»Warum hat er mich überhaupt eingestellt?« brummte Giovanni vor sich hin. »Er hätte auch jeden anderen einstellen können, der ihm die Sterne deutet. Es spielt sowieso keine Rolle, was ich vorschlage. Er macht doch immer, was er will« greinte er die Wand an, die er bereits seit Stunden vor Augen hatte. »Was hätte ich nicht alles machen können, in der Zeit. Aber nein … Ich muss ja mal wieder die Welt retten. So was Idiotisches. Ich habe wirklich besseres zu tun, als hier zu sitzen und auf diesen eingebildeten Fatzke zu warten.«
Giovanni wartete bereits mehr als zwei Stunden, als einer der Diener des Dogen den Saal, vor dem er sich hingesetzt hatte, verließ. Auf seinen Unterarmen trug er ein Tablett, das mit Bechern und einem Weinkrug bestückt war. »Offenbar lässt man es sich hinter dieser Wand nur allzu gut gehen« dachte er mürrisch, stand auf und trat vor seinen Stuhl. Dann nahm er wieder Platz und wartete geduldig weiter.
Giovanni saß in einem gangartigen Vorraum direkt gegenüber vom großen Saal, in dem der Doge gewöhnlich seine Gäste empfing. Überall an den Wänden waren Bilder, in dafür vorgesehenen Steinrahmen, aufgehangen. Zwei mal zwei Meter maßen alle Gemälde und passten so in dafür vorgesehen Aussparungen in der Marmorwand. Auf jedem Bild war eine Person dargestellt. Manche hatten einen bunten Hut auf dem Kopf, für die Giovanni schon von je her nichts übrighatte und die er teilweise sogar nur allzu peinlich fand. Der Bildhintergrund dagegen war meist einfarbig und langweilig braun dargestellt, damit sich der Blick des Betrachters vollends auf die vordergründig dargestellte Person konzentrieren konnte. Die Absicht des Malers, oder sollte man sagen, die des Dargestellten »… ist so was von durchschaubar« dachte Giovanni und schüttelte den Kopf über diese Einfallslosigkeit.
Da das letzte Gemälde den derzeitigen Dogen darstellte, konnte es sich bei den anderen Personen nur um seine Vorgänger handeln. Hier und da waren die Maler etwas zu ehrlich gewesen, denn Giovanni fiel auf, dass alle Personen auf den Bildern grinsten, wie aufgeblasene Breitmaulfrösche. »Das liegt wohl in der Familie« dachte er, doch eigentlich war das nicht richtig, denn so etwas, wie Titelvererbung gab es in Venedig offiziell gar nicht. Doge zu werden, musste man sich eigentlich verdienen. Inoffiziell wurde allerdings zumeist der Erstgeborene des regierenden Dogen als Nachfolger vorgeschlagen, vorausgesetzt natürlich, er war kein Dummkopf.
Giovanni sah sich die Decke an. Nicht, dass er sie nicht schon vorher hundertmal betrachtet hätte, aber manchmal fand er wieder etwas, das ihm vorher nicht aufgefallen war. Und schließlich hatte er ja nichts anderes zu tun. Er bewunderte die Fresken, die dort aufgemalt worden waren und fragte sich, ob er sich so etwas auch leisten könnte. Der Fußboden kam aus Carrara, da war sich Giovanni sicher. Schon einige Male hatte er diesen Boden bewundert und er kannte mittlerweile jede Ader, die sich im Marmor verbarg. Oft genug, wenn er wieder einmal warten musste, zeigte sein Kopf nach unten und stützten sich seine Unterarme auf die Oberschenkel - so wie heute auch wieder.
Venedig war extrem reich, und sicherlich eine der führenden Städte in der zivilisierten Welt. Es gab Schulen für Geistliche und sogar eine Universität, die von Franziskanern geleitet wurde. Sie trugen alles Wissen der Welt zusammen und vervielfältigten es dann in ihren Skriptorien, die kein Nichtmönch je betreten durfte. Außerdem gab es hier auch Banken und unendlich viele Händler unterschiedlichster Art und Herkunft. Sie verbanden sich alle zu einer Zunft und erhielten dadurch eine stärkere Position, wenn es um rechtliche oder kaufmännische Dinge ging. Jeder Doge erhielt von diesen Zunftleuten seinen Anteil am Geschäft. Und seit hundert Jahren konnte es der Fürst von Venedig - im Sinne des Reichtums - deshalb mit jedem Kaiser, König oder anderen Wichtigtuer in Europa aufnehmen. Geld hatte der Doge im Überfluss und damit forderte er Macht und Einfluss von Kirche und Staat.
Eines war daher mehr als offensichtlich. Italien mit seinen Bankenstädten, wie Genua, Venedig und Mailand, war zu dieser Zeit, Mittelpunkt der Welt und führend in allen Belangen, was nicht gerade zur Demut und Bescheidenheit des herrschenden Dogen beitrug.
