Dazu, zu ihrer Andersartigkeit, gehörte auch ihre Liebe zur Spinnerei. Wann immer jedoch sie sich in das Zimmer zurückzog mit dem großen Spinnrad, wo sie ja etwas tat, was für jede andere Hansefrau weit unterhalb ihrer Würde gewesen wäre, konnte man allerdings davon ausgehen, dass am Ende etwas dabei herauskam, was Opfer forderte.
Wie das Opfer, zu dem jetzt Adele sich gezwungen sah: Margarethe hatte ihr in ihrem typisch gespielt sanftmütigen Tonfall erklärt, dass ein Johann Wetken nicht nur einen unverzeihlich verabscheuungswürdigen Namen trüge, sondern eben zu jenem „kranken Geschmeiß“ zählte – so wörtlich! -, das man tunlichst zertreten sollte.
Auf keinen Fall, unter keinen Umständen, jedoch sollte sich eine echte Brinkmann mit diesem hansischen Abschaum abgeben. Allein die Nähe zu jenen würde einer porentiefen Selbstbeschmutzung gleich kommen.
Solch drastische Äußerungen bekamen nur die Opfer ihrer Entscheidungen zu hören. Margarethe Brinkmann konnte ja auch anders. Eben wenn sie als die grundgütige Oma auftrat mit dem Hang zu einem Hobby wie das Bedienen eines Spinnrades. Aber doch nur, um ihre Gegner und künftigen Opfer zu täuschen.
Das wusste jeder im engeren Kreis der Gilde, nicht nur jeder Brinkmann, ob nun männlich oder weiblich. Weil sowieso jeder Brinkmann und alle, die sich ihrem Hause zur gemeinsamen Gilde angeschlossen hatten, es längst schon und oft genug am eigenen Leibe hatte erfahren müssen. Egal eben ob männlich oder weiblich.
Dabei war offiziell Hermann Brinkmann der Hansekaufmann und Gildenführer, der es geschafft hatte, aus der Gosse aufzusteigen – wie die Wetkens es wohl formuliert hätten, obwohl es natürlich nicht wirklich zutraf – und zum Licht der Obrigkeit empor zu kriechen, um - abermals nach Meinung wohl der Wetkens - das Gildenwesen der Hansekaufleute von Hamburg nachhaltig zu beschmutzen und zu entehren.
Adele indessen war das völlig egal gewesen. Alles dies! Vor allem natürlich seit sie Johann Wetken zum ersten Mal gesehen hatte.
Eine eher zufällige Begegnung. In gewisser Hinsicht zumindest. Denn Adele hatte es doch tatsächlich gewagt, außerhalb der Gilde an einem für sie strikt verbotenen Fest teilzunehmen.
Oh, sie war eigentlich wohlerzogen, hatte alles gelernt, was eine echte Brinkmann ausmachte, wenn sie nicht gerade Margarethe hieß und mit eiserner Faust aus der Deckung hinter ihrem Gemahl heraus über alles herrschte. Sie hatte nicht nur gelernt, an einem Ball teilzunehmen, ohne sich zu blamieren, sondern sogar, sich dabei angenehm hervorzutun. Also bestand sie auch ihren Auftritt bei einem für sie verbotenen Fest im Hansehaus Schopenbrink.
Verboten allein schon deshalb, weil es kein Fest war innerhalb der Gilde, sondern in einem neutralen Hansehaus, weil sich die Schopenbrinks weder den Brinkmanns noch den Wetkens angeschlossen hatten.
Ja, das gab es noch, denn die Obrigkeit von Hamburg im Jahre des Herrn 1602 bestand natürlich nicht allein aus Brinkmanns und Wetkens. Obwohl Margarethe genau dies aktiv anstrebte, um nach der Vernichtung der Wetkens dann endgültig die Obrigkeit in Hamburg ganz allein zu bestimmen.
Aber bis dahin war noch ein weiter Weg, wie sie zähneknirschend zugeben musste. Vor allem waren ihr dabei ausgerechnet eben die Wetkens im Weg, und das jetzt schon seit Jahrzehnten, seit dem unaufhaltsamen Aufstieg der hansischen Brinkmanns.
Ja, die Wetkens hatten es bislang geschafft, sich den Brinkmanns zu widersetzen, sich nach wie vor zu behaupten.
Dabei war die Brinkmann-Gilde zwar zur zweitmächtigsten Gilde in Hamburg aufgestiegen, aber eben noch immer nicht zur mächtigsten!
