Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Holger Weinbach
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Die Eiswolf-Saga
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827718
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war ihm beides zur Selbstverständlichkeit geworden, wie so vieles in seinem neuen Leben bei den Benediktinern.

      Für Faolán war der strikt geordnete Tagesablauf ein willkommener Halt. In der Bruderschaft fand er die Geborgenheit, die er dringend benötigte, auch wenn ihm das selbst nicht bewusst war. Dennoch fühlte er sich manchmal verloren und verlassen. Diese merkwürdige Einsamkeit fühlte sich an, als habe man ihn jemandem entrissen, als befände er sich jetzt in einem anderen, fremden Leben. Doch so sehr er sich auch zu erinnern versuchte, ihm kam kein anderes Leben in den Sinn als das in dieser Abtei.

      Die Nächte im Kloster wurden ständig unterbrochen. Nicht nur durch die Andachten, an denen auch die jüngeren Novizen teilnehmen mussten, sondern auch durch Albträume, die ihn heimsuchten. Und ein besonderer Traum kehrte immer wieder.

      In diesem Traum war Faolán von hohen Mauern eingekesselt. Hinter sich spürte er eine bedrohliche Hitze. Das hungrige Grollen eines lodernden Brandes dröhnte in seinen Ohren. Stets drehte er sich um und sah dann ein weit geöffnetes Tor in einem großen Gebäude, das von Flammen verzehrt wurde. Trotz des Feuers stand eine Gestalt regungslos in diesem Tor. Faolán wusste nicht, ob er die Person kannte, denn er sah nur ihre Silhouette. Er fürchtete sich vor den Flammen und wäre am liebsten davongelaufen, doch seine Beine weigerten sich, waren bleischwer. Zu seiner Verwunderung versuchte die Gestalt im Tor nie, dem Feuer zu entkommen. Sie blieb stehen und starrte in seine Richtung, als wolle sie ihm etwas mitteilen.

      Dann begann sich das brennende Gebäude jedes Mal auf merkwürdige Weise von ihm zu entfernen. Er konnte nichts dagegen tun. Immer schneller verschmolzen Gebäude, Gestalt und Feuer zu einem rotglühenden Punkt, der schließlich im fernen Dunkel verschwand. Er selbst befand sich dann in vollkommener Schwärze und Stille, haltlos und allein.

      Stets erwachte Faolán schweißgebadet aus diesem Traum. Tränen liefen dann über sein Gesicht, als könnten sie das bedrohliche Feuer in seiner Erinnerung löschen. In diesen Momenten war er froh, nicht allein zu sein, froh über die vielen Jungen im Schlafsaal des Noviziats, ihren gleichmäßigen Atem und das leise Schnarchen. Dies gab ihm Halt und tröstete ihn.

      Wenn er wach lag und über seine schrecklichen Traumbilder nachdachte, sah er immer die schwarze Gestalt inmitten der Flammen. Immer öfter überlegte Faolán, ob es sich bei dem brennenden Tor vielleicht um die Pforte der Hölle handeln könnte. Ob in dem Tor der Leibhaftige selbst stand und auf ihn wartete. Er brauchte nur seine flammende Hand nach ihm auszustrecken, um ihn zu packen und zu sich zu holen. Bei dieser Vorstellung ergriff Faolán eine große Furcht, so dass er erleichtert war, wenn zur nächsten Andacht gerufen wurde.

      Die Rituale der Gemeinschaft halfen Faolán, unangenehme Dinge zu verdrängen und unliebsamen Personen aus dem Weg zu gehen. Zu diesen gehörte auch der neue Novize Drogo. Seit ihrer ersten Begegnung auf dem Klosterhof blieb dessen Hass gegen Faolán unverändert.

      Inzwischen hatte Faolán es aufgegeben, einen Grund für diese Feindschaft zu finden. Er konnte nur darauf bedacht sein, Drogo keinen Anlass zum Ausbruch seines Hasses zu geben. Er war freundlich und zuvorkommend, doch sogar das reizte Drogo. Der Sohn des Grafen, wie Drogo sich selbst betitelte, schlug die angebotene Freundschaft aus.

      In seiner Ratlosigkeit blieb Faolán nur eins: Drogo zu meiden. Da es nicht möglich war, den selbst ernannten Grafensohn zur Vernunft zu bringen, war dies die einzige Möglichkeit, seinen täglich angedrohten Hieben zu entgehen. Faolán zog sich zurück. Er hoffte auf diese Weise sich keine weiteren Feinde zu machen. Freunde schaffte er sich dadurch allerdings auch keine und so wurde er ein Außenseiter, der stets die schützende Nähe eines älteren Novizen oder eines Mönches suchte.

      Die Kunst, Drogo aus dem Weg zu gehen, beherrschte Faolán mit der Zeit immer besser. Drogo hingegen verstand es, in seinem neuen Umfeld immer einflussreicher zu werden. Er fand schnell Anhänger, die ihn wie getreue Hunde als ihren Herrn ansahen. Mit ihrer Hilfe begann Drogo Faolán das Leben schwer zu machen. Dem gelang es nicht immer, ihnen zu entkommen. Die Blessuren, die er bei solchen Zwischenfällen davontrug, waren so klein, dass sie von den Mönchen nicht bemerkt wurden. Anfangs konnte Faolán das noch ertragen. Doch schon nach wenigen Monaten hatte Drogo viele Verbündete, die Faolán stets im Auge behielten, ihm auflauerten und bei jeder Gelegenheit traktierten.

