Mit diesen Worten zog der Fremde ein paar Würfel aus einem kleinen Lederbeutel und ließ sie auf den Tisch fallen, dass sie tanzten. Seine andere Hand spielte dabei scheinbar nebensächlich an einer Geldkatze am Gürtel, was das leise, aber eindeutige Klirren von Münzen hervorrief.
Ein Glänzen trat in die Augen des Hauptmannes. Seine Zunge befeuchtete die trockenen Lippen und die Hand löste sich vom Schwertknauf.
„Wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich meine Würfel vorziehen“, erklärte er aufgeregt.
„Wie Ihr wünscht“, ging der Fremde nur allzu bereitwillig darauf ein. „Ich nehme an, Ihr seid ein Ehrenmann und Eure Würfel sind nicht falsch.“
Auf einen Wink kam nun auch der zweite Fremde näher und ließ sich auf einer Bank nieder. Die Würfel wurden geworfen und der unverdünnte Inhalt eines mitgebrachten Weinschlauches in tönerne Becher gegossen. Das Spiel war lebhaft und mit jedem gelungenen Wurf stiegen Laune und Übermut der Burgmänner, die dem Wein durstig zusprachen.
Nach einiger Zeit war die einst voll klingende Geldkatze des Fremden nahezu leer und ihr Inhalt befand sich auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches, in den Händen der Wachen. Zu deren Schadenfreude hielt das Verlieren selbst dann an, als die Würfel gegen das Paar der Fremden ausgetauscht wurden.
Schließlich waren alle Münzen verspielt und die Geselligkeit endete abrupt. Prächtig gelaunt erhob sich der Wachhabende und fragte übermütig: „Nun denn, habt Ihr genug oder gibt es noch etwas zu verlieren?“
Das Lachen der zweiten Wache bezeugte die herrschende Ausgelassenheit. Die beiden Verlierer ließen sich dadurch nicht provozieren, sondern nahmen es mit ungewöhnlicher, beinahe gefährlich wirkender Gelassenheit hin.
Der Angesprochene schenkte noch einmal Wein nach, den die Gewinner im Rausche des Glücks beinahe allein geleert hatten und trank genüsslich einen Schluck. Er dachte kurz nach, dann setzte er den Becher wieder ab.
„Wenn Ihr Münzen meint, so ist meine Börse restlos leer. Selten habe ich jemanden mit so viel Glück an einem Abend angetroffen wie Euch. Ihr habt ganze Arbeit geleistet.“
Der Fremde legte erneut eine nachdenkliche Pause ein, dann lehnte er sich etwas nach vorne und fuhr leise fort. „Doch da wäre noch etwas, um das wir spielen könnten.“
Erwartungsvolle Ruhe kehrte ein und das gierige Leuchten kehrte in die Augen des Wachmannes zurück. „Was ist es?“, fragte er ungeduldig.
„Es ist von großem Wert!“, gab der Fremde preis. „Eine Beute aus meiner härtesten Schlacht. Ich setze sie nur ungern aufs Spiel, doch jene Münzen, die ich an Euch verloren habe, waren nicht meine eigenen. Es müsste ein Wurf um Alles oder Nichts sein!“
Die Wachen waren neugierig und tauschten fragende Blicke aus. Schließlich hielt es der Wachhabende nicht mehr aus. „Zeigt schon her, was Ihr zu bieten habt!“
Vorsichtig löste der Fremde zwei Dolche von seinem Gürtel und legte sie bedächtig, ja nahezu liebevoll auf den Tisch. Die Klingen befanden sich in reich verzierten und mit kleinen Steinen besetzten Futteralen. Ihre Griffe waren aus kostbarem Elfenbein gefertigt und ebenfalls mit fremdländischen Ornamenten kunstvoll verziert. Die Wachen erkannten, dass sie der Art der weithin gefürchteten Nordmänner entsprachen.
Der Fremde zog langsam eine der Klingen aus dem Futteral. Die Schneide war scharf und wohl gepflegt, dass der Schein der Lampen sich in ihr spiegelte. Ohne Zweifel waren es meisterlich gefertigte Waffen. In den Augen der Wachmänner konnte man das Verlangen nach diesen Klingen regelrecht aufflammen sehen.
Doch das Risiko war hoch. Die volle Geldbörse war schon ein ungewöhnlich hoher Gewinn. Jetzt alles aufs Spiel zu setzen wäre möglicherweise eine Dummheit. Der Wachhabende strich sich mit der Hand über das unrasierte Kinn. „Alles oder Nichts?“
„Alles oder Nichts!ȁ, antwortete der Fremde.
„Ich weiß nicht recht … warum sollte ich dieses Risiko eingehen?“
Der Wachhabende war noch nicht überzeugt und so kam der Fremde mit der Klinge einen Schritt näher.
„Das sind die Klingen eines angesehenen Seekönigs aus dem fernen Norden. Er war wild und mächtig wie ein Wolf, ein wahrer Krieger des Eises und zu Recht ein König seines Volkes. Es war ein schwerer Kampf, bis ich ihn besiegt hatte. Beachtet die perfekte Schneide. Der Stahl ist von so hoher Qualität, dass er selten nachgeschliffen werden muss und niemals stumpf wird, von Rost ganz zu schweigen. Gebt Acht, dass Ihr Euch nicht daran verletzt!“
„Was soll das Geschwätz? Ich weiß eine gute Klinge von einer schlechten zu unterscheiden! Oder wollt Ihr mir meine Ehre und Kenntnisse als erfahrener Krieger in Abrede stellen?“
„Ich sagte, gebt Acht, sonst könntet Ihr Euch noch daran schneiden.“ „Keine Sorge, ich werde schon keine Zwiebeln damit schälen.“
Der Fremde war während des Wortwechsels langsam näher gekommen und stand jetzt direkt vor dem Hauptmann. Nahezu beiläufig stand er da, ohne den alten Haudegen eines Blickes zu würdigen. „Fürwahr, zum Zwiebelschälen sind diese Klingen nicht bestimmt. Doch eines wollte ich noch erwähnen …“
Ungeduldig wartete der Wachhabende. Die Nähe des Fremden schien ihm unangenehm zu sein, doch er blieb standhaft. Die Lust auf ein weiteres Spiel war ihm vergangen und er wollte die beiden Unbekannten nur noch aus seiner Wachstube haben. Schließlich verlor er die Geduld.
„Euer Weg endet hier. Ihr hattet Pech im Spiel. Ein Wurf wird Euch nicht alles zurückbringen. Geht jetzt und lasst Euch hier nie wieder blicken!“
Die Drohung war unmissverständlich, doch der Fremde zeigte sich weder beeindruckt noch eingeschüchtert. Sein Blick ruhte nach wie vor auf der Klinge und er fuhr im Plauderton fort: „Ich verrate Euch ein kleines Geheimnis: Weder glaube ich an das Glück im Spiel noch an ein unabwendbares Schicksal. Doch scheint Ihr daran zu glauben. Blickt mir also in die Augen und begegnet Eurem Schicksal!“
Noch bevor der Wachhabende die Worte begriff, zog der Fremde mit einer schnellen Handbewegung die Klinge quer über die Kehle seines Gegenübers. Von starker Hand geführt schnitt sie sicher und tief. Die Augen des alten Kämpfers weiteten sich in grauenhafter Erkenntnis. Nur noch ein Gurgeln entwich seiner Kehle, dann quoll das Blut hervor, ehe er sterbend auf dem Boden zusammensackte.
Seinem Waffengefährten erging es ähnlich. Auch er wurde überrascht. In seinem Hals steckte der zweite, aus nächster Nähe geworfene Dolch. Ohne einen Laut von sich zu geben, fiel er vornüber auf den Tisch und blieb dort tot liegen. Dann herrschte Stille in der kleinen Wachstube. Rote Lachen breiteten sich auf dem Tisch und dem festgetretenen Erdboden aus.
Flink begannen die beiden Meuchler, ihre Opfer zu inspizieren und vergewisserten sich ihres Todes. Ihre eben noch vorhandene Gelassenheit war wie weggeblasen. Rasch wurden die blutigen Klingen an der Gewandung der Gefallenen gesäubert und in die Futterale gesteckt. Im Vorbeigehen schnappte sich der Anführer noch die vor wenigen Augenblicken von den Wachen gewonnen geglaubte Geldbörse aus der schlaffen Hand des Hauptmanns.
„Elender Narr!“, raunte er dabei und spuckte verächtlich aus.
Sicheren Schrittes eilten die Männer die Stiege in die zweite Ebene hinauf. Von dort führte eine Tür zum Wehrgang. Die Eindringlinge wussten genau, dass noch zwei weitere Wachmänner auf ihrem Rundgang unterwegs waren und bald zurückkehren würden.
Der schweigsamere der beiden Schergen begutachtete die mit Waffen bestückte Wand und nahm sich einen Bogen und zwei Pfeile. Sein Kumpan betätigte derweil sachte und lautlos die Verriegelung der Tür zum Wehrgang und öffnete sie einen winzigen Spalt, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Die beiden Burgmänner befanden sich mit ihren Fackeln bereits in der Nähe der Tür. Sie bemerkten nicht, dass sie beobachtet wurden.
Im Inneren des Wachhauses zeigte der Anführer dem Bogenschützen mit ein paar Handzeichen an, wo sich die Männer befanden, und kniete selbst direkt hinter der Tür mit entblößtem Schwert nieder.