»Ich solle mich in Bescheidenheit üben, sagt dieser dumme Mensch gestern doch tatsächlich zu mir. Das ist was, das er besser mal probieren würde« dachte Giovanni noch immer auf seine Audienz wartend. Seit er sich wieder hingesetzt hatte, war niemand mehr, außer einem Dienstboten ab und zu, aus dem Zimmer getreten oder hatte es verlassen. Das konnte eigentlich nur zwei Gründe haben. Entweder gab es eine sehr lange Besprechung, oder, was viel wahrscheinlicher war, der Doge ließ ihn wieder einmal nur Duldsamkeit proben.
Seit einiger Zeit verstand sich Patroni nicht mehr allzu gut mit seinem Fürsten. Drei Jahre war er jetzt bereits Hofastronom in den Diensten des Dogen und zu Beginn ließ er Patroni seine Eigenheiten noch durchgehen, doch immer öfter gerieten die beiden aneinander. Und sogar in der Öffentlichkeit sorgten sie für Aufsehen, wenn sie sich wieder einmal gegenseitig vorführten. Im Grunde wusste jeder Beobachter, dass dieses Verhältnis so nicht mehr lange andauern würde. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sich die beiden gegenseitig die Köpfe eintreten würden. Wer dabei ein paar mehr Beulen abbekommen würde, war eigentlich auch schon klar. Das allerdings beunruhigte Giovanni in keinster Weise. »Man wird sich schon auf vernünftige Art und Weise einigen können« dachte er und meinte dabei seine Abfindung.
Das alles lag für Giovanni momentan aber in weiter Ferne. Denn es gab Dinge, die waren jetzt wichtiger. Giovanni hatte beschlossen, die Streitigkeiten für heute zu vergessen und sich professionell zu verhalten. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als weiter zu warten. Geduldig ging er auf und ab, sah aus dem Fenster auf den nahegelegenen Hof des Palastes, und betrachtete die roten Dächer, die still vor ihm lagen. Vögel saßen darauf und sangen ein Lied. Hinter den Dächern ging die Sonne schon langsam unter und der Himmel färbte sich rot. »Die Engel backen schon. Sehr früh dieses Jahr« dachte er, als endlich sein Name aufgerufen wurde.
Niemand hatte zuvor das Audienzzimmer verlassen, und außer dem Stadtkämmerer war auch keine weitere Person im Raum zu sehen, als Giovanni den Saal betrat. »Also doch …« dachte er »… wieder nur reine Schikane.«
Verärgert über die lange Wartezeit, aber noch immer auf die Zähne beißend, erklärte er dem Dogen, was er bei seinen neuerlichen Himmelsbeobachtungen festgestellt hatte. Doch leider, wie so oft in letzter Zeit, schenkte ihm der Fürst keinen Glauben. Stattdessen wiegelte er nur ab, suchte nach Gegenargumenten und tat alles, um Giovanni zu ärgern, bloß zu stellen oder ihm Unfähigkeit anbieten zu können, auch wenn er selbst nur allzu gut wusste, dass Giovanni der beste Sterndeuter der westlichen Hemisphäre war. »Ehrenwerter Herr Patroni …« sagte der Doge zu ihm, und bereits das war spöttisch gemeint »… warum, frage ich mich - sollte sich denn die Sonne schon wieder verfinstern? Haben wir denn den Allmächtigen irgendwie verärgert, dass er die Sonne abermals ausgehen lässt?«
»Aber nein, nicht doch«, entgegnete Giovanni. »Es ist der Lauf der Gestirne, der hierfür verantwortlich ist. Genau wie schon vor zwei Jahren wird sich der Mond vor die Sonne schieben und sie verdunkeln. Es hat nichts mit Religion zu tun, ehrenwerter Doge.«
»Alles hat mit Religion zu tun, Physicus. Auch wenn euch das nicht immer in den Kram passt. Und vor zwei Jahren wurden wir dafür bestraft, dass wir die Hexe am Leben ließen. Damals sagtet ihr auch, dass dies nichts mit Religion zu tun hätte, und dass es nicht mehr so schnell vorkommen würde. Wenn ich mich recht entsinne, vermutetet ihr, es würde sogar einige Jahrzehnte dauern. Und jetzt steht ihr schon wieder hier, und habt das gleiche ketzerische Gedankengut, wie damals« erwiderte der Doge verärgert darüber, dass Giovanni ihn offensichtlich für einfältig hielt.
»Sicher, ehrenwerter Doge. Ihr habt mal wieder recht. Aber in diesem Fall ist der Grund doch ein anderer« betonte Giovanni vorsichtig. Er wusste um seine Lage und wollte keinen Rauswurf riskieren. Immerhin war der Doge bei seinem wöchentlichen Verdienst nicht kleinlich gewesen. Das durfte man doch keinesfalls leichtfertig aufs Spiel setzten. Andererseits musste er den Fürsten unbedingt überzeugen. Das war schließlich seine Pflicht, andernfalls hätte er nicht wieder in seinen mit Gold verzierten Spiegel schauen können.
»Nun, Giovanni. Ich nehme an, ihr kennt den Grund« höhnte der Doge. »Was genau ist denn eurer Meinung nach die Ursache für den baldigen Untergang der Welt?«
»Ehrenwerter Doge. Ich sage nicht, dass die Welt untergehen wird. Sie wird nur - für eine kurze