„Bitte sagen Sie mit Bescheid, falls Sie noch etwas haben, das für die Ermittlungen wichtig sein könnte!“
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Der kleine Presseraum im Polizeigebäude in Grønland war gut gefüllt, als Ragnhild Eikemo, Kjersti Fogersen, Anders Nygard und Erland Hegge an dem langen Tisch gegenüber der versammelten Presse Platz nahmen.
Ragnhild begrüßte die Anwesenden und gab sofort an Kjersti weiter.
„Mein Name ist Kjersti Fogersen, ich leite die Ermittlungen im Mordfall Per Lunde. Wie sie alle sicher wissen, wurde Per Lunde am gestrigen Abend gegen 19: 00 Uhr am Grev Wedels Plass tot aufgefunden. Sein Leichnam lag auf dem Sockel des Denkmals für General Otto Ruge. Laut Obduktionsbefund ist Fundort nicht gleich Tatort. Per Lunde wurde mit mehreren Messerstichen im Brustbereich getötet und dann an den Fundort verbracht. Da der Ort sich im erweiterten Bereich des Forsvarsdepartementet befindet, haben wir uns dort informiert und konnten uns mithilfe eines Videos einer Überwachungskamera davon überzeugen, dass Lunde mit einem Lieferwagen an den Grev Wedels Plass gebracht und mit einem Rollstuhl zum Denkmal gefahren worden und dort abgelegt worden ist.“
„Welche sind Ihre aktuellen Ermittlungsansätze?“, wollte der Vertreter vom Dagbladet wissen.
„In diesem frühen Stadium ermitteln wir in allen Richtungen“, antwortete Ragnhild.
Kjersti ergänzte: „Natürlich müssen wir die Arbeit von Per Lunde der letzten Zeit unter die Lupe nehmen.“
„Was können Sie zur Tatwaffe sagen?“, fragte eine Reporterin von Verdens Gang.
„Es muss sich um ein großes Messer handeln, wie es in Küchen oder bei der Jagd verwendet wird“, ließ sich anders vernehmen.
„Lässt der Fundort vermuten, dass es einen Bezug zum Militär gibt?“, fragte ein Herr Magnussen von NRK.
„Bislang nicht“, sagte Erland Hegge, der Polizeijurist. „Wir kooperieren aber eng mit dem Forsvarsdepartementet.“
Es folgten noch wenige Fragen zum Opfer und zum Fundort, sodass Politistasjonssjef Ragnhild Eikemo die Pressekonferenz um 15: 40 Uhr beendete.
Als Kjersti, Anders und der Polizeijurist wieder in ihrem Büro waren, schlug Kjersti vor: „Lass uns in den Maridalsveien fahren und dem Journalisten Brage Eggen einmal auf den Zahn fühlen! Bitte suche einmal die Adresse heraus, Anders! Und dann trage mithilfe des Zeitungsarchivs zusammen, welche Artikel in den letzten zwei Jahren von Per Lunde veröffentlicht worden sind. Ich fahre mit Erland zu Eggen.“
„Geht klar!“, antwortete Anders. Das mochte sie an ihm, dass er sich stets ohne jede Eitelkeit ins Team einordnete.
Als sich Kjersti und Erland ins Auto setzten, berichtete Aamund Johannessen in der obersten Etage in der Dronning Eufemias Gate seinem Vater vom Tagesgeschehen in der Firma und von dem Mordfall Lunde.
6
Ihren Gesprächspartner hatten sich Kjersti und Bragge anders vorgestellt. Anstelle eines forschen und agilen Journalisten empfing sie ein sichtlich nervöser und unsicherer Brage Egge.
„Guten Tag, Herr Egge, können wir Sie kurz sprechen? Ich bin Kjersti Fogersen und das ist Erland Hegge, unser Polizeijurist.“
„Natürlich. Übrigens kenne ich Sie von einigen Pressekonferenzen. Bitte treten Sie ein!“
Die Polizisten gelangten in ein Wohnzimmer, das wohl gleichzeitig als Arbeitszimmer diente. Sie nahmen in der Sitzgarnitur Platz und Kjersti wollte die gewohnte Eröffnungsfloskel benutzen, als Brage ihr zuvorkam.
