Geduckt bewegte er sich weiter. Das Gleißen eines Blitzes hellte die Sicht auf. Sandwände, in denen losgerissene Grasbüschel wirbelten, sausten vorbei. Ein reiterloses Pferd stieg erschreckt wiehernd vor Larry auf die Hinterhand, kreiselte herum und galoppierte davon. Im Dröhnen des Donners versank jedes andere Geräusch.
Dann wieder staubdurchdrungene Finsternis. Kein Schatten von Morrister. Wenn er noch in der Nähe war, dann gab es nur eine Möglichkeit, ihn aus der Reserve zu locken. Larry wusste, was er riskierte, als er sich mit dem Aufblitzen seines Revolvers verriet.
Er schoss mit ausgestreckter Hand. Die schnell peitschenden Schüsse trieben Feuerkeile in die Staubmassen. Dreimal. Dann wollte sich Larry auf die Knie werfen. Da fuhr etwas wie eine glühende Messerklinge über seine linke Hüfte. Der Sturm riss die Detonation davon. Larry sah nur einen rötlichen Strich hinter den wogenden Staubschleiern: Morristers Mündungsfeuer.
Der junge Spieler schleuderte sich zur Seite und schoss. Morristers zweite Kugel verfehlte ihn. Wieder war die Mündungsflamme Larrys einziges Ziel. Auf der Seite liegend, jagte er die letzte Kugel aus seinem Revolver.
Morristers Blei hatte das Fleisch über seinem Hüftknochen aufgeschlitzt. Die Wunde blutete heftig. Larrys Kleidung sog sich voll. Er beachtete es nicht, rollte ein paar Yards weiter, während noch immer Dean Morristers Gewehr blitzte.
Verflucht, hatte er den Schurken noch immer nicht erwischt? Keuchend klappte Larry die Revolvertrommel heraus, lud die Waffe nach. Das Halstuch war ihm vom Gesicht gerutscht. Längst hatte er den Hut verloren. Sein dunkles Haar flatterte.
Morristers Gewehr schwieg. Der Sturm umhüllte den jungen Mann mit immer neuen Staubwolken. Er war wie meilenweit entfernt von den Wagen und jedem anderen Lebewesen. Er richtete sich auf. Der Streifschuss an der Hüfte schmerzte, behinderte ihn jedoch nicht. Schwer lag der Remington in seiner Faust.
Vielleicht lud auch Morrister gerade wieder seine Waffe nach ... Mit steifen Schritten ging Larry Langtry in die Richtung, aus der zuvor die Mündungsblitze gezuckt waren.
Blitze rasten über die Hochebene. Der Donner krachte, als würde das Plateau in sich zusammenstürzen. Eine dunkle, verkrümmte Gestalt lag nicht weit vor Larry. Der Stahl der Waffe, die unter dem Körper hervorragte, glänzte bläulich.
Es war Morrister. Er lebte noch, als Larry sich über ihn neigte, ihn herumwälzte. Larry hatte ihn zweimal getroffen, tödlich. Trotzdem hatte der Verbrecher geschossen, bis das Röhrenmagazin seiner Winchester leer war. Auch jetzt lebte nochmals der Hass in seinen Augen auf.
»Ich hatte es fast schon geschafft, Coltpoker«, keuchte er. »Ich hätte dich töten sollen, als du ins Camp am Bluebird Creek kamst ...«
»Es gibt Fehler, die man nur einmal macht, weil man nicht mehr dazukommt, sie zu wiederholen«, murmelte Larry bitter.
Die Flamme in Dean Morristers Augen erlosch. Für immer. Sein Atem verwehte im Sturm. Larry schob den 38er Remington in die Halfter. Es war kein Sieg, und irgendwie spürte er, dass noch immer der Tod in der sturmdurchbrüllten Dunkelheit lauerte.
Der Gedanke an Linda trieb ihn hoch und zwang ihn in Richtung zur Wagenburg zurück. Linda, ohne die er nicht mehr leben wollte, und um die er vielleicht nochmals kämpfen musste. Gegen seinen eigenen Vater.
15
Die Szene im Wagendreieck wirkte noch genauso versteinert wie zuvor, als Larrys Schüsse die eingedrungenen Morrister Banditen niedergeworfen hatten. Auch der Kerl, den Larry mit dem Revolverlauf erwischt hatte, lag noch am selben Fleck. Big Joe und Jack Randlett standen nach wie vor bei einem der Planwagen. Sie hatten ihre auf der Erde liegenden Waffen nicht angerührt. Nahe bei ihnen, ebenfalls starr, mit leicht hochgezogenen Schultern, verharrte Linda.
