»He, Lorman, warten Sie doch!«, schrie er aufgeregt. »Ich komme mit. Ich will dabei sein, wenn Sie in Julesburg auf Clinton treffen. Hölle und Verdammnis, dafür hab ich doch alles riskiert! Also warten Sie, Mann!«
Clay zog sich in den Sattel. Sein Mund war ein messerscharfer Strich, als er den Braunen herumzog und nach Norden lenkte, Julesburg zu.
2
»Wahnsinn!«, wollte der dicke Wells Fargo Agent hervorstoßen. Aber das Wort blieb ihm in der Kehle stecken, als Stephen Bancroft mit verkniffener Miene zehn Hundert Dollar Scheine vor ihn auf den Tisch blätterte. Auf der Stirn des Julesburger Wells Fargo Mannes bildete sich ein Netz feiner Schweißperlen. Es dauerte eine Weile, bis es ihm gelang, den Blick von den Banknoten loszureißen. Bancroft stand mit leicht vorgezogenen Schultern vor ihm. Ein Flackern war in seinen Augen. Bancroft war ein knochiger, fahlgesichtiger Mann, den man sich mit seinem schlecht sitzenden schwarzen Anzug und dem etwas ramponieren Zylinderhut gut als Totengräber vorstellen konnte. Ein schmaler, schwarzer Holzkoffer stand auf dem Stuhl neben ihm.
»Tausend Dollar für eine Extrapost, die mich nach Cheyenne bringt!«, krächzte Bancroft. »Das sind tausend Dollar, von denen Ihre Bosse nichts zu wissen brauchen, Harrison. So ein Geschäft haben Sie in Ihrem ganzen Leben noch nicht gemacht.«
Harrison fuhr sich mit der Zungenspitze über die Wulstlippen. Keuchend stemmte er sich aus dem weichgepolsterten Sessel. Mit einem Geschnaufe, als müsste er Schwerarbeit leisten, zog er den Vorhang zur Seite, der das Fenster zum Hinterhof halb verdeckte.
»Ich müsste verrückt sein, wenn ich diese tausend Bucks sausen ließe! Aber damit ist es nicht getan. Sehen Sie sich das da draußen erst einmal an, Bancroft. Da steht Ihre Extrapost mit Pfeilen gespickt, von Kugeln zernarbt. Ich habe meine beiden besten Männer heute früh mit dieser verdammten Kutsche in Richtung Cheyenne losgeschickt. Nur einer ist zurückgekommen, und ob der die zwei Flintenkugeln überlebt, die er dabei eingefangen hat, ist noch die Frage.« Schnaufend wandte er sich dem Schwarzgekleideten zu.
»Sie haben sich einen verflixt schlechten Zeitpunkt für Ihre Reise ausgesucht, Bancroft. Da draußen auf der Prärie am Lodgepole Creek wimmelt es von aufständischen Rothäuten, die versessen darauf sind, jedem Weißen die Kopfhaut abzuziehen. Roman Nose von den Cheyennes spielt wieder mal verrückt. Dieser Bursche will ums Verrecken nicht vergessen, was Colonel Chivington sich damals am Sand Creek geleistet hat. Und wer hat es auszubaden? Wir Zivilisten natürlich! Um es kurz zu machen: Solange die Armee den Frieden hier draußen nicht wieder hergestellt hat, gibt es von Julesburg keine Postkutschenverbindung mehr nach Westen oder sonst wohin. Fragen Sie mich nicht, was mit der Kutsche passiert ist, die aus der Gegenrichtung bereits gestern hier hätte eintreffen müssen!«
Stephen Bancroft fingerte nervös an seinen Jackenknöpfen.
»Was soll ich machen? Mir bleibt keine Wahl. Wenn ich in spätestens vier Tagen nicht in Cheyenne bin, kann ich meine Bank in Omaha zumachen. Ich hab nicht die Zeit, Ihnen alle Einzelheiten zu erklären, Harrison. Nur soviel: Es geht um ein Aktiengeschäft, bei dem für mich alles, aber auch alles auf dem Spiel steht!«
Harrison musterte ihn neugierig.
»Hängt wohl mit der Bahn zusammen, die General Dodge hinüber zum Großen Salzsee bauen will, was?«
Bancroft nickte abwesend.
