„Hei“, erwiderten die Kommissare und reichten ihm die Hände.
„Schön, dass Sie so schnell kommen konnten, damit wir gemeinsam diese, ich sag mal, unappetitliche Angelegenheit aufklären können.“
Bei Kjersti blinkten bei dieser Bemerkung die Alarmlämpchen: Was dachte der Offizier sich? Verbrechensaufklärung war ihre Sache, und da sich selbiges auf dem erweiterten Terrain des Verteidigungsministeriums ereignet hatte, war es allenfalls ein Gebot der Fairness und Kollegialität, das Militär gleich zu Beginn einzubeziehen und zu befragen.
„Bitte kommen Sie mit in unseren Besprechungsraum!“, sagte Haugland und ging voran.
Die drei gingen über einen schier endlosen Flur, an dessen Ende sich ein Raum befand, in dem etwa ein Dutzend Personen Platz an einem ein langen Tisch gefunden hätten. Am vorderen Teil hatte jemand Getränke bereitgestellt. Anders dachte, wie oft er zu Anfang seiner Militärzeit für seinen Zug Kaffee gekocht hatte.
„Bitte nehmen Sie Platz! Ist schon schlimm, so ein Mord auf dem historischen Boden von Akershus!“
„Herr Haugland, es mag für Sie etwas hypothetisch klingen, aber ich muss Sie fragen, ob Sie und Ihr Ministerium irgendeinen militärischen Bezug zu der Tat und zu dem Opfer sehen.“
„Ist doch selbstverständlich, dass Sie das fragen. Ich habe mich heute Morgen extra mit meinen Vorgesetzten beraten und kann Ihnen sagen, solange wir noch nichts Näheres wissen, sehen wir keinerlei Bezug. Wer war denn der Tote?“
Kjersti überlegte einen Moment, sagte aber dann: „Ein Journalist, Per Lunde. Sagt Ihnen der Name etwas?“
„Ich kenne bzw. kannte Per Lunde im Rahmen meiner Pressearbeit, nicht persönlich, aber von einigen seiner Artikel.“
„Lunde war das, was man ‚Enthüllungsjournalist‘ nennen könnte. Können Sie sich vorstellen, dass er an einer Sache dran war, die Ihr Haus tangiert bzw. in der Vergangenheit einmal tangiert hat?“
Haugland zögerte mit seiner Antwort, als müsste er die Worte abwägen.
„Ich erinnere mich an ein Thema, das ihn wohl zu beschäftigen schien. Er stellte in einer Pressekonferenz mehrere Fragen zu einem Rüstungsprojekt. Nicht ungewöhnlich, danach fragen alle. Aber ich fand seine Hartnäckigkeit schon penetrant. Wenn wir schon einmal bei diesem Thema sind: Gestatten Sie, dass ich einen Kollegen hinzuziehe, Leutnant Hustad vom Norsk Etterretningstjeneste?
„Was sollte das jetzt?“, dachte Kjersti. Ein Mann vom norwegischen militärischen Geheimdienst? Hatten sie bereits in ein Wespennest gestochen?
Haugland telefonierte kurz und dann betrat ein drahtiger Offizier den Besprechungsraum und stellte sich als Børge Hustad vor.
„Es geht um den ermordeten Journalisten, Per Lunde. Die beiden Kommissare möchten wissen, ob der sich für unsere Angelegenheiten interessiert hat“, setzte Haugland seinen Kollegen ins Bild.
„Was Lunde immer interessiert hat, waren Rüstungsprojekte, Aufträge zur Beschaffung, die beauftragten Firmen. Schien wohl sein Steckenpferd zu sein.“
„Und was konnten sie ihm anbieten?“, fragte Anders, der sich in Anwesenheit der beiden Militärs wohlzufühlen schien.
„Natürlich nicht mehr als das, was über die Pressestelle und das Parlament ohnehin an die Öffentlichkeit gelangt ist“, antwortete Hustad.
„Ich hatte damals den Eindruck, Lunde war auf der Suche nach einer Art Skandal, einer Story, die er gern groß rausgebracht hätte. Aber da war nichts.“
„Um welchen Rüstungsauftrag ging es?“, fragte Anders, der die Befragung der Soldaten an sich gezogen hatte.
