Von Hunden, Katzen und anderen Menschen. Gerhardt Staufenbiel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhardt Staufenbiel
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347016613
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dagegen sind Kameraden, die uns bedingungslos vertrauen. Sie sind vielleicht sogar die besseren Menschen? Sicher nicht. Aber sie halten uns den Spiegel vor. Denn mit der Zeit ähneln sie immer mehr ihren Herrchen. Und so haben mich meine Hunde durch die unterschiedlichsten Stadien meines Lebens begleitet. Wenn ich ihre Geschichten erzähle, scheint immer auch mein eigenes Leben darin auf.

      Schon meine Großeltern hatten immer sowohl einen Hund als auch eine Katze. Aber wirkliche Erfahrung mit Katzen habe ich erst in den letzten Jahren gemacht. Da lebten zwei Katzen und ein Hund mit mir zusammen in einem Haus am Waldrand. Nachts waren die Katzen immer unterwegs. Wo sie sich herumtrieben, haben sie mir nie erzählt. Nur manchmal habe ich sie früh morgens gesehen, wie sie hinter einer Maus herjagten. Auch die ,Geschenke‘, die sie immer wieder mit nach Hause brachten, zeugten von ihrem wilden Leben. Ringelnattern waren da noch recht harmlos. Etwas weniger erfreut war ich über die junge Kreuzotter, die zischend auf meinem Teppich lag. Wo hatten sich die Katzen in der nächtlichen Jagd herumgetrieben? Fast könnte man Rilke zitieren:

      Stieg(en) (sie) hinab in das ältere Blut, in die Schluchten, wo das Furchtbare lag, noch satt von den Vätern. Und jedes

      Schreckliche kannte ihn, blinzelte, war wie verständigt.

      Ja, das Entsetzliche lächelte

      wenn sie aber süß schlummernd auf ihren Kissen lagen, wirkten sie völlig unschuldig. Bis sie dann anfingen, meinem Hund in der Mäusejagd zu unterweisen.

      Wenn die Katzen von ihren nächtlichen Abenteuern nach Hause kamen, dann tollte eine der beiden erst einmal mit dem Hund herum. Der Hund knurrte und zog die Katze an den Ohren und schleift sie durchs Zimmer. Die lag aber genüsslich schnurrend auf dem Rücken und wehrte mit tapsenden Pfoten die allzuwilden Angriffe ab. Dann war sie müde und zog sich zum Schlafen an ihren Platz zurück. Das Kommando im Haus hatte eindeutig die unschuldige Katze. Wenn sie spielen wollte, dann spielten und rauften Hund und Katze, wenn sie ihre Ruhe wollte, dann gehorchte der Hund aufs Wort.

      Man sagt den Katzen nach, dass sie neun Leben haben. Dann muss ich wohl eher eine Katze als ein Hund sein. Ich hatte viele Leben, das eines Physikers, eines Philosophen und Erwachsenebildners, eines Tee- und Zen Lehrers, eines Zen-Shakuhachi-Lehrers, eines Wanderers zwischen den Welten in Ost und West und eines Autors. Mein Leben war bunt wie ein Herbstwald. Meine Haare sind nun weiß, aber das Leben war bunt. In Japan sagt man, dass erst das Weiße des Raureifs die bunten Farben des Herbstes hervorbringt. Haben meine weißen Haare das Leben bunt gefärbt oder war es doch eher umgekehrt?

      Aber beginnen wir, von meinen Hunden zu erzählen, die mein Leben begleiteten. Wenn ich an meine Hunde denke, zieht dabei auch mein Leben wie ein Bilderbuch an mir vorbei. Jeder meiner Hunde gehörte zu einem Lebensabschnitt. So wird die Erzählung von den Hunden auch ein kleines Stück meines Lebens und ein Stück Zeitgeschichte widerspiegeln.

       Großvaters Dackel

      Eigentlich habe ich immer mit Hunden zusammen gelebt. Als Kind war es der Dackel meines Großvaters. Mein letzter Hundefreund und Kamerad hat mich erst vor kurzer Zeit verlassen. Wenn ich im Abendlicht auf der Gartenbank sitze und die Stille genieße, blicke ich direkt auf sein kleines Grab. Gestern habe ich ein Vergissmeinnicht darauf gepflanzt.

      Der erste Hund an den ich mich erinnern kann, gehörte meinem Großvater. Es war ein Rauhaardackel oder so etwas Ähnliches. Eigentlich war er kein Dackel, sondern eine richtige Dorfdackelmischung, in der wohl der Dackel die Oberhand hatte. Und wie es sich für einen richtigen Dorfdackel gehört, hieß er Waldi.

      Vielleicht waren es auch wohl zwei oder drei Generationen von Waldi’s. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Aber nachdem Waldi viele Jahre bei meinem Großvater gelebt hat, müssen es mindestens zwei, eher drei Generationen gewesen sein. Auf jeden Fall hießen die Dackel von Großvater immer Waldi. Eine dunkle Erinnerung habe ich daran, dass Waldi eines Tages verschwunden war. Mit großer Sorge wurde nach ihm gesucht. Schließlich hörte Großvater ein leises Winseln im Stroh draußen in der Scheune. Waldi hatte ein ganzes Nest voll mit jungen Waldis geboren. Mindestens einer davon sollte dann Waldi 2 werden.

      Mein Großvater war ein einfacher Bauer aus dem armen thüringischen Eichsfeld. Schon immer hatten die Eichsfelder ihr Land verlassen müssen, denn das karge Land konnte seine Bewohner nicht ernähren. Industrie oder andere Arbeitsplätze gab es dort in der abgelegenen Gegend nur in der Kreisstadt. Aber die war für die Menschen vom Land nahezu unerreichbar. Es gab keine öffentlichen Verkehrsmittel und ein Auto hatte ohnehin niemand.

      Viele Dörfler sind in das Ruhrgebiet gezogen, denn dort gab es reichlich Arbeit in den Zechen und Stahlwerken. Deshalb gab es im Ruhrgebiet viele Eichsfelder Heimatvereine, denn die Eichsfelder sind ihrer Heimat tief verbunden. Ein Onkel hatte später einen Handwerksbetrieb im Ruhrgebiet, einer in Berlin. Ein anderer Onkel wurde Offizier und kämpfte mit Rommel in Afrika. Dort holte er sich die Malaria, an der er viele Jahre später schmerzhaft gestorben ist.

      Großvaters Eltern hatten schon früh die Welt verlassen, als er noch ein Kind war. Sein Bruder wanderte nach Amerika aus und war seither verschollen. Vielleicht hatte er ja als Goldgräber sein Glück gefunden? Oder war er bei einer Schießerei im Wilden Westen ums Leben gekommen? Man hat nie wieder etwas von ihm gehört.

      Großvater wuchs bei einem Onkel in einer kleinen Mühle am Waldrand auf. Als er vierzehn Jahre alt war, nagelte Onkel ein paar Riemen an ein Nachtkastl. Darein packt er ein paar nötige Utensilien und schulterte Großvater den Kasten auf den Rücken. „Hier hast du das Notwendigste zum Leben. Geh und such Dein Glück. Ich kann dich nicht weiter durchfüttern!“ Später hat Großvater viele Märchen von armen Müllerburschen erzählt, die hinausgezogen sind in die Welt und dort ihr Glück gemacht haben. Fast hätte er ein dritter Grimm werden können. Aber er wurde im Ersten Weltkrieg nur der Bursche eines Offiziers. Wenigstens kam er so in der vornehmen Welt herum.

      Mit achtzehn lernte er dann meine Großmutter kennen und heiratete. Später sagte er immer:

      „Wan ich gewusst hät, dass frye so schenn wärr, hätt ich zenn Johr err gefryet.“

      Vielleicht hätte Großmutter den anderen Bewerber heiraten sollen. Der war immerhin der Erbe eines Hauses. Großvater dagegen war ein Niemand. Aber offenbar war die Liebe stärker als die Vernunft. Großvaters Konkurrent hat ein Leben lang nicht mehr mit ihm gesprochen. Und das war sehr schwierig, denn sie saßen in der Kirchenbank sechzig Jahre lang nebeneinander. Man konnte den Sitz nicht tauschen, denn die Plätze in der Kirche gehörten seit Generationen zu einem bestimmten Haus. Wer kein Haus hatte, musste ganz hinten in der letzten Reihe stehen. So sah man immer, wer nicht dazu gehörte. Das waren dann die ganz armen Leute, die zur Miete in einem von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Armenhaus leben mussten. Denn Hausbesitzer, die ihre Häuser oder Wohnungen vermieteten, gab es dort nicht. Wer ein Haus besaß, lebte darin.

      Zunächst waren die Eltern meiner Großmutter so empört über die Heirat mit dem Niemand, der in der Kirche in der letzten Reihe stehen musste, dass sie Großmutter des Hauses verwiesen. Die beiden lebten dann in einem Zimmer direkt an der Straße im nächsten größeren Ort, der schon fast wie eine kleine Stadt war. Dort zogen sie dann ihre ersten Kinder auf.

      Um ein wenig Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen, wusch Großmutter die Wäsche für die „reichen“ Leute. Das Zimmer war mit aufgehängten Betttüchern aufgeteilt. Vorne zur Straße hin, stand der Waschkessel. Dort wurde die Wäsche gewaschen und gebügelt. Hinter dem Vorhang fand das Familienleben statt. Aber das alles habe ich natürlich nicht selbst erlebt. Ich weiß es nur aus Erzählungen meiner älteren Tanten, den ersten Kindern der Großeltern. Meine Mutter kannte das auch nicht mehr. Sie war das Nesthäkchen, das im Familienhaus geboren wurde.

      Später bekam Großmutter das Haus, in dem Beide dann bis zu ihrem Tod leben sollten. Dort zogen sie noch sieben Kinder groß, das achte ist früh gestorben. Das war so recht ein Unglück. Alle Nachbarn bemitleideten sie, weil sie nur so wenige Kinder hatten. Alle anderen zogen mindestens zwölf bis dreizehn oder sogar noch mehr Kinder groß. Wie sollte man denn mit so wenigen Kindern sein Alter sichern?