„Ach, lhr wißt schon, was ich meine, Bill. Nicht wahr, Nancy, er weiß es recht gut?“
„Nein, er weiß es nicht“, sagte Sikes höhnisch, „oder will es nicht wