Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft. Stefanie Gerstenberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Gerstenberger
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401805153
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dem alle Fächer auf Englisch unterrichtet wurden, schon viele Titel gewonnen. Sogar ins Landeskader wollten sie ihn holen. Ich zog den Bauch ein und strich mir über die verbleibende Speckrolle unter meinem Sweatshirt. Hey, ich hatte gerade auf die Schokoladenhasen verzichtet, ganz sicher würde ich das morgen früh auf der Waage schon merken. Ich grinste einen Moment, erst dann fielen mir die Croissants wieder ein … Wenn ich doch wenigstens sportlich wäre, eine Taille, einen flachen Bauch und durchtrainierte Arme und Beine hätte!

      Ich zog meinen kleinen Skizzenblock aus den Tiefen meiner Schreibtischschublade und begann, mit einem sehr dünnen schwarzen Filzstift Linien zu ziehen. Mehrere Quadrate, die zu Kacheln wurden. Der Rand eines Schwimmbeckens. Nach nur wenigen Strichen hockte dort eine Charlotte mit einem super Körper. Ihr Kopf wirkte fein und grazil, ein kleiner Schwan, denn ihre großen Ohren hatte ich unter einer Badekappe aus dünnem Gummi verborgen, so wie Leistungsschwimmer sie trugen. Das war ich. Und ich sah toll aus! Nun kam Timo dran. Schön dicht neben Super-Charlotte. Ob er vom Bauchnabel abwärts so eine Linie aus Haaren hatte? Ich zeichnete sie ihm. Aber keine Badekappe. Ich malte ihm nasse Locken. Achtung, nicht zu kringelig. Jungs mit zu kringeligen Locken sahen scheiße aus. Wie er mich wohl nennen würde? »Charlott’«, wisperte ich. Da mein Vater Franzose war, hätte alle Welt mich sehr elegant Charlott’ rufen können. Was für eine Chance! Doch angeblich hatte mein Opa behauptet, dass ich dem englischen Thronfolger so ähnlich sähe, und so war Charles daraus geworden. Ich hatte meinen Opa geliebt, aber bitte … Doch nicht Charles! Meine Ohren waren längst unter den Haaren versteckt, Opa war gestorben, als ich vier war, der Name aber war geblieben.

      Ich zwang meine Fantasie von dem immer so vertrocknet wirkenden Prinz Charles zurück auf das Papier. Timo und ich lachten miteinander, ich zeichnete seinen Arm um meine Schulter. Arme waren schwierig. Hände auch. Aber ich war gut. Es sah ganz echt aus. Nächstes Bild. Die beiden sollten sich umarmen. In Bild Nummer drei dann knutschen. Die Figuren mussten sich immer sehr ähnlich sehen. Den Trick hatte ich raus. Der ganze Block war schon voller Comic-Zeichnungen, die kein Mensch je gesehen hatte. Besser so. Besser für dich, DDD, besser für die meisten Lehrer und auch die meisten Mädchen aus meiner Klasse. Aber hier, Timo, der sah echt süß aus!

      Wenn ich doch bloß irgendwann mit ihm so sitzen könnte! Ich würde die nasse Haut seines nackten Brustkorbs spüren und meine Lippen daraufpressen. Er würde nach Haut und ein bisschen nach Chlor schmecken, perfekt! Er würde mein Kinn mit einem Finger anheben und mit seinem Mund immer näher kommen … So wie auf diesem Bild jetzt …

      »Zeichnest du schön? Störe ich?«

      Vor Schreck zuckte mein rechtes Knie nach oben und schlug unter die Platte des Schreibtischs, der einmal meiner Mutter gehört hatte. Der Stift flog aus meiner Hand und ich klappte den Block zu. »Spinnst du? Du hast mich total erschreckt!«

      Mama lächelte und ihr Kopf mit den kurzen dunklen Haaren schob sich weiter durch den Türspalt. »Wollte ich nicht! Na, war’s anstrengend in der Schule?«

      Warum musste Mama immer so nett sein, obwohl sie von mir doch gerade angeschrien worden war? Ich schüttelte den Kopf hin und her, das konnte alles bedeuten: ja, nein, frag nicht!

      »Willst du nicht ein bisschen rausgehen, ist doch so schönes Wetter!« Ich schnaubte nur durch die Nase. Was sollte ich denn draußen? Ich hatte nichts zum Anziehen und meine Beine hatten am Anfang des Sommers die Farbe von zu hell gebackenen Baguette-Stangen.

      »Ach, hast du dir das Album geholt?« Mama schlüpfte ins Zimmer, trat an mein Bett, nahm das Fotoalbum von der Steppdecke und setzte sich damit hin. Ich stand auf und nahm wortlos neben ihr Platz. Wenn ich auch ziemlich oft sauer auf sie war, die alten Bilder angucken ging immer.

