Jeder wusste, was das bedeutete: Sieg oder Tod.
Es war Slocum, der sich einen Ruck gab und die Pferde ,seines‘ Gespanns aus den Zugsträngen löste. Zögernd folgten Enfield und Randlett seinem Beispiel.
Big Joe beobachtete mit schmalen Augen die Reiter, die sich eine Meile entfernt um Morrister versammelten. Die beiden Kerle, denen die Verteidiger die Gäule unterm Hintern weggeschossen hatten, hinkten auf die Gruppe zu. Es war bezeichnend, dass Morrister keinen Versuch machte, zu verhandeln oder Big Joe zur Übergabe aufzufordern.
Die Stille des Todes lastete auf der Ebene. Auch dann noch, als die Banditen abstiegen, sich im Schatten ihrer Pferde auf die Erde hockten, rauchten und ab und zu aus einer Flasche tranken, die von Hand zu Hand wanderte. Nur Morrister blieb auf seinem Kentucky Fuchs. Seine Hände ruhten lässig auf dem Sattelhorn. Eine aufrechte Gestalt, der die Hitze und Stille nichts anzuhaben vermochten. Reglos spähte er zu den Wagen hinüber.
»Er wartet auf Verstärkung«, murmelte Jack Randlett mit einer Stimme, als würde ihm die Kehle zugedrückt.
Tate Slocum schnupperte wie ein alter Jagdhund, ehe er mürrisch den Kopf schüttelte.
»Schätze, das hat er nicht nötig. Ich wette, in ein, zwei Stunden haben wir hier den schönsten Sturm, Jungs. Dabei würde schon ein bisschen Wind genügen, diese ganze verfluchte Ofenplatte, auf der wir hocken, in eine Staubhölle zu verwandeln, dass man die Hand nicht mehr vor den Augen sieht.« Er spuckte aus. Seine rotgeäderten Augen starrten nach Norden. Staubwirbel tanzten dort über die Ebene. Dunkle Wolken zogen über den fernen Bergen herauf. Die Männer im Dreieck der Planwagen packten ihre Gewehre fester.
12
Als Linda die Augen aufschlug, stand die Sonne schon hoch über den Felsrändern. Die Frau blinzelte verwirrt. Sie brauchte ein paar Sekunden, sich an alles zu erinnern. Dann schleuderte sie die Decke weg, die Larry über sie gebreitet hatte, und setzte sich auf.
Larry saß auf einem Stein am Ufer des Creeks, der zwischen steilen Felswänden plätscherte. Lächelnd drehte er sich um. Sein Blick war voller Bewunderung.
»Guten Morgen, Linda! Ich hoffe, Sie haben angenehm geträumt. Wissen Sie, dass Sie wunderbarer aussehen als alle Sonnenaufgänge, die ich je erlebt habe?«
Sie sprang auf, warf den Kopf zurück und schüttelte das rötlich schimmernde Haar aus ihrem Gesicht. Ihre Augen blitzten.
»Wo sind wir?«
Larry erhob sich ebenfalls.
»Irgendwo in den Ausläufern der Sangre de Christo Mountains. Vor allem aber in Sicherheit.«
Der Sand zwischen Creekufer und Felsmauer malmte leise unter seinen Stiefeln. Linda blickte schnell auf Mr. Brown. Das Pferd war schon gesattelt. Larry trat zwischen sie und das Tier.
»Warum haben Sie so lange gewartet und mich nicht früher geweckt?«, fragte sie scharf.
Der junge, dunkelhaarige Mann lächelte.
»Sie hatten die Ruhe mindestens ebenso nötig wie Mr. Brown. Wozu auch die Eile?«
Sie wich zurück, als er eine Hand nach ihr ausstreckte. Misstrauen und Feindseligkeit funkelten wieder in ihren Augen.
»Wozu?«, rief sie heftig. »Morristers Schießer sind hinter Big Joe und seinen Männern her, und Sie fragen wozu? Sie hatten ja nie im Sinn, Big Joe und seinen Leuten zu helfen. Sie sind ja nur Ihrer verfluchten, sinnlosen Rache wegen zurückgekommen. Aber nicht mal die werden Sie kriegen, wenn Sie hier auf einem Fleck hocken bleiben, denn Morrister und seine Killer werden Ihnen zuvorkommen.«
Larrys jungenhaftes Lächeln war erloschen. Härte spannte seine Züge und ließ ihn älter wirken, als er war.
»Ich bin Ihretwegen zurückgekommen, Linda«, sagte er leise.
Sie wich noch weiter vor ihm zurück, aber er folgte ihr, bis sie die Felswand im Rücken hatte. Die Starre seiner Miene und das Brennen in seinen Augen flößten ihr auf einmal eine unbestimmbare Furcht ein. Sie presste eine Hand auf den Halsansatz.
»Rühren Sie mich nicht an! Big Joe würde Sie dafür töten!«
»Ich weiß. Er kämpft und tötet für alles, was er als sein Eigentum betrachtet. Es interessiert mich nicht mehr. Alles, was jetzt noch für mich zählt, ist, dass Sie frei sind und leben.«
Ihre flackernden Augen konnten sich nicht von seinem harten Gesicht lösen. Ein Gesicht, das sie gegen ihren Willen faszinierte.
»Rechnen Sie nur nicht damit, dass ich Ihnen vor Dankbarkeit um den Hals falle, weil Sie mich aus Morristers Camp geholt haben!«, keuchte sie.
Er lächelte plötzlich wieder.
»Keine schlechte Idee!«
»Gehn Sie zum Teufel!«, fauchte Linda wie eine Wildkatze. »Sie haben nur eine Schuld bezahlt. Und reden Sie nur nicht davon, dass Big Joe mich opfern wollte. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie bei seinem Entschluss, nach Salida weiterzuziehen, irgendwie die Hand im Spiel hatten. Es passte zu gut in Ihren Plan, Morrister aus dem Camp am Bluebird Creek wegzulocken.«
»Sie sind nicht nur eine bemerkenswert schöne, sondern auch kluge Frau, Linda.«
»Hören Sie auf damit!«, zischte sie. »Wie Sie’s auch anstellen, ich werde Big Joe niemals Ihretwegen im Stich lassen! Niemals! Ich hasse Sie, Larry! Und wenn Sie mich jetzt mit Gewalt nehmen, dann werde ich nicht ruhen, bis ich Sie irgendwann dafür getötet habe!«
Seine Augen verdunkelten sich. Er blickte sie an wie damals auf dem Hügel nördlich von Redcliff, als sie ihn mit dem Gewehr bedroht hatte. Ein Blick, bei dem sie das Gefühl hatte, dass er ihr Innerstes traf. Sekunden verstrichen, bis er den Kopf schüttelte. Seine Stimme war fast ein Flüstern.
»Nein, Linda, Sie versuchen mich nur zu hassen. Sie wollen es, weil Sie glauben, dass Sie auf mich angewiesen sind. Weil Sie denken, dass ich Sie nur haben will, um mich so an Big Joe zu rächen. Vielleicht schoss mir der Gedanke damals wirklich durch den Kopf. Aber glauben Sie mir, Linda, das war in einer anderen Welt. Ich verstehe es selbst nicht, aber seit ich Sie aus Morristers Camp befreit habe, gibt es meinen Hass auf Big Joe nicht mehr. Es ist, als hätte irgendwer einen dicken Schlussstrich unter meine Vergangenheit gezogen.«
Sie atmete noch heftig, aber das Flammen in ihrem Blick erlosch. Sie schloss die Augen, als er sie behutsam an den Schultern fasste und sie an sich zog. Einen Moment noch versteifte sich ihr Körper. Dann schmiegte sie sich weich und nachgiebig an ihn. Sein Mund küsste ihr seidiges, offenes Haar.
»Alles, was ich will, Linda, ist, dass du mit mir dieses Land verlässt«, murmelte er heiser. »Dass du mit mir irgendwohin gehst, weit weg von Big Joe und allem, was mit ihm zusammenhängt, damit wir gemeinsam von vorn beginnen. Nichts ist so ...«
Er erstarrte, als er ihre Hand an seiner Halfter spürte. Er versuchte nicht, sie festzuhalten. Ruckartig trat sie an die Felswand zurück, hielt ihm die Mündung des eigenen Revolvers vor die Brust. Ihr schmales Gesicht mit den leicht hervortretenden Wangenknochen und dem vollen Mund wirkte wie aus Marmor gemeißelt.
»Ich werde nirgendwo mit dir hingehen, Kartenhai!«, stieß sie hervor. »Versuche jetzt nicht, mich dran zu hindern, auf dein Pferd zu steigen! Ich schwör’ dir, Coltpoker-Larry, ich werde schießen!«
Er drehte sich mit ihr, als sie, immerzu die Waffe erhoben, um ihn herumging. Der vom Creek in die Ausbuchtung der Felswand geschwemmte Sand knirschte leise unter ihren Sohlen.
»Du willst zu Big Joe, nicht wahr?«, fragte Larry leise.
»Wohin sonst?«
Sie hatte den Hengst erreicht, der mit halb geschlossenen Lidern wie dösend dastand und sich nicht dafür interessierte, was die beiden Menschen miteinander abzumachen hatten.
»Willst du zu ihm, damit