Der Physicus. Volker Schmidt, Prof. Dr.. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Volker Schmidt, Prof. Dr.
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347066137
Скачать книгу
informieren, meine ich - sonst gibt es wieder nur Rauben und Morden, wie beim letzten Mal.«

      »Rauben und Morden gibt es in meiner Stadt nicht. Ich denke, das wisst ihr so gut, wie ich. Und dunkel wird es jede Nacht. Dafür brauche ich keinen neuen Grund. Außerdem werde ich unseren allmächtigen Herrn sicher nicht bevormunden. Wenn er uns für irgendetwas bestrafen will, dann ist Panik genau das richtige, um daraus zu lernen. So ist das eben, Patroni. Ihr werdet das nicht ändern, und ich ganz bestimmt auch nicht« gab der Doge zurück und kam sich unglaublich intelligent und fromm vor.

      Im Grunde war damit eigentlich schon alles entschieden, das wusste Giovanni. Der Doge würde nichts unternehmen, was das drohende Unheil noch abwenden könnte. Vielleicht hätte der Doge etwas unternommen, wenn ihn ein anderer davon unterrichtet hätte, aber bei Giovanni Patroni lehnte er jede Bitte, kategorisch und von vorne herein, ab.

      Doch Giovanni war ein sturer Hund und er gab nicht so schnell auf. Er startete einen letzten Versuch, die Bevölkerung vor einer Panik zu bewahren. »So versteht doch« sagte Giovanni, bemüht seine Fassung zu behalten. »Es ist keine Strafaktion. Es liegt vielmehr daran, dass sich der Mond in etwas weniger als einem halben Jahr genau vor die Sonne schieben wird. Und da dessen Durchmesser relativ zur Entfernung genau mit dem Durchmesser der Sonne relativ zu deren Entfernung - natürlich immer gemessen an unserem eigenen Standpunkt Erde - ziemlich genau korrespondieren, wird sich …«

      »Genug« sprang der Doge Giovanni hart ins Wort. »Was redet ihr denn da? Wollt ihr mich für dumm verkaufen?«

      »Aber ehrenwerter Doge. Ich versuche doch nur, euch zu erklären, dass … wenn sich die Erde um die Sonne dreht, und sich der Mond dann dabei …«

      Doch urplötzlich sprang der Doge von seinem Thron und strahlte, als hätte er ein Geschenk bekommen. »Aaa..a..a, was sagt er da? Hat er gerade behauptet, dass sich die Erde um die Sonne dreht. So war es doch, oder? … Stadtkämmerer, was habt ihr gehört?« fragte der Doge den anwesenden Kämmerer, der sich allerdings bisher nur gelangweilt in der Ecke aufgehalten hatte, ohne dabei der Unterhaltung wirklich Folge zu leisten.

      Etwas ertappt richtete er sich nun auf, nahm Haltung an und sagte dann: »Ich, … ähm. Was ich gehört habe? Nun, … ähm … das gleiche wie ihr, euer Hochwohlgeboren. Das gleiche wie ihr. Ich kann es bezeugen« versicherte er und grinste.

      »Ich bin kein Hochwohlgeboren, du Dummkopf« fuhr der Doge den Stadtkämmerer an. »Wann versteht ihr das endlich? Ein Doge wird gewählt, nicht geboren.« Er drehte sich wieder zu Giovanni, dem gerade klar wurde, was er da behauptet hatte. Das war eine Vorlage für den Dogen und er würde sie vermutlich nutzen. »Ketzer wie ihr es seid … Patroni … brauchen wir nicht auf den Straßen Venedigs« sagte er zu ihm und lachte. Dann nahm er einen großen Schluck Wein und trank auf sein eigenes Wohl.

      In der sogenannten zivilisierten Welt glaubte man, oder besser gesagt, man musste glauben, dass sich die Sonne um die Erde dreht, und nicht umgekehrt. Die Erde war unumstößlich das Zentrum der Welt. Und jeder, der dies in Zweifel zog, behauptete damit gleichzeitig, dass der Mensch, als das Werk Gottes, nicht länger im Mittelpunkt der Schöpfung stand. Aber das wiederum war ein direkter Angriff auf die Heilige Schrift und ihren weltlichen Vertreter, die heilige römische Kirche und sogar den Papst.

      Giovanni hatte gerade ein Tabu gebrochen und langsam wurde es ihm auch klar. Was hämmerte er doch immer seinen Schülern ein: »Ein kluger Mann kann denken, was er will, aber er sollte es keinesfalls auch öffentlich aussprechen.« Und schon gar nicht sollte man dies tun, wenn der Gegenüber jeden begangenen Fehler sofort aufnimmt und einen selbst dafür gnadenlos büßen lässt. Und jetzt hatte er selbst diesen Fehler gemacht. Wieder einmal hatte seine große Klappe die Oberhand gewonnen, und ausgesprochen, was besser nie hätte gesagt werden sollen.

