzufrieden sind. Vor allem in San Carlos rumort es unter der Oberfläche. Geronimo, Juh, Naiche, um nur einige Häuptlinge aufzuzählen, werden nicht dulden, dass Victorio hereingelegt wird. Und wenn Sie aufstehen, um uns den Krieg zu erklären, dann bleibt kein Auge trocken. Ich bitte Sie, Sir, akzeptieren Sie Victorios Forderung.«
»Es liegt nicht mehr in meiner Hand, Lieutenant. Das letzte Wort hat in dieser Angelegenheit Washington.«
Der Colonel hatte sich aufgerichtet.
Whitlocks Schultern sanken nach unten. Müde wandte er sich ab, öffnete die Tür und verließ das Büro des Kommandanten.
McIntosh wartete ein wenig. In seinen zerfurchten Zügen arbeitete es, seine Hände öffneten und schlossen sich. In ihm stritten sich die Gefühle. Schließlich überwand er sich und rief nach einer der Ordonnanzen. »Holen Sie mir die Kompaniechefs her, Soldat. Ich will Sie in spätestens einer halben Stunde hier versammelt sehen.«
»Einige von ihnen sind auf Patrouille unterwegs, Sir«, schnarrte der Soldat.
»Dann sollen sich ihre Vertreter bei mir einfinden, oder die Vertreter der Vertreter.«
»In Ordnung, Sir.« Der Soldat legte die Hand an die Mütze, schwang herum und verließ das Office.
Der Colonel nahm eine unruhige Wanderung auf. Drei Schritte hin, drei zurück. Er hatte die Hände auf dem Rücken ineinander verkrampft. Seine Kiefer mahlten.
*
In der Zelle befanden sich sechs Männer. Es waren vier Deserteure sowie Scott Wilburn und Glenn Farley, der von seiner Verwundung wieder genesen war.
Das Gefängnis in Fort Bliss besaß nur eine Zelle. Die mit dicken Eisenstäben vergitterte Fensterluke befanden sich auf gleicher Höhe mit dem brettebenen sandigen Exerzierplatz. Sonnenlicht sickerte spärlich in das Verlies, in dem sich stickige Luft, Moder- und Schweißgeruch stauten. Es gab kein einziges Möbelstück hier drinnen, nur das halbverfaulte Stroh, das den Gefangenen als Schlaflager diente, und den stinkenden Latrinenkübel in der Ecke. Die Männer lauschten den knirschenden Stiefeltritten der Wachposten. Die Augen in ihren unrasierten, hohlwangigen Gesichtern glommen lauernd, fast gierig wie die Lichter von Raubtieren auf Beutejagd.
Es war später Nachmittag.
»Wir müssen raus hier«, knurrte Scott Wilburn.
»Sicher«, sagte Ross Wallace, ein Mann, an dessen Jackenärmeln die Winkel eines Corporals befestigt waren. Noch hatte man sie ihm nicht heruntergerissen. Das würde erst auf Anordnung des Kriegsgerichts geschehen. »Wir müssen raus. Davon reden wir schon, seit wir hier sind. Die Frage ist nur, wie kommen wir hinaus. Wir sitzen hier fest in diesem Loch. Sogar wenn sie uns den Schlangefraß bringen, sind drei Bewaffnete dabei. Und diese Kerle haben Order, zu schießen. Und sie würden schießen. Deserteure wie wir sind für sie eine Art untergeordneter Spezies.«
»Wir müssen den Ausbruch einfach wagen«, knurrte Glenn Farley. »Die günstigste Gelegenheit wäre, wenn sie uns das Essen bringen. Wir überwältigen die Posten, nehmen ihnen die Waffen weg und bringen die Kerle, die sich oben befinden, ebenfalls in unsere Gewalt. Wenn wir drohen, die Geiseln zu erschießen, wird man uns Pferde zur Verfügung stellen...«
»Und uns anschließend jagen, dass uns die Zungen zu den Hälsen heraushängen«, wandte Shane Baker, ein Kavallerist in verschmutzter, heruntergekommener Uniform ein. »In den Bergen herrscht tiefster Winter. Wir werden keinen Proviant haben...«
»Wir nehmen Geiseln mit«, stieß Wilburn hervor.