      Vorsichtig und ohne zu reden, blätterten wir abwechselnd die Seiten aus schwarzem Fotokarton um. Das Café. Omi und Opa davor. Opa noch mit dunklem Haar unter seiner weißen Bäckerhaube und seinem breiten Schnauzer, auf den er immer so stolz war. Er drehte sich ein wenig zur Seite, damit man es nicht gleich sah, doch ihm fehlte der linke Arm. Der war an der Ostfront geblieben, hatte Mama mir erzählt. Obwohl wir den Zweiten Weltkrieg in Geschichte schon durchgenommen hatten, stellte ich mir die Ostfront seitdem als kleinen Graben vor, der endlose Getreidefelder durchschnitt. Der Graben war leer, nur ein einsamer nackter Arm lag darin. Aber er hatte sich nie beklagt, sondern mich mit dem rechten oft wie einen kleinen Sack Mehl über die Schulter geworfen und durch die Backstube getragen. Daran erinnerte ich mich noch.

      »Das war früher dein Lieblingsfoto.« Mama tippte mit dem Finger auf die kleine Dagmar und ihren Roller und auf sich selbst, die noch kleinere Marion. Beide mit identischen, minikurzen Kleidchen, beide in die Sonne blinzelnd. Ja wirklich, ich mochte das Foto immer noch ganz besonders; Dagmar sah noch nicht aus wie DDD und bei Mama konnte man die wollene Unterhose sehen. Vor dem Café Zimt stand ein uraltes Auto. Besuch von Tante Irmgard, hatte jemand daruntergeschrieben. Wahrscheinlich Omi. Auf dem nächsten Bild sah man einen Tannenbaum, davor Marion, kurz vor dem Losheulen. Dagmar dagegen lächelte, ganz die große Schwester. »Da hat sie dich vorher ganz doll gekniffen.«

      Mama nickte und las die Bildunterschrift vor: »Fröhliche Weihnachten – 1969.« Sie blätterte weiter. »Und hier, unser Hund, Zucker! Ach, das waren noch Zeiten …«

      Ich lächelte über den Golden Retriever, der im Hauseingang lag. Mama wollte keinen Hund mehr. Das sind Familientiere, sagte sie manchmal. Und? Waren wir eine Familie? Eben nicht.

      Mama stand auf. »Na ja, ich muss wieder runter. Gab’s heute was Besonderes in der Schule?«

      »Nö.«

      »Hast du viel zu tun, meine Maus?«

      Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte echt noch einiges an Hausaufgaben zu erledigen. Und später musste ich noch mal in die Schule. Um fünf fing dieser blöde Kurs an, zu dem mich die Mansky verdonnert hatte.

      »Wer war der Typ da unten?«, fragte ich statt einer Antwort. »Wer kommt denn auf die blöde Idee, in Godesbach einen Film zu drehen? Und dann ausgerechnet bei uns …« Ich griff nach dem dritten Croissant, ließ es dann aber zurück auf den Teller fallen. Wenn ich so weiterfraß, würde das nie was mit Timo.

      »Das war ein Finne, der hieß Fynn. Also er heißt immer noch so. Ein Finne, der Fynn heißt.« Sie kicherte leise.

      »Toll, Mama, das habe ich auch kapiert.« Es machte mich wahnsinnig, wenn sie so albern und umständlich sprach.

      »Er wollte das Café wieder als Café herrichten, ich habe ihm gesagt, dass im Schuppen noch die alten Tische und Sessel stehen.«

      »Die sind doch längst verschimmelt …« Aus den Augenwinkeln sah ich, dass irgendwer mir eine WhatsApp geschrieben hatte. Timo konnte es nicht sein, der hatte meine Nummer nicht. Noch nicht. Pfff. Träum weiter, kleine Charlott’. Als ob! Als ob er dich Charlott’ nennen würde … Als ob er dich küssen würde …

      »Ja, aber trotzdem. Es wäre schön gewesen, das Café noch einmal so einzurichten wie früher. Der war nett. Findest du nicht auch?«

      »Wer?«, fragte ich, stand auf und trat ans offen stehende Fenster. Von hier aus konnte man in den Garten sehen. Früher war er größer gewesen, doch nun hatte sich von rechts die grau verschalte Halle der Metzgerei Hein auf unser Grundstück geschoben und alle verbliebenen Birnenbäume plattgemacht. Auch der hintere Teil war von Dagmar verkauft worden. An die Spedition Hammermann, die daraufhin ihren Hof vergrößert hatte. Tag und Nacht fuhren nun die großen Laster donnernd an dem Maschendrahtzaun vorbei.

      Der alte Holzschuppen, den Mama erwähnt hatte, stand wie eine verrottete Kiste unter dem Kirschbaum. Früher hatte der Baum massig Früchte getragen, ich war im Sommer oft hineingeklettert, um mir den Bauch mit den dunkelroten, herzförmigen Kirschen vollzuschlagen. Doch damit war es schon lange vorbei. Der Baum starrte zu mir herüber. Total mies drauf. Kein Wunder, er war schließlich der letzte Baum im Garten.

      »Der Garten sieht so was von scheiße aus, Mama. Nur weil wir angeblich Geld brauchen.«

      »Du hast den Fernseher bekommen und den Laptop hat sie dir auch spendiert.«

      Jaja, musste sie mich