Von Hunden, Katzen und anderen Menschen. Gerhardt Staufenbiel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhardt Staufenbiel
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347016613
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den Hinterbeinen tanzen!“ „Der Hund taugt nichts! Er ist zu blöd zum Tanzen!“

      Bei mir musste er nicht tanzen. Wir trieben uns den ganzen Tag im Schuppen herum und trieben lauter Unfug. Manchmal stieg ich in den gewaltigen Kirschbaum und stopfte mich voll mit Kirschen. Waldi stand dann unten und hielt Wache. Aufmerksam beobachtete er mich. Wenn aber meine Klettermanöver zu waghalsig wurden, bellte er laut: „Pass doch auf! Das ist gefährlich!“

      Einmal waren wir beiden im Werkschuppen, als ich eine halb vertrocknete Dose mit roter Farbe entdeckte. Ich malte die alten Dachziegel an, aber irgendwie war das nicht befriedigend. Waldi saß da und beobachtete mich aufmerksam. Und da ritt mich wohl der Teufel. Ich hob ihn auf die Werkbank und begann, seine schöne weiße Brust rot anzumalen. Das war sehr mühsam, denn die Farbe wollte nicht mehr so recht haften. Geduldig saß Waldi da und ließ alles mit sich geschehen. Dann waren alle weißen Stellen rot angemalt. Oh Schreck, wie bekomme ich die Farbe wieder ab? Die Farbe haftete fest am Fell. Meine Tante und die spätere Frau meine Cousins waren so recht erfreut, als sie den armen Hund sahen. Die Farbe war weder durch waschen noch irgend eine andere Maßnahme zu entfernen. Man musste dem armen Hund das Fell abschneiden. Aber es ist ja wieder nachgewachsen.

      Erbost sagte mein Onkel: „Der Hund taugt nichts. Aber offenbar lässt er sich von dir alles gefallen. Du kannst ihn haben!“ Mein Vater war so gar nicht begeistert. „Ein Hund gehört nicht in die Wohnung! Wo sollen wir ihn denn hintun?“

      Er war Eisenbahner. Die Eisenbahner verdienten damals recht wenig. Dafür aber gab es umfangreiche Sozialleistungen. Zur Dienstwohnung im Bahnhof gehörte ein riesiger Garten, der etwa zehn Minuten entfernt am Bahndamm lag. So konnten sich die Eisenbahner mit Obst und Gemüse selbst versorgen. Im Garten standen fünf oder sechs uralte Apfelbäume und fast fünfzig Zwetschenbäume. Die säumten den Auslauf für die Hühner, die nachts in ein großes Hühnerhaus einzogen. Dort könnte ja Waldi seine Hütte bekommen. Dann würde er auch aufpassen, dass der Fuchs keine Hühner holt.

      Also wurde Waldi in einen großen Korb gepackt und in den Güterwagen verfrachtet. Das war billiger, als wenn wir ihn mit ins Abteil genommen hätten. Mein Vater suchte extra einen Bummelzug mit vielen Zwischenstopps aus. Dann konnten wir zum Güterwagen gehen und Waldi, der verzweifelt in seinem Korb bellte, Trost zusprechen. Das hielt an, bis der Zug wieder weiterfuhr. Endlich kamen wir zu Hause an und Waldi durfte seine Hütte am Hühnerstall beziehen.

      Sofort nach der Schule stürmte ich in den Garten und befreite Waldi aus seiner Hütte. Wir tobten durch den Garten oder ich machte in einer Laube, treu bewacht von Waldi meine Hausaufgaben. Bald waren wir unzertrennlich. Nur nachts musste er wieder allein in seine Hundehütte.

      Wir waren frisch zugezogen. Die Heimat eines Eisenbahners liegt wohl auf den Schienen. So waren wir immer Fremde und Zugezogene. Karl Valentin meint zwar, das Fremde nur in der Fremde fremd sind, aber Eisenbahner sind überall in der Fremde. Zudem kamen wir aus dem katholischen Eichsfeld. Aber Hessen war protestantisch. Das war fast schlimmer, als wenn heute ein Muselmane aus fernen Ländern nach Deutschland kommt. In der protestantischen Kreisstadt Eschwege, in der ich eingeschult wurde, gab es sogar eine katholische Bekenntnisschule. Mein Vater meinte, dass ich als katholischer Eichsfelder nicht eine dieser heidnischen allgemeinen Grundschulen besuchen kann. Das Schulgebäude der Bekenntnisschule war im Krieg zerbombt worden und die Unterrichtsräume lagen nun im großen Pfarrhaus. Anfangs gab es nur eine einzige Klasse mit weit über 50 Kindern. Die Lehrer waren entweder im Krieg gefallen oder noch in Ausbildung. So wurde ein alter Schulmeister mit über achtzig Jahren aus der Pension geholt. Er versuchte, die Kindermeute mit kaiserzeitlichen Methoden zu unterrichten. Jeden Morgen nach dem obligatorischen Morgengruß legten wir als Erstes in einem Ritual unsere Hände auf die Schulbänke, die in langen Reihen nebeneinander aufgestellt waren. Der Schulmeister schlug dann mit einer dünnen und elastischen Haselrute auf die Finger. Schulmeisterlein wollte uns so zeigen, dass es besser war, seinem Kommando zu folgen. Disziplin und bedingungsloser Gehorsam sind schließlich das Wichtigste im Leben.

