Jetzt wirst du dich aber fragen, nicht wahr: Wie vereinbart sich meine plötzliche Lust am „Ehebrechen“ mit meinen katholischen Prinzipien, mit meinem katholischen Glauben überhaupt? Nun, dazu ist zu sagen, dass ich dessen Fesseln mittlerweile zerrissen und abgeworfen hatte. Und was hatte mich dazu veranlasst? Nicht Bequemlichkeit. Nicht Gleichgültigkeit. Nicht die Langeweile des Gottesdienstes. Nicht der Ärger über die Kirchensteuer. Und vor allem auch nicht das Wissen, dass innerhalb der Kirche, menschlich gesehen, allzu vieles faul ist; siehe den aktuellen Missbrauchsskandal. Auch nicht der tiefe Blick, den ich durch meine Arbeit am Thesaurus in die lateinische Kirchenväterliteratur machen durfte und der mir zeigte, wie wenig in ihr von christlicher Nächstenliebe zu spüren ist, wie stark sie in Wahrheit von Hass, Niedertracht, Verleumdung, Intoleranz verseucht ist, um von der allbekannten Leibfeindlichkeit zu schweigen.
Nein, es waren grundsätzliche Erwägungen. Die Altertumswissenschaft, der wir uns ja beide verschrieben haben, zeigt jedem, der seine Augen nicht vor den Fakten verschließt, wie das Christentum entstanden ist, nämlich nicht im luftleeren Raum, sprich, durch göttliche Offenbarung, wie es die Vertreter der Kirche immer darzustellen belieben, sondern nach dem Vorbild zeitgenössischer religiöser Vorstellungen. Du weißt doch selber, dass das Christentum nur eine von mehreren Mysterienreligionen ist, die sich in den seit Alexander dem Großen hellenisierten orientalischen Ländern aus den dortigen Volksreligionen durch Hellenisierung gebildet haben. Und die weisen doch alle bestimmte Gemeinsamkeiten auf wie etwa Sakramente, Askese, bindende religiöse Vorschriften, die Verpflichtung zum Glauben, die Verheißung der Erlösung vom Bösen, einen Mythos, der vom Leiden, dem Sterben und der Auferstehung eines Heilands berichtet, und so weiter. Was nebenbei auch erklärt, wieso diese sogenannte Erlösung der Menschheit durch den Sohn Gottes erst damals stattgefunden hat und nicht, wie eigentlich zu erwarten wäre, schon Jahrtausende, was sag ich, Jahrmillionen früher. Darüber haben sich ja schon die Urchristen gewundert. Denn die griechische Sprache, in der das Neue Testament verfasst wurde, hat sich halt erst seit Alexander dem Großen über den Orient verbreitet und spielte um Christi Geburt im gesamten römischen Reich und weit darüber hinaus dieselbe Rolle wie heute das Englische.
Je mehr ich mich mit dieser Materie beschäftigte, umso klarer und eindeutiger wurden mir diese Zusammenhänge. Und was bedeutet das? Es bedeutet, nicht wahr, dass die Bibel und damit das Christentum reines Menschenwerk ist. Natürlich auch das Judentum und überhaupt jede Religion. Und es bedeutet ferner, dass die Fesseln der katholischen Moral mitnichten von Gott oder sonst einem höheren Wesen, sondern von Menschen wie du und ich angefertigt worden sind, um die Menschheit zu quälen, oder aus welchen Gründen auch immer. Jedenfalls hatten sie für mich nicht mehr Relevanz als für dich die Vorschrift der Taliban in Afghanistan, deinen ganzen wundervollen Körper zu verhüllen.
15
Ich verstumme, blicke gewohnheitsmäßig auf die Uhr, sehe, dass es höchste Zeit ist, ins Hotel zurückzueilen, um das Abendessen nicht zu versäumen und Yvonne nicht hungern zu lassen, und blicke Irmi bedauernd an.