Und da ausgerechnet lernte Adele auf einem für sie verbotenen Fest im Hansehaus Schopenbrink ausgerechnet Johann Wetken kennen, der in einigen Jahren das neue Oberhaupt der Wetken-Gilde werden sollte, falls es nach den Plänen des gegenwärtigen Gildenoberhauptes Georg Wetken ging?
Aber auch Johann war verbotenerweise vor Ort gewesen. Und er hatte dabei zum ersten Mal in seinem Leben „seine“ Adele gesehen, um auf der Stelle für sie zu entflammen.
Sie hatten sich einfach nur ansehen müssen, um zu wissen, dass sie füreinander bestimmt waren. Allen Gewalten zum Trotz.
Eine Liebe, wie sie größer gar nicht mehr hätte sein können. Aber eine Liebe, wie sie gleichzeitig gar nicht verbotener hätte sein können!
Zwei Gilden, die sich gegenseitig dermaßen hassten, dass sie sich gegenseitig den Tod oder noch Schlimmeres wünschten... Und dann dies: Die Enkelin von Margarethe und Hermann Brinkmann, verliebt in den heimlichen „Thronfolger“ der Wetken-Gilde – und umgekehrt!
Adele wusste nicht, ob auch Johann inzwischen von seinen Leuten ertappt worden war. Sie wusste noch nicht einmal, wie ihre Oma Margarethe es überhaupt hatte erfahren können. Sie und Johann waren doch so überaus vorsichtig gewesen. Sie hatten sich seit ihrem Kennenlernen vor gut drei Monaten nur ganze fünf Mal gesehen, immer nur viel zu kurz und beinahe nur flüchtig. Da war noch nicht einmal Zeit gewesen für einen innigen Kuss!
Während sie sich in der übrigen Zeit vor Sehnsucht füreinander regelrecht verzehrt hatten wohlgemerkt.
Aber war sie gerade deswegen aufgefallen? Weil man ihr die grenzenlose Verliebtheit regelrecht angesehen hatte? War es denn wirklich zu offensichtlich geworden, trotz aller Bemühungen, es nicht deutlich werden zu lassen?
Aber wem war es aufgefallen, also wer hatte sie letztlich an Margarethe verraten?
Die Warnung ihrer Großmutter war eindeutig gewesen. Sie hatte zwar nicht wörtlich ausgesprochen, dass jegliches weitere Treffen mit Johann einem Todesurteil gleich kommen würde, zumindest für Johann, aber dies stand eben unausgesprochen und nach wie vor als grausame Drohung im Raum.
Einmal abgesehen davon, dass alle ihrer Großmutter Margarethe gehorchenden Kräfte darauf gebündelt waren, genau ein solches Treffen nachhaltig zu verhindern.
Und Adele wusste aus bitterer Erfahrung, wie effektiv diese Kräfte sein konnten, denen sie sich unterwerfen musste, ob sie nun wollte oder nicht. Allein schon, um das Leben ihres über alles Geliebten nicht zu gefährden.
2
Nach Einbruch der Nacht war Johann Wetken immer noch unterwegs. Offiziell weilte er daheim in seinen Privatgemächern und wollte nicht gestört werden. Hier draußen befand er sich höchst inoffiziell, denn er war unterwegs, um sich mit Adele zu treffen, mit seiner über alles geliebten Adele. Noch wusste er ja nichts von dem Verbot der innerhalb der Brinkmann-Gilde wahrhaft allgewaltigen Großmutter Margarethe.
Und so war er viel zu früh am verabredeten Treffpunkt. Einerseits eben zu früh, weil sie unmöglich schon um diese Zeit vor Ort sein konnte, auch wenn sie hätte kommen können. Andererseits jedoch zu spät, weil die Entscheidung der Margarethe Brinkmann längst in die Tat umgesetzt wurde: Adele würde ohne Einwilligung ihrer Oma keinen Schritt mehr allein tun können, weder innerhalb noch außerhalb des Hansehauses Brinkmann, und eine solche Einwilligung war inzwischen unwahrscheinlicher noch als die Rückkehr des Adelstums nach Hamburg zu jener Zeit.
Wie immer verbrachte Johann die Warterei einerseits voller Vorfreude, andererseits jedoch mit durchaus sorgenvollen Gedanken um seine Geliebte. Es erfüllte ihn nämlich nicht mit Freude, es immerhin riskieren zu müssen, dass sie sich