      Doch es kam noch schlimmer. Der Doge wollte Genugtuung für die Tage der Demütigung, für die vielen Situationen in denen er von Patroni vor aller Welt als Dummkopf hingestellt wurde. In seiner Gesellschaft fühlte sich der Doge minderwertig und daher nie als Fürst von Venedig. Doch Patroni war auch ein außerordentlicher guter und intelligenter Physicus und alle Welt beneidete den Dogen um diesen vorzüglichen Sterndeuter. Trotzdem. Das Gefühl von erbärmlicher Minderwertigkeit saß tief in seiner Brust. Und jetzt endlich bot sich ihm die Möglichkeit zur Gegenoffensive. Jetzt endlich hatte er etwas in der Hand gegen Patroni, und der Stadtkämmerer hatte es mit angehört. Wie immer würde der alles behaupten, was der Doge hören wollte. Dass Giovanni eine gotteslästerliche Behauptung aufgestellt hatte, konnte - oder vielmehr wollte - der Fürst ihm nicht verzeihen. »Ihr Gelehrten, …« sagte er »… wie ich euch hasse, für eure Überheblichkeit. Für eure Anmaßung, Gottes Werke in den Dreck zu ziehen und eure eigene Welt, selbst neu zu erschaffen. Aber ich werde euch eines Besseren belehren, Patroni. Ich zeige euch, wie die Welt wirklich aussieht, dann werden wir ja sehen, wer hier der Dummkopf ist … Werft ihn in die Kammern. Soll sich die Kirche mit ihm beschäftigen. Die Inquisition wird euch schon wieder zurechtbiegen, und vielleicht, Patroni … eines schönen Tages … lassen sie euch wieder frei, als reuigen Bürger dieser Stadt, falls ihr euch bis dahin auf ein Besseres besinnt habt.« Der Doge lachte verschmitzt und etwas hinterhältig.

      »Und bis es soweit ist, Patroni, dürft ihr in meinen Kammern darüber nachdenken, wie man sich einem Fürsten gegenüber zu benehmen hat.«

      Das war das letzte Wort, das der Doge an Giovanni richtete. Dann wurde er abgeführt und ohne weitere Verhandlung oder Anhörung in die Bleikammern von Venedig geworfen. Niemand übernahm seine Verteidigung und keiner wollte sein Geständnis entgegennehmen. Er hätte natürlich sofort widerrufen, wie es ein vernünftiger Mann täte, wenn er die Möglichkeit dazu bekäme. Doch niemand wollte hören, was er zu sagen hatte. Keiner der Wärter oder Soldaten machte Anstalten sich für ihn oder seine Meinung zu interessieren.

      Dass man einem einfachen Mann nicht zuhört - gut, das konnte Giovanni noch verstehen. Aber er war schließlich der Hofastronom des Dogen, und als solcher galt man doch etwas. Doch hatte er sich abermals getäuscht. Dort, wo er jetzt war, besaß er keinen Namen und keine Stellung mehr, geschweige denn etwas anderes, dass von Wert gewesen wäre. Nicht einmal eine Nachricht konnte er nach draußen senden. Niemand wusste, dass er hier in den Bleikammern einsitzen musste.

      Giovanni wurde in einen dunklen Raum hineingeworfen, ohne Kerze und ohne Fenster. Kein Tageslicht drang hinein in diese abscheuliche Kammer, in der er die nächsten Tage - so glaubte er - fristen sollte, ganz alleine und jeder Sträfling für sich. »Nicht mal so groß, wie die kleinste meiner Kutschen« dachte er und blickte suchend umher. Ein Holzgestell stand in der Ecke und wartete auf müde Besucher. Das war alles. Kein Tisch, kein Stuhl und nichts für die Notdurft. Immer musste er sich bücken, wollte er einen Schritt in die andere Ecke tun, so tief hing ihm die Decke ins Gesicht.

      Er setzte sich auf seine Pritsche, die selbst für italienische Verhältnisse zu klein war, doch dann fiel ihm plötzlich seine Wohnung ein und er sprang auf und stieß mit dem Kopf an die Decke. Er musste doch seinem Hauswart Bescheid geben, dass er die nächsten Tage keine Miete zahlen konnte. »Er wird sie anderweitig vermieten« dachte er. Das hatte er schon einmal getan, als Giovanni auf einer kleinen Reise war. »Sie dauerte doch nur ein einziges Jahr« sagte er damals zu seinem Hauswart.

      Doch den interessierte das nur wenig. »Keine Miete, keine Wohnung« war alles, was dieser darauf antwortete.

      Giovanni setzte sich wieder hin und überlegte. »Aussichtslos …« dachte er »… da ist nichts mehr zu machen. Die Wohnung ist sicher schneller weg, als ich hier raus bin.« Dann dachte er an seinen Freund. »Vielleicht kann er mir helfen? Aber wird er mich hier auch finden? Wahrscheinlich nicht. Wie sollte er auch. Er hat ja gar keine Ahnung … Na ja. Wahrscheinlich komme ich sowieso bald wieder hier raus. Ich muss nur widerrufen« beruhigte er sich und begann erneut mit Warten.

      Doch es kam noch einmal anders, als erwartet. Giovanni, eigentlich ein für italienische Verhältnisse stattlicher großer und aufrechter Mann mit strammen Waden und heftigem Bartwuchs, war nun seit siebenunddreißig Tagen in den Bleikammern von Venedig eingesperrt und bisher hatte es noch immer keine Anhörung gegeben. »Sicher wird es sie auch nie geben« vermutete er mittlerweile und ganz zurecht, denn der