Delete. Petra Ivanov. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Ivanov
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783858827814
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in den Mund schiebt. Sie versucht, den Kopf zu schütteln, doch es sieht eher so aus, als sei er gar nicht richtig festgemacht.

      «Ich wusste, dass dein Vater nicht auf dich aufpassen würde!», wettert Mam. «Er ist noch genauso verantwortungslos wie früher! Von Erziehung versteht er absolut nichts! Kümmert er sich überhaupt um dich? Weiss er, was du treibst?»

      Ich kratze mich, damit mir die Haare ins Gesicht fallen. Unauffällig schiebe ich mit einer Hand die Kopfhörer über die Ohren.

      «Die fänsterläde bliibed zue», meint Phenomden. «S isch halt niemerd dihei.»

      Yeah. Der Rhythmus fliesst durch meinen Köper. Meine Nase pocht im selben Takt. Ich stelle mir eine Menschenmasse vor, die an mir vorbeizieht. Sie bewegt sich wie ein Fluss, gleichmässig und kraftvoll. Alle Blicke sind geradeaus gerichtet. Niemand beachtet mich. Ich gehöre nicht dazu, sondern stehe abseits. Eine angenehme Wärme breitet sich in meinem Körper aus. Manchmal muss ich mich einfach ausklinken. Meistens in den dümmsten Momenten. Aber wenn ich es nicht tue, funktioniere ich gar nicht mehr.

      «Nimm diese verdammten Kopfhörer ab, wenn ich mit dir rede!», erklingt Mams schrille Stimme.

      Ich zucke zusammen. Julie steht jetzt neben mir. Ihre Lippen bewegen sich, doch ich verstehe nicht, was sie sagt. Ohne Musik fühlt sich die Welt wie eine raue Wolldecke an.

      «Mein Sohn soll es mir selber beichten, wenn er etwas ausgefressen hat!», meint Mam.

      «Ich brauche nur etwas Geld», wiederhole ich. «Niemand ist schwanger.»

      «Wofür?»

      «Einfach so.»

      Mam verschränkt die Arme.

      Ich weiss nicht, was ich ihr erzählen soll. Julie gibt mir Zeichen, die ich nicht verstehe. Als ich weiterhin schweige, ergreift sie das Wort.

      «Frau Cavalli, ich möchte mich nicht einmischen, aber …»

      «Ich hab gesagt, das reicht!» Mam schiebt sich zwischen uns. «Christopher, ich will von dir wissen, was los ist!»

      Ich brabble etwas von Schulden und miesen Typen, dass es nie wieder vorkommen und ich mich bessern würde. Dazwischen streue ich viele Entschuldigungen ein. Ich verspreche sogar, mit dem Rauchen aufzuhören, obwohl das gar nichts damit zu tun hat.

      Mam reagiert nicht.

      «Bitte, Mam!»

      Lange schweigt sie. Als sie Luft holt, zittert sie leicht. «Ich dachte, wir hätten das alles hinter uns. Warum, Christopher? Warum setzt du alles aufs Spiel? Was ist es diesmal? Wieder Einbrüche? Oder hast du dir etwas Neues einfallen lassen?» Sie schluckt. «Ich habe geglaubt, dass du aus deinen Fehlern gelernt hast. Offensichtlich habe ich mich getäuscht. Aber genug ist genug. Diesmal musst du selber schauen, wie du deinen Kopf aus der Schlinge ziehst. Mein Leben lang habe ich alles für dich getan. Statt dich zu bedanken, machst du mir nur Kummer. Habe ich das verdient?»

      Das ist eine Fangfrage. Wenn ich Ja sage, geht sie in die Luft. Wenn ich Nein sage, gebe ich ihr einen Grund, weiter über mich herzuziehen. Also halte ich den Mund. Ich fixiere einen Punkt am Boden und starre so lange darauf, bis ich ihre Stimme nicht mehr höre.

      Hätte mein Handy nicht geklingelt, wäre ich noch ewig so dagesessen. Als ich den vertrauten Klingelton höre, beginnt mein Herz zu hämmern. Was soll ich dem Russen sagen? Soll ich lügen und ein Treffen vereinbaren? Was, wenn er Lily irgendwo versteckt und zuerst die Kohle sehen will?

      «Chris!», zischt Julie.

      Ich fische das Handy aus meiner Hosentasche. Dabei verfangen sich meine Finger im Kabel des Kopfhörers, sodass sowohl Handy als auch Kopfhörer zu Boden fallen. Als ich mich bücke, schiesst mir das Blut in den Kopf und löst eine neue Schmerzwelle aus.