Sie schenkt mir ein strahlendes Lächeln. „Liebster Benedikt, wir sind wirklich zwei verwandte Seelen. Oder vielleicht beschäftigen wir uns einfach nur mit demselben Fachgebiet. Jedenfalls sieht man, wie spannend, wie aktuell die Altertumswissenschaft ist. Ich bin nämlich zum selben Resultat gekommen, leider viel zu spät. Vielleicht wäre doch noch was aus uns geworden, hätte ich diese Dinge schon entdeckt, solange du noch in München warst, trotz dem Widerstand meiner Mutter. Aber so bin ich ja unter dem Druck von zweierlei Zwängen gestanden, den Zwängen des mütterlichen Terrors, um das Ding endlich beim Namen zu nennen, und den Zwängen der Religion.“
Sie küsst mich innig.
„Liebster Benedikt, wann sehen wir uns wieder? Morgen ist ja der letzte Tag meines Urlaubs.“
„Ja? Unserer auch. Verdammt, was machen wir da? Ich muss dir sagen, seit wir uns wiedergefunden haben, interessiert mich das Baden kein bisschen mehr, abgesehen davon, dass mir das Wasser eh noch viel zu kalt ist.“
„Ah, dich auch nicht?“
„Nein. Das Einzige, was mich seither interessiert ... Soll ich's sagen?“
Irmi errötet lieblich. „Ja, bitte.“
„Mein einziger Wunsch ist jetzt, mit dir zusammen zu sein.“
Irmi errötet noch lieblicher. „Mir geht's genauso. Ich würde mit Freuden ...“
„Ich auch.“
„Du, im Internet hab ich gelesen, dass das Innere von Mykonos traumhafte Wanderstrecken bietet. Außerdem ist in Griechenland, wie du weißt, jetzt die Zeit der grünen Hänge, der tausend Blumen, der in allen denkbaren Farben blühenden Sträucher und der im klaren Licht glitzernden Olivenbaumhaine. Könnten wir da nicht ...“
„He, das ist die Idee. So werden wir's machen. Sag, ab wann darf ich morgen Früh bei dir aufkreuzen?“
„Ach, jederzeit. Je früher, desto lieber. Nur, was wird deine Holde dazu sagen?“
„Das lass nur meine Sorge sein.“
„Übrigens, das ist aber nicht die Erika, von der du mir erzählt hast, wie? Die ist ja viel zu jung, als dass ...“
„Nein, nein, natürlich nicht. Von der Erika bin ich längst geschieden.“
Mit einer köstlichen Umarmung nehmen wir Abschied voneinander, und ich eile zu Yvonne zurück. Ich klopfe, warte, klopfe kräftiger, warte weiter. Endlich öffnet sie mir, spricht aber kein Wort, schaut mir mit reichlich merkwürdigem Blick entgegen.
„Na, was ist los?“, sage ich, trete ein und weiß im nächsten Augenblick, was los ist. Im Zimmer stinkt es abscheulich nach Zigarettenrauch. Und ehe ich noch den Urheber des Gestanks ausmachen kann, höre ich seine Stimme.
„Schönen guten Abend“, tönt sie mit englischem Akzent. „Ich hoffe ...“ Und damit verstummt sie abrupt.
Sie gehört natürlich jenem Raucher, der mich heute schon einmal von Yvonne vertrieben (und zu Irmi getrieben) hat. Er sitzt auf einem Stuhl und ist gerade damit beschäftigt, sich die Schuhe anzuziehen. Hierauf erhebt er sich würdevoll, verabschiedet sich sehr elegant mit einer angedeuteten Verbeugung, grinst Yvonne aufdringlich an und verschwindet, ehe ich noch meinen Mund aufbringe, zusammen mit ihr vor der Tür, und ich blicke den beiden verstört und wie gelähmt nach.
Yvonne kommt rasch wieder herein, schließt die Tür hinter sich, wirft mir abermals einen mehr als merkwürdigen Blick zu und murmelt: „Was schaust du mich denn so an?“
„Aber ich werde doch noch meine Liebste anschauen dürfen“, erwidere ich spitz. „War's wenigstens schön mit ihm? Ich meine, wenn er uns schon die Bude verstinkt.“
„Geh, sei doch nicht immer so intolerant. Machen wir halt das Fenster auf.“ Und sie huscht an mir vorbei und öffnet das Fenster. (Hilft natürlich kaum.)
„Soso. Intolerant. Immer. Das ist jetzt aber ein Scherz, wie? Nachdem ich dich gerade eben gefragt hab, ob's schön gewesen ist mit ihm. Wie heißt er eigentlich?“
„Gordon.“
„Aha. Aber meine