»Ich muss es einfach versuchen! Die Rothäute können schließlich nicht überall sein. Irgendwo wird es schon eine Lücke zum Durchschlüpfen geben. Da ich nun mal kein Mann des Sattels bin, brauche ich die Kutsche. Aber kommen Sie jetzt nur nicht auf die Idee, den Preis hochzutreiben, Harrison! Tausend Dollar sind mehr als genug!«
»Keine zehn Rösser würden mich aus der Stadt bringen«, brummte der Wells Fargo Mann kopfschüttelnd. »Aber es ist Ihr Skalp, Bancroft, nicht meiner. Nur - was nützt Ihnen die Kutsche samt den Pferden, wenn Sie keinen Fahrer und Begleitschutz kriegen? Sie können den Kasten ja haben, auch ein Gespann. Aber auch für tausend Bucks kann ich es nicht verantworten, einen Mann der Company mit Ihnen auf die Prärie hinauszuschicken. Darüber brauchen wir gar nicht erst zu verhandeln. Die Cheyennes haben uns hier in Julesburg schon mal verflucht übel mitgespielt. Ich wette, dass Sie in der ganzen Stadt keinen Mann finden, der die Nerven hat, mit Ihnen auf den Trail zu gehen. Ausgenommen vielleicht jene Revolver- und Kartenhaie, die seit Wochen in den Saloons rumlungern. Die denken, wenn erst der neue Schienenstrang hier ist, schwimmen sie in Geld. Inzwischen sieht es allerdings so aus, als würde das nicht so schnell geschehen.«
»Bist ein kluger Junge, Harrison!« Ein spöttisches Lachen kam von der lautlos aufgeschwungenen Tür. »Wenn du nur auch am Pokertisch was davon merken ließest!«
Stirnrunzelnd blickte der Wells Fargo Stationier auf den hochgewachsenen, städtisch gekleideten Mann, dessen Lächeln dem Zähnefletschen eines Tigers glich. Seine katzenhafte Geschmeidigkeit passte dazu. Der Colt schaukelte tief auf seinem rechten Oberschenkel.
Harrison räusperte sich.
»Es geht mich ja nichts an, Clinton, was Bancroft dir und deinen Freunden versprochen hat, wenn ihr mit ihm Julesburg verlasst!«
»Du sagst es, Harrison, es geht dich nichts an!« Rhett Clintons Zähne blitzten. »Belassen wir’s dabei! Und keine Angst, Harrison, ich bin nicht hier, die zwanzig Dollar zu kassieren, die du mir seit dem letzten Spiel noch schuldest! Heb’ sie auf, bis ich mit der nächsten Stagecoach aus Cheyenne zurückkomme! Wenn nichts draus wird, dann hast du dir eben noch ein Häppchen dazuverdient. Streite also bloß nicht ab, dass heute dein großer Glückstag ist, alter Junge!« Grinsend kniff er ein Auge zu.
Harrison machte ein Gesicht, als hätte er es mit zwei Verrückten zu tun. Clinton nickte dem hageren Bankier aus Omaha lächelnd zu.
»Schätze, das war's, Bancroft. Gehen wir! Du brauchst dich nicht zu bemühen, Harrison. Wir suchen uns die Gäule, die wir brauchen, schon selber aus.«
Bancroft klemmte sich den Holzkoffer unter den Arm. Sie waren bereits bei der Tür, als der Wells Fargo Agent ihn nochmals anrief. Auch Clinton blieb stehen. Harrison druckste.
»Wenn’s Ihnen nichts ausmacht, Bancroft, möchte ich Sie für zwei Minuten noch unter vier Augen sprechen.«
»Es macht ihm was aus«, erwiderte Clinton anstelle des Bankiers. »Er hat nämlich schon viel zu viel Zeit mit dir vertan, Dicker. Und die Warnung, dass er sich mit den falschen Leuten auf den Weg macht, kannst du dir sowieso sparen. Er weiß, welchen Ruf meine Freunde und ich in dieser netten Stadt haben. Du hast das mit den ,Revolver und Kartenhaien‘ vorhin sehr treffend gesagt, Harrison. Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen, heißt es, und gescheite Sprüche allein bringen Bancroft ganz bestimmt nicht nach Cheyenne. Mach ruhig den Mund wieder zu, alter Freund, sonst fliegt dir noch was rein, was du nicht verdauen kannst!«
Harrison stand noch wie versteinert da, als die Tür zuklappte. Draußen unterm Vordach brannte Clinton sich eine Zigarette an.
»Alles klar, Jungs!«, sagte er zu den drei Männern, die auf ihn und Bancroft gewartet hatten. Sie trugen ebenso wie er elegante Anzüge, weiße Hemden und tiefgeschnallte Revolver. »Sobald ihr die Pferde angeschirrt habt, brechen wir auf. Vergesst eure Gewehre nicht! Wenn wir ...« Seine Augen verengten sich. Ein Reiter war am Ende der wenig belebten Straße aufgetaucht. Er ritt, als wären die Cheyennes schon hinter ihm her. Seine Jacke flatterte. Immer wieder stieß er dem Pferd die Sporen gegen die Flanken. Eine Frau konnte gerade noch ihren kleinen Jungen vor dem heranbrausenden Pferd wegreißen.
»He, das ist ja Jeff, den du heut’ früh zu Wildbums verlassener Farm geschickt hast, damit er Brad ablöst!«, rief einer der Spieler Clinton zu.
»Kümmert ihr euch um die Kutsche!«, fuhr Clinton den Mann an. Er sprang auf die Straße und ging dem Heranpreschenden entgegen. Knapp vor ihm zügelte der Reiter das schweißbedeckte Tier. Clinton hielt es fest, während der Mann