Die ganze Szene, vor allem aber die fahlen, Benommenheit spiegelnden Gesichter der Menschen dort vorne signalisierten Gefahr. Nur Old Tate bewegte sich. Er hob den Kopf, tastete nach einer vom Wagen hängenden Kette, um sich hochzuziehen, besaß jedoch nicht die Kraft dazu. Die Kugel hatte ihn also nicht so schlimm erwischt, wie Larry anfangs gefürchtet hatte. Solange noch ein Funken Leben in dem zähen Oldtimer steckte, solange gab es Hoffnung für ihn.
Vielleicht war es diese Gewissheit, die Larry veranlasste, mit dem Revolver in der Hand auf die Wagen zuzutreten. Wieder ein Blitz, der den Staub durchblendete. Die Planendächer leuchteten weiß. Linda sah die schlanke, sturmumbrauste Gestalt zuerst. Sie zuckte zusammen.
»Flieh!«, schrie sie so verzweifelt, dass es sogar das Bersten des Donnerschlags durchdrang. Ein Schrei, der Big Joe Langtrys massigen Schädel herumrucken ließ. Der hünenhafte Frachtwagenboss starrte die junge Frau wie eine Fremde an. Ein Begreifen dämmerte in seinen Augen. Es war nicht die Angst um sich selber, die Linda so reagieren ließ. Es war die Angst um seinen Sohn ...
Eine bullige Gestalt löste sich plötzlich aus der Finsternis zwischen den Frachtwagen. Im Verflackern des Blitzstrahls erkannte Larry ein wildes, bartumwuchertes Gesicht. Der schimmernde Coltlauf zielte auf die Männer vor dem Murphy-Schoner und die junge Frau.
»Komm her, Langtry, wenn du nicht willst, dass sie an deiner Stelle zur Hölle fahren!«, schrie Scott Tamblin. »Ich schwör’ dir, du Bastard, dass es die Frau zuerst erwischt! Auch wenn du jetzt abdrückst, habe ich immer noch Zeit zum Schießen. Wirf also deine Kanone weg, du verfluchter Hund!«
Das Toben des Sturms wirkte auf einmal viel weiter entfernt. Larry war es, als spüre er eine kalte Hand im Genick. Die Knochenfaust des Todes. Bildfetzen flogen durch sein Gehirn. Seine wilde Vergangenheit, in der ihm nichts wichtiger gewesen war als heiße Pokerkarten, scharfe Drinks und hübsche Saloonmädchen, hatte ihn eingeholt. Im selben Moment begriff er, dass diese Vergangenheit für ihn gestorben war wie jene Zeit in Canyon City, seit er Linda kennengelernt hatte.
»Schieß, Larry!«, hörte er ihre verzweifelte Stimme. »Er wird dir sonst keine Chance lassen!«
»Tu’s nicht, Langtry«, brüllte Tamblin.
Larry bezwang sein wildes Aufwallen. Sein schmales, sonnengebräuntes Gesicht versteinerte. Er ließ den Revolver fallen. Ein hartes Lächeln umspielte seinen Mund. Ein Lächeln, das seine Augen jedoch nicht erreichte.
»Hallo, allerseits!« Sein Blick blieb an Big Joes grauem, zerfurchtem Gesicht haften. »Ein Wiedersehen wie bestellt für uns beide, nicht wahr?«, meinte er mit bitterer Ironie. »Man könnte fast glauben, dass es in den letzten sechs Jahren mit den Langtrys bergab gegangen ist.«
»Warum bist du zurückgekommen?«, stieß Big Joe mit heiserer Stimme hervor.
»Bestimmt nicht, um von diesem Kerl da erschossen zu werden!«
Der langläufige 45er des Bärtigen schwang heftig zu ihm herum. Tamblins bullige Gestalt duckte sich.
»Ich lasse nie eine Rechnung offen, du verdammter Kartenhai, nie! Es gibt nichts mehr, was dich rettet!«
»Nein!« Verzweifelt rannte Linda an ihm vorbei. Sie klammerte sich an Larry fest, als könnte sie ihn mit ihrem Körper gegen das Blei in Scott Tamblins Waffe beschützen. »Er hat nur sein Leben verteidigt, als er in Redcliff auf Ihren Bruder schoss!«
Tamblin lachte wild.
»Das war schon zu viel! Geh weg von ihm, Herzchen! Du kannst ja doch nichts mehr für ihn tun. Er hat nichts davon, wenn du mit ihm stirbst.«.
»Linda, um Himmels willen, tu, was er sagt!«, rief Big Joe heiser.
»Es tut mir leid, Joe!«, keuchte sie. »Als ich nach Redcliff ritt, um deinen Sohn heimzuholen, tat ich es deinetwegen. Ich war bereit, mit dir durch die Hölle zu gehen, Joe. Ich glaubte, ihn zu hassen und dich zu lieben - bis er mich mitten aus Morristers Camp herausholte und ...«
»Schluss, verdammt noch mal!«, schrie Tamblin wütend. »Zum letzten Mal, geh weg von ihm, sonst ...»
»Tamblin!«, rief Big Joe. Er bückte sich. Seine Hand stieß zu dem am Boden liegenden