      Der Schlag mit der Haselrute, die pfeifend durch die Luft fuhr, tat so richtig weh, wenn sie mit einem lauten Klatsch auf den halbverhungerten Fingern landete. Ich zog einfach die Hände ganz kurz weg, wenn die Haselrute herunter sauste. Meine Kameraden meinten: „Bist du verrückt, wenn der das sieht setzt es gewaltige Schläge!“ Aber Schulmeister war offenbar schon halb blind und ich sass so etwa an achter oder neunter Stelle in der langen Bankreihe. Soweit konnte er ohnehin nicht mehr sehen. Außerdem rechnete er nicht mit einer derart verderbten Respektlosigkeit.

      Zum Glück kam aber bald eine junge und engagierte Lehrerin und unsere riesige Klasse wurde aufgeteilt. Wir waren vielleicht nur noch etwas über vierzig Kinder. Ich sass in der ersten Reihe und hatte so richtig Spaß am Unterricht. Ständig meldete ich mich und hatte große Freude am Lernen. Die Lehrerin meinte nun, dass ich doch in die letzte Reihe wechseln könnte, damit sie die unaufmerksamen und schwachen Schüler besser im Blick hätte. Aber sofort war mein Lerneifer vorbei. Ich machte Fehler und verlor völlig das Interesse am Unterricht. Ich verstand einfach nicht, was diese merkwürdigen Kringel und Zeichen bedeuten sollten. Sie erklärte zwar: Dies ist ein „O“ und das ein „A“. Dabei malte sie irgendetwas an die Tafel, was ich nicht erkennen konnte. So blieb mir lange Zeit das Geheimnis der Buchstaben völlig verborgen. Ich lernte einfach das Schreiben nicht und quälte mich damit, die merkwürdigen Kringel die ich nicht genau erkennen konnte nach zu malen.

      Bevor die Lehrerin meinen rätselhaften Veränderungen nachforschen konnte, wechselte sie die Schule und wir bekamen einen neuen Lehrer, der nicht von meinem merkwürdigen Wechsel wusste. Außerdem zogen wir in einen neuen „Klassenraum“ um. Das war der Veranstaltungs- und Tanzsaal des Pfarrhauses. Ich saß oben auf der Empore, weit entfernt von der Tafel. Weil ich ganz einfach nicht erkennen konnte, was dort vorn geschrieben wurde, machten wir den ganzen Tag lang nur lauter Unsinn. Wir waren ja soweit entfernt vom Lehrer, dass der unser Treiben oben auf der Empore ohnehin nicht mitbekam.

      Niemand bemerkte, dass ich kurzsichtig war und dringend eine Brille hätte tragen müssen. Es sollte noch viele Jahre dauern, in denen meine schulischen Leistungen ganz rätselhaft zwischen hervorragend und absolut grottenschlecht wechselten. Meine Eltern waren todunglücklich, dass sie ein dummes Kind hatten, das wohl besser auf eine Sonderschule geschickt werden sollte. Erst sehr viel später merkte ich selbst, dass ich offenbar nicht so gut sehen konnte wie meine Klassenkameraden.

      Damals war unser Klassenzimmer ein Wintergarten an einem herrschaftlichen Wohnhaus, das zur Schule umfunktioniert worden war. Der Glasbau war direkt an ein ehemaliges Wohnzimmer angebaut. Im Winter konnte das Wohnzimmer mit einem Kohleofen geheizt werden, aber der Glasanbau war bitterkalt. Also wechselten wir jede Woche die Sitzreihen. Die erste Reihe vorn im Glasbau wechselte in die letzte Reihe im warmen Wohnzimmer und alle anderen rückten eine Reihe vor. Wenn ich vorne saß, waren meine Noten gut und der Unterricht interessierte mich. Hinten aber schrieb ich schlechte Noten. Einmal, als ich gerade wieder in die letzte Reihe gewechselt war, beschwerte ich mich über die Schmiererei vorn an der Tafel. Mein Banknachbar, der später dann einen kleinen Welpen von meiner Waldi bekam, meinte nur: „Der schreibt doch wie immer!“

      Etwa eine Woche später wurde ich dann zum Rektor gerufen, der mir einen Verweis erteilte, weil ich ihn auf der Straße nicht gegrüßt hatte. Erst da merkte ich, dass irgendetwas mit meinen Augen nicht stimmen konnte. Für meine Eltern war es eine kleine Tragödie: „Es ist ein furchtbares Schicksal! Wir haben ein dummes Kind, das zudem auch noch eine Brille tragen muss!“ Aber die Brille hat mich dann doch noch vor der Sonderschule bewahrt.

      Aber zunächst waren wir von Eschwege umgezogen und ich wechselte in die einklassige katholische Bekenntnisschule in Wanfried. Das war ein altes Gebäude, das früher einmal als Hochzeitshaus gedient hatte. Die Bürger mieteten das Hochzeitshaus für Familienfeiern von der Gemeinde. Einmal wurde gerade eine Hochzeit gefeiert, als es einen furchtbaren Knall gab. Das Geschirr auf den Tischen sprang in die Höhe und Gläser zersprangen. Als die Hochzeitsgesellschaft erschrocken aus dem Haus rannte, prangte oben am Berg eine strahlend helle Felswand aus Kalkstein, die vorher nicht dort gewesen war. Der gesamte Berghang war heruntergebrochen und der Kalkfelsen kam zum Vorschein. Diese ,Plesse‘ ist bis heute ein Wahrzeichen des Ortes.

      Die allgemeine Grundschule und die einklassige