„Sie kommen wegen Per, nicht wahr? Ich habe Sie erwartet.“
„Wie gut kannten Sie Per Lunde?“
„Wir haben als Kollegen des Öfteren zusammengearbeitet. Außerdem war ich mit den beiden befreundet. Die arme Pia!“
„Sie waren heute Nachmittag nicht auf unserer Pressekonferenz?“
„Nein, das konnte ich nicht. Außerdem war ich bei Pia. Sie braucht jetzt Unterstützung.“
„Können Sie uns sagen, ob Lunde zurzeit an einem Fall dran war?“
„Soviel ich weiß, recherchierte er in Sachen Johannessen-Werft. Von irgendeinem Rüstungsprojekt hat er mal erzählt. Genaues weiß ich aber nicht.“
„Ist Ihnen in der letzten Zeit etwas an Ihrem Freund aufgefallen?“
„Nichts Besonderes. Wir Journalisten haben schon mal Stimmungsschwankungen, je nachdem, wie sich der aktuelle Fall entwickelt:“
„Fühlte sich Per unter Druck gesetzt, gar bedroht?“
„Ich habe jedenfalls nichts bemerkt:“
„Hat Per irgendwann einmal erwähnt, dass er Connections zum Verteidigungsministerium hat?“
„Wir Journalisten haben alle irgendwo eine „Connection“! Ist Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Job.“
„Fällt Ihnen ein Name ein, den Per einmal erwähnt hat?“
„Ich glaube, er hat hin und wieder den Namen Børge erwähnt.“
In Kjerstis Kopf arbeitete es.
„Eine Routinefrage: Wo waren Sie gestern in der Zeit von 17: 00 bis 20: 00 Uhr, Herr Eggen?“
„Ich weiß, dass Sie das fragen müssen. Ich war hier zu Hause und habe geschrieben. Allein.“
Kjersti und Erland erhoben sich.
„Herr Eggen, bitte setzen Sie sich mit uns in Verbindung, wenn Ihnen noch etwas einfällt, das nützlich sein könnte!“, sagte Kjersti, als sie zur Haustür gingen.
Wenn die beiden Polizisten sich umgedreht und durch die Glastür geblickt hätten, wäre Ihnen aufgefallen, dass Eggen im gleichen Moment sein Handy zum Ohr führte, als die Haustür ins Schloss fiel.
7
Als Kjersti Erland im Polizeigebäude abgesetzt hatte, nahm sie ihr Privatauto und fuhr in Richtung Radhusplassen. Gleich würde sie Øyvind Løvland treffen. Sie freute sich auf dieses Treffen, weil sie Øyvinds ruhige Art jetzt brauchte, nachdem sie sich seit gestern Nachmittag in permanenter Anspannung befand. Mehrere SMS von Seiten ihres Mannes hatten keineswegs für Entspannung gesorgt.
„Wann kommst du heute nach Hause? Ich glaube Lillian wird krank“, war der Wortlaut der letzten.
In der Sjøgata bog sie in das Parkhaus ein und stellte ihr Auto ab. Sie genoss es, an den Geschäften und Restaurants vorbeizuschlendern und hielt auf den Klokketårn, den Uhrenturm, am Kai zu. Es war kurz vor fünf, aber Øyvind wartete bereits. Immer noch der alte Pünktlichkeitsfanatiker, dachte sie. Sie umarmte ihren Exkollegen zur Begrüßung und sagte: „Schön, dass du für mich Zeit hast!“
„Wenn ich von allem so viel hätte wie Zeit!“, entgegnete der Pensionär.
Sie gingen in Richtung Fährterminal, als Øyvind fragte: „Sollen wir hier direkt einkehren oder möchtest du noch ein Stück gehen?“
„Gehen wäre gut, ein wenig den Stress rauslaufen“, antwortete die Kommissarin.
Sie reihten sich ein in den Strom der Flanierenden auf Aker Brygge und schlenderten in Richtung Astrup Fearnley Museum.
„Ein ermordeter Journalist also?“, war Øyvinds rhetorische Frage.
„Per Lunde. Kanntest du ihn?“
„Selbstverständlich. Halte mich nicht für pietätlos, Kjersti! Eine Zecke war der!“
„Hoppla, Øyvind, so emotional?“
„Ist doch war!