Da erklangen im Flur Geräusche. Schlüssel klirrten, das Schloss knackte, ein Riegel wurde mit rostigem Knirschen zurückgeschoben. »Bloß friedlich da drinnen, ihr lausigen Banditen, sonst gehen unsere Flinten los!« warnte eine brummige Stimme, während die Tür langsam aufschwang. Eine Laterne warf gelbe Lichtbündel in die Zelle. Zwei Kavalleristen betraten das Verlies. Das Licht konnte die Härte in ihren kantigen Gesichtern nicht mildern. Der eine hielt die Laterne in Schulterhöhe. Der andere presste den Kolben seines Karabiners an die Hüfte und ließ die Mündung drohend hin und her wandern.
Die Gefangenen schwiegen und starrten die beiden Wachleute an. Den Geräuschen, die vom Flur in die Zelle drangen, war zu entnehmen, dass sich da draußen weitere Wachsoldaten aufgebaut hatten.
»Wilburn, du hast Besuch bekommen«, sagte einer der Wachsoldaten. »Er wartet oben auf dich. Also schwing die Hufe. Und keine krummen Gedanken. Vorwärts, setz dich in Bewegung. Mach schon. Pfui Teufel! Hier stinkt es wie in einem Schweinestall.«
Scott Wilburn ging zur Tür. Er wurde von einem der Posten hinausbugsiert, während der andere die Gefangenen in Schach hielt. Der Bandit stellte keine Fragen. Die Soldaten nahmen ihn in die Mitte, führten ihn den Gang entlang zur Treppe, die sich nach oben schwang, und dirigierten ihn hinauf. Oben, im Wachlokal, stand der Mann, der ihn besuchte.
Wilburn entrang sich ein Laut der Überraschung. »Du?!«
Der andere nickte. »Ich habe in Odessa davon gehört, dass ein gewisser Scott Wilburn in Fort Bliss im Gefängnis sitzt. Und ich habe mich sofort auf meinen Gaul geschwungen und bin mit ein paar Freunden hergekommen. Man darf dich wirklich nicht aus den Augen lassen, Kleiner. Was hast du ausgefressen?«
»Wir haben drüben in den Mimbres Mountains ein paar Rothäute erledigt. Ein Lieutenant folgte uns mit einigen Leuten, stellte uns auf einer verlassenen Farm, und nur ich, Farley und Morgan entkamen. Einige der Soldaten blieben ebenfalls auf der Strecke. Morgan erwischte es dann in El Paso. Man will uns nach New Mexiko ausliefern. Dort ist es ein Verbrechen, Apachen der Skalpe wegen zu töten. Aber auch wegen des Todes der Blaubäuche erwartet uns dort der Galgen.«
»Mist.«
»Wen hast du mitgebracht, Bruder?«
»Hooker, Kemble, Logan und Webster.«
»Du bist doch sicher gekommen, um mich rauszuholen.«
Der Wachhabende, der dabeistand, grinste spöttisch. »Wenn er das vor hat, soll er sich gleich auf einen längeren Aufenthalt in einem texanischen Steinbruch vorbereiten, Wilburn«, knurrte der Sergeant. »Möglicherweise sollte er vielleicht sogar sein Testament machen.«
Scott Wilburn schoss dem Unteroffizier einen sengenden Blick zu.
Lester Wilburn fuhr mit der Rechten durch die Luft. »Wie geht es dir, Bruderherz?«
»Ich lebe seit Wochen in einem stinkenden Loch, bekomme Dreck zu fressen und bin mit einigen Deserteuren zusammengesperrt, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als die Armee zu verfluchen. Jetzt kannst du dir ungefähr denken, wie es mir geht, Lester.«
»Warum bist du nicht in Arizona geblieben? Mutter hatte Recht, als sie mich auf dem Sterbebett bat, ein Auge auf dich zu haben. Sie wusste, dass du auf dich alleine gestellt keine Chance hast, dein Leben in den Griff zu bekommen. Jetzt ist guter Rat teuer, Bruder.« Lester Wilburn starrte seinen Bruder an, als wollte er ihm mit den Augen eine Botschaft übermitteln, als wollte er ihn hypnotisieren. »Ich werde dich morgen wieder besuchen. Und ich werde dich nach New Mexiko begleiten, wenn sie dich ausliefern. Keine Sorge, Scott. Ich habe Mutter versprochen, auf dich Acht zu geben. Ich lasse dich nicht allein.«
In den Mundwinkeln des Wachhabenden zuckte es spöttisch.
Lester Wilburn versetzte seinem Bruder einen leichten Schlag gegen den Oberarm. Dann verließ er die Wachbaracke. Scott Wilburn wurde in die Zelle zurückgebracht. Einer der Soldaten versetzte