„Es ging um die Patrouillenboote, über die in der Presse auch berichtet wurde.“
„Und wer hat den Bauauftrag bekommen?“
„Auch das wurde öffentlich gemacht: die Werft Johannessen hier in Oslo.“
Anders warf Kjersti einen flüchtigen Blick zu.
Kjersti fand, dass sie sich wieder in das Gespräch einschalten sollte.
„Eine andere Frage: Gibt es im Bereich des Fundortes beim Denkmal von Otto Ruge Überwachungskameras?“
Der Offizier des Abschirmdienstes sagte nach einer kurzen Zeit des Überlegens: „Selbstverständlich. Ob jetzt genau dort, müsste ich nachsehen. Aber hier auf dem Gelände des Forsvarsdepartementet gibt es mehrere Kameras.“
„Könnten Sie uns die Aufnahmen, die für den Fundort der Leiche relevant sind, zur Verfügung stellen?“
„Da müsste ich zuerst meine Vorgesetzten fragen.“
‚Verdammte Hierarchie!‘, dachte Anders. ‚Da hat sich seit meiner Zeit nicht viel geändert.‘
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir schauen uns die betreffenden Aufnahmen hier an. Das kann ich verantworten.“
‚Na immerhin‘, dachte Anders.
„Danke, damit würden Sie uns sehr helfen“, bemerkte Kjersti höflich. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass man Beteiligte, deren Aussagen ihr helfen könnten, nicht unter Druck setzen sollte.
Leutnant Hustad telefonierte mit einem seiner Techniker und bat ihn, Aufnahmen des Bereiches um das Monument herauszusuchen.
„Dann bitte ich Sie, mit mir in den Videoraum zu kommen“, sagte der Offizier.
Die Polizisten sowie Haugland folgten dem Geheimdienstler. Anders war in seinem Element. Technik, noch dazu im militärischen Bereich, hatte ihn immer interessiert.
Das Innere des Videoraumes wurde dominiert von einem Halbrund aus einem Dutzend Monitore, vor dem ein Konstabel Platz genommen hatte und die einzelnen Bildausschnitte heran- oder wegzoomte. Er war offensichtlich der Soldat, mit dem Hustad vorhin telefoniert hatte, denn er begrüßte die Polizisten mit der Information, dass es keine direkt auf das Denkmal gerichtete Kamera gebe.
„Diese hier aber könnte sie interessieren!“, sagte er und deutete auf einen Monitor in der Mitte. Das Bild zeigte einen Ausschnitt im Bereich des Grev Wedels Plass, genauer gesagt, den Eingangsbereich von Gamle Logen, dem Veranstaltungshaus an der Kirkegate.
„Die Aufnahme zeigt den zeitlichen Bereich in den zwei Stunden vor dem Eintreffen der Wagen mit Blaulicht. Ich lasse jetzt den Zeitraffer laufen.“
Die fünf Anwesenden im Raum starrten gebannt auf den Bildschirm. Zu sehen war der bekannt ruhige Verkehr auf der Kirkegata. Etwa zehn Autos bewegten sich mit Schrittgeschwindigkeit an der Parkseite entlang.
„Stop!“, rief Kjersti in die Runde und der Konstabel reagierte sofort. Der Film stoppte in dem Moment, in dem ein dunkelblauer Caddy vor Gamle Logen anhielt.
„Weiter!“, rief Kjersti. Ein Mann stieg aus. Er trug einen dunklen Mantel, dessen Kragen er nach oben geklappt hatte. Dieser sowie Schal und Wollmütze verhinderten den Blick auf sein Gesicht.
Der Mann öffnete die große Heckklappe und holte einen sperrigen Gegenstand heraus.
„Ein Rollstuhl!“, rief Anders.
Der Mann wuchtete ihn aus dem Caddy und die Beobachter vor dem Bildschirm riefen nahezu gleichzeitig: „Scheiße, das sitzt ja schon einer drin!“
Deshalb war ihnen die Bewegungen des Mannes so ungelenk vorgekommen, weil er den Rollstuhl sozusagen samt Insassen aus dem Auto hieven musste. Ganz offensichtlich verfügte der Vermummte über immense Kräfte.
„Können Sie das Nummernschild heranzoomen?“, fragte Anders.
„Könnte schon, aber der hat keins!“, antwortete der Konstabel.
Jetzt sahen es alle im Raum: Die Kennzeichen waren abmontiert worden!
Der Film lief weiter, bis allmählich der dunkelgekleidete Mann, der einen Toten im Rollstuhl