Kahlschlag. Die Aufforstung auf dem Berg ist noch relativ jung. In der Frühgeschichte beanspruchte der Mensch den Wald nur in sehr geringem Maße, aber als sich mehr Menschen an festen Orten niederließen und Äcker anlegten und begannen, Vieh zu halten, wurde die Nutzung des Waldes intensiver. Irgendwann war es so weit, dass Hirten mit großen Herden umherzogen, die alles auffraßen, was ihnen vor die Hufe kam. Doch hatte man offenbar begriffen, dass sich die Dinge in die falsche Richtung entwickelten, denn bereits 1549 forderte der Rektor des Comtat Venaissin, dass Gegenmaßnahmen ergriffen würden. Dieser Appell wurde später regelmäßig wiederholt, doch ohne Ergebnis.
Im Laufe der Zeit wurde immer mehr Holz zum Heizen und für wirtschaftliche Aktivitäten wie den Schiffsbau, Kalkbrennereien und Eisengießereien benötigt. Die Wälder in den unteren und mittleren Lagen des Berges fielen buchstäblich der Axt zum Opfer. Infolgedessen war es um die Waldbestände bereits im 17. Jahrhundert schlecht bestellt. Denn obschon es natürlich Phasen gab, in denen sich der Wald erholen konnte, fanden diese auch immer wieder ein Ende. So forderte zum Beispiel die Französische Revolution ebenfalls ihren Tribut. Schließlich befanden sich viele Wälder im Besitz des Adels und als die Macht an die revolutionäre Bourgeoisie überging, wurden nicht nur die Adligen, sondern auch ihre Bäume einen Kopf kürzer gemacht…
Als im 19. Jahrhundert die industrielle Revolution mit ihren Dampfmaschinen den Holzbedarf nochmals enorm forcierte, war auch der Wald in den höheren Lagen des Ventoux zum Tode verurteilt: Alles wurde rücksichtslos abgeholzt. Auch wütende Waldbrände infolge von Blitzeinschlägen – ein berüchtigtes Phänomen in Südfrankreich – trugen ihren Teil dazu bei. Kurzum, Bäume wurden am Ventoux zu einer relativ seltenen Erscheinung.
Die Folgen waren katastrophal: Das Wasser, das nach Regengüssen den Berg hinabfloss, riss den Boden mit sich, junge Pflanzen hatten keine Chance und die Erosion nahm verheerende Ausmaße an. Um 1840 wuchsen auf 550 bis 1.150 Metern Höhe nur Thymian und Lavendel; lediglich hier und da stand noch eine knochige Eiche, Buche oder Kiefer – siehe Jean des Baumes in: Der literarische Berg, S. 304.
In dem Maße, in dem der Anblick des Berges im Laufe der Zeit immer kahler wurde, wurden auch die Katastrophen für Mensch und Tier immer zahlreicher und heftiger. Allein im 19. Jahrhundert schwemmte das Wasser achtmal alles von den Hängen zu Tal: Straßen, Brücken, Dörfer, Äcker, Vieh – nichts entging der zerstörerischen Kraft der Natur.
Nationales Forstgesetz (1827). Am Ende setzte sich die Vernunft durch und die Regierung intervenierte. Das Nationale Forstgesetz von 1827 legte eine Reihe von Regeln fest, die darauf abzielten, den Wald für diejenigen, die dort lebten und arbeiteten, zu erhalten. Für Bedoin bedeutete dies, dass die Nutzung von 4.473 Hektar Wald reglementiert wurde. Auch in völlig kahlen Gebieten und auf offenen Flächen im Wald konnte man nun nicht mehr einfach tun und lassen, was man wollte.
Am Mont Ventoux war es Joseph Charles Eymard, der sich im Jahr 1858 unmittelbar nach seiner Wahl zum Bürgermeister von Bedoin als erster Amtsinhaber für die Wiederherstellung des Waldes in »seinem« Teil des Berges einsetzte. Auf der Nordseite folgte Malaucène ein Jahr später seinem Beispiel.
Die Leitung der Aufforstungsarbeiten wurde Charles Labussière als »Conservateur des Eaux et Forêts à Aix en Provence« (Oberförster der französischen Forstbehörde) übertragen. Er und seine Leute hatten jedoch keine Ahnung, wie und wo sie am besten welche Bäume pflanzen sollten, um die fast 4.500 Hektar degenerierter Flächen, über die Bedoin zu dieser Zeit verfügte, zu »revitalisieren«. Die steilen Hänge waren fast kahl gewaschen und es fehlte an vernünftigen Wegen. So wurden routes forestières angelegt (sandige, mit losen Steinchen verstärkte Wege), um den Berg zugänglich zu machen, und man experimentierte viel mit allerlei Arten von Nadel- und Laubbäumen und mit verschiedenen Anpflanzungsweisen. Aus Schaden wurde man klug, und Labussière und seinen Leuten gelang es allmählich, ihre Arbeitsmethoden stetig zu verbessern.
In den ersten zwanzig Jahren der Arbeiten wurde bis auf eine Höhe von ungefähr 1.000 Metern die Technik des Aussähens und der anschließenden Verpflanzung auf alle Arten von Kiefern wie etwa Lärche, See-, Wald- und Schwarzkiefer angewandt. Auch Eicheln wurden auf umgegrabenen Böden ausgestreut. Als nach etwa 15 Jahren in den gepflanzten Eichenwäldern, die in Zukunft eigentlich als Brennholz dienen sollten, wertvolle Trüffel gefunden wurden, trug dies wesentlich zur Popularität der Wiederaufforstungsmaßnahmen bei.
Im Zuge der Experimente fassten Labussière und der Inspektor der staatlichen Forstverwaltung François Tichadou den Plan, die Zeder auf dem Ventoux einzuführen. Es handelte sich um eine Baumart, die zwar im Vaucluse bis dahin nicht vorkam, aber in der französischen Kolonie Algerien von großer Bedeutung war.
Mit Hilfe französischer Soldaten sammelten algerische Forstwirte im Jahr 1861 im Atlasgebirge Zedernfrüchte, die dann in Fässern nach Frankreich verschifft wurden.
Im April 1862 wurden die ersten sechzehn Säcke Saatgut auf ehemaligen Lavendelfeldern im Kanton Mauvallat ausgesät, 1863 dann weitere fünfundfünfzig bis sechzig Säcke. Ganze Dorfgemeinschaften fanden Arbeit auf den provisorischen Plantagen. Die Männer und Frauen bereiteten den Boden auf, säten oder pflanzten, während die Kinder auf den Feldern spielten, um die Vögel zu verscheuchen. Die erste Generation von Setzlingen wurde 1863 gepflanzt. An einem prächtigen, heute anderthalb Jahrhunderte alten Exemplar auf der linken Straßenseite, etwa anderthalb Kilometer nach der Kurve bei Saint-Estève, wird durch eine Tafel daran erinnert.
Dank ihrer natürlichen Widerstandsfähigkeit hat sich die Zeder perfekt an ihren neuen Lebensraum angepasst. Wegen ihrer enormen Vitalität, der Qualität ihres Holzes und ihrer Robustheit gegen Feuer und Ungeziefer wird sie regelmäßig in Wiederaufforstungsprogrammen im Mittelmeerraum berücksichtigt.
Mit Hilfe des Mistrals hat sich die Zeder am Ventoux spektakulär ausgebreitet; seit vier Generationen bildet sie das berühmte Massif des Cèdres, den mit mehr als 800 Hektar größten Zedernwald Europas.
Langsam, aber sicher hat der einst fast völlig kahle Berg wieder eine anständige Vegetation erhalten. Bedoin verfügt heute über einen der größten Gemeindewälder Frankreichs – mit 6.300 Hektar entfällt auf ihn fast ein Drittel der gesamten Waldfläche auf dem Ventoux und er bedeckt rund 70 Prozent der Gemeindefläche. Der Ventoux ist inzwischen zum waldreichsten Gebiet der Vaucluse mit dem größten Artenreichtum geworden: Mehr als 1.200 verschiedene Pflanzen wachsen dort, darunter sechzig seltene Arten.
Die im 19. Jahrhundert gepflanzten Bäume sind heute ausgewachsen. Sie werden bereits abgeholzt, um den Wald zu verjüngen und den wirtschaftlichen Ertrag zu sichern, der teilweise in Instandhaltungs- und Pflegemaßnahmen reinvestiert wird.
Auch neue Entwicklungen wie der Tourismus erfordern eine veränderte Herangehensweise an die Waldbewirtschaftung: Entlang des Waldrandes wurden Picknickplätze eingerichtet, Mülltonnen und Informationstafeln aufgestellt, Feuerschneisen angelegt und Zisternen gebaut, Wassertanks, die im Falle eines Waldbrandes gut gefüllt sein sollten.
Restauration des Terrains en Montagne. Man hat ohne Zweifel aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und behandelt heute alles, was zum Berg gehört, überaus behutsam. Der Wald wird von der Restauration des Terrains en Montagne (RTM) betreut, einer Abteilung des Office National des Forêts (ONF), der nationalen französischen Forstbehörde. Das ONF agiert nach den Maßgaben eines allgemeinen Bewirtschaftungsplans, in dem die neuesten Erkenntnisse über Natur und Umwelt berücksichtigt werden.
Unter den Wäldern auf dem Ventoux erhält der von Bedoin die größte wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Das Fachwissen von Biologen, Ökologen und anderen Wissenschaftlern verbessert zum Beispiel die Chancen im Kampf gegen Schädlinge, gibt Aufschluss darüber, wo man am besten welche Pflanzen und Bäume pflanzen sollte, steigert die Holzproduktion und dergleichen. In Zusammenarbeit mit dem ONF entsteht auf diese Weise ein ökologisch und ökonomisch verantwortungsvoller Umgang mit dem Wald. Dieser Ansatz führte im Dezember 1990 zur Einrichtung der Réserve de Biosphère du Mont Ventoux. Dabei handelt es sich um eine Naturschutzzone, in der versucht wird, die Interessen von Mensch und Umwelt so weit wie möglich in Einklang zu bringen. Da allein der Wald von Bedoin etwa die Hälfte des Biosphärenreservats