      Statt sich geschlagen zu geben oder Hilfe bei den Mönchen zu suchen, nahm Faolán die Herausforderung an. Innerhalb kürzester Zeit lernte er die Möglichkeiten des Klosters zu seinem Vorteil zu nutzen. Er entdeckte zahlreiche Schleichwege, Abkürzungen und versteckte Löcher, die sonst nur Katzen und Ratten aufzusuchen schienen. In sie kroch er, wenn Drogos Anhänger nach ihm suchten.

      Jedes Entkommen seines Opfers empfand Drogo natürlich als Schmach und persönliche Niederlage, die es bei der nächsten Gelegenheit unbedingt auszugleichen galt. Wie eine Scharte auf einer sonst makellosen Klinge wollte er sie um jeden Preis auswetzen. Entsprechend wurde Faolán malträtiert, wenn er seinen Häschern das nächste Mal in die Hände fiel.

      Inzwischen war es Herbst geworden, und Faolán kam mit diesem Katz- und Mausspiel gut zurecht. Es ging ohnehin meist zu seinen Gunsten aus. Die Verfolgungen hatten aber auch Grenzen, denn schließlich mussten die Novizen vielen Pflichten und Aufgaben nachkommen.

      Faolán hatte das unsägliche Glück, dem Kellermeister zur Hand gehen zu dürfen. Bruder Ivo zählte zu den liebenswerteren Mönchen der Abtei, und Faolán mochte ihn sehr. Soweit er es zu beurteilen vermochte, beruhte dies auf Gegenseitigkeit. Da Faolán noch immer so gut wie kein Wort sprach, wurde er von vielen der Mönche und älteren Novizen als einfältig und zurückgeblieben angesehen. Nicht so von Bruder Ivo. Der Cellerar wusste ihn zu schätzen und behandelte ihn wie jeden anderen Novizen.

      Die Verschwiegenheit des Jungen glich Bruder Ivo mit einer für Mönche ungewöhnlichen Redseligkeit aus, obwohl er damit gegen das Schweigegebot verstieß. Faolán mochte die sonore Stimme des Mannes. Sie beruhigte ihn, ähnlich wie das Lesen der Psalmen oder die Gesänge der Mönche. Nicht zuletzt aus diesem Grund fühlte er sich in der Gegenwart des Cellerars wohl.

      Schweigen war im Kloster die meiste Zeit geboten. Nur während des Unterrichts oder wenn gefragt, durften die Novizen sprechen. Dieser Unterricht wurde täglich abgehalten. Die Jungen wurden von den Mönchen zwischen den Andachten in allen Bereichen des Wissens und des Glaubens unterwiesen. Dabei galt es hauptsächlich, den Worten der Älteren zu lauschen und von ihrer Weisheit zu lernen. Nur wenn ein Novize gefragt wurde, durfte er eine möglichst kluge und knappe Antwort geben. Es war verboten, die kostbare Zeit mit ahnungslosem Gestammel zu vergeuden oder mit Dummheit und Unwissen den Lehrenden zu beleidigen. Wer sich erlaubte, mit Scherzen die Aufmerksamkeit und das Gelächter der anderen auf sich zu ziehen, wurde unverzüglich und hart bestraft.

      Auf diese Weise wurden die Novizen zu größerer Vorsicht im Umgang mit ihrem Mundwerk erzogen. Prior Walram predigte seinen Schülern immerzu, dass Gott nichts mit größerer Abscheu betrachte, als sinnlose Geschwätzigkeit. Sie wäre eine Vergeudung des Tages. Ein Diener des Herrn solle seine Zeit sinnvoll in Demut und Andacht verbringen. Faolán hatte mit dieser Klosterregel keinerlei Schwierigkeiten, stumm wie er die meiste Zeit war.

      Doch gerade aus diesem Grund wurde für ihn der tägliche Unterricht eine schwere Prüfung, denn auch hier hüllte er sich in Schweigen. Er beantwortete nicht einmal die einfachsten Fragen. Obwohl ihm die Antworten meist korrekt auf der Zunge lagen, konnte er sie schlicht nicht aussprechen. Das förderte zusätzlich die Meinung, Faolán sei mit Dummheit geschlagen. Einige der Mönche hielten ihn bereits nach kürzester Zeit für einen hoffnungslosen Fall und ignorierten ihn in ihrem Unterricht.

      Der Novize wusste nicht, weshalb er schwieg. Er hatte keinerlei Schwierigkeiten, die Tiefen der Arithmetik, der Sprachen und der Theologie zu begreifen. Und doch öffneten sich seine Lippen nicht, wenn man ihn darauf ansprach. Natürlich nutzte Drogo Faoláns Schweigen jedes Mal, um ihn als Beschränkten lauthals zu verspotten, auch wenn er selbst dafür bestraft wurde.

      Das Schweigegebot hatte dazu geführt, dass die Mönche eine andere Form der Verständigung ausübten. Im Laufe vieler Dekaden hatten die Brüder eine ausgeklügelte Zeichensprache entwickelt, die es jedem erlaubte, tägliche Belange zu äußern, ohne auch nur ein Wort zu sprechen.

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