      «Chris?», erklingt eine Mädchenstimme. «Ich bin’s, Nic. Ich bin immer noch in Erlenbach. Meine S-Bahn fährt in fünf Minuten. Ich habe etwas Geld aufgetrieben, aber nicht viel, sorry. Ladina ist weg. Sie hätte uns bestimmt mehr gegeben.»

      Trotz der schlechten Nachricht fällt mir auf, dass Nic von «uns» spricht. Ich hatte nie viele Freunde. Ausser Leo eigentlich keinen einzigen. Kollegen, ja. Aber das ist nicht das Gleiche. Dass das heisseste Mädchen der Stadt zu mir hält, wenn ich in Schwierigkeiten stecke, macht mir Mut.

      «Wie läuft’s bei euch?», fragt Nic.

      «Geht so.»

      «Treffen wir uns am Bahnhof? Ich könnte um 12.30 Uhr dort sein. Dann schauen wir weiter.»

      «Okay.»

      «Leo chattet gerade mit Kollegen des Russen. Er wird die Adresse rauskriegen», sagt sie.

      «Kein Russe verrät einem Shipi etwas», widerspreche ich.

      «Leo hat ein Pseudonym.»

      Davon hat er mir nie etwas erzählt. Da Leo wie ich auf Bewährung ist und total Panik hat, nach Kosovo ausgeschafft zu werden, lässt er sich in nichts reinziehen. Er hat früher mal mit dem Taxi seines Vaters eine Spritztour gemacht, und das hat ihm eine Anzeige eingebracht. Dasselbe wiederholte er mit einem Motorboot, aber nur, weil jemand eine Freundin von ihm übel zugerichtet hatte und über den See abgehauen ist.

      Nachdem ich auf «Aus» gedrückt habe, stehe ich auf und gebe Julie ein Zeichen.

      «Wo gehst du hin?», fragt Mam.

      Ich deute zur Tür.

      «Christopher!»

      «Muss los.»

      Sie redet auf mich ein von wegen Verantwortung und solchem Scheiss. Ich hab keinen Bock, ihr zuzuhören. Nicht, nachdem sie mich einfach hängengelassen hat. Julie verabschiedet sich höflich, in dieser Beziehung ist sie wie Leo. Das ist eine Gewohnheit. Genauso, wie ich in der Küche immer meinen Arbeitsplatz putze, bevor ich Feierabend mache. Das hat man mir im ersten Lehrjahr eingetrichtert.

      Julie folgt mir mit gesenktem Kopf. Draussen zieht sie ihre Kapuze hoch, obwohl ihre Haare schon nass sind.

      «Hey», sage ich.

      Sie schaut mich traurig an.

      Ich räuspere mich. «Danke.»

      «Wofür?»

      «Alles.»

      «Ich war keine grosse Hilfe.»

      Auf dem Weg zum Bus überlege ich, was Nic wohl mit «nicht viel» Geld meint. Immerhin ist sie an der Goldküste aufgewachsen. Plötzlich kommt mir ihr Vater in den Sinn. Er sitzt wegen Betrugs im Knast. Wenn jemand weiss, wie man rasch Geld auftreiben kann, dann er.

      Nic wartet schon. Sie verlagert ihr Gewicht ungeduldig von einem Fuss auf den anderen. In ihren hautengen Jeans sieht sie aus, als würde sie tanzen. Julie stürzt sich sofort auf sie und erzählt vom Tramunfall. Es aus ihrem Mund zu hören, klingt viel schlimmer, als es in Wirklichkeit gewesen ist. Zum Glück erwähnt sie nicht, wie ich gejault habe, als Mam mein Nasenbein gerichtet hat.

      «Nic», unterbreche ich Julies Redeschwall. «Wie viel hast du zusammenbekommen?»

      Sie zieht einige Noten hervor. «180 Franken.»

      «Danke.»

      Sie zuckt mit den Schultern. «Es fehlen immer noch 680.»

      «Was ist mit deinem Dad?»

      «Mark? Was soll mit ihm sein?»

      «Er kennt sich mit Geld aus.»

      Nic lacht ungläubig. «Du willst wissen, ob er mir irgendwelche Tricks verraten hat?»

      Julies Augen werden rund.

      Nic schüttelt den Kopf. «Vergiss es.»

      «Kannst du ihn nicht wenigstens fragen?»

      «Glaub mir, auch wenn er etwas wüsste, mir würde er es zuletzt sagen. Ausserdem kann ich ihn nicht anrufen.»

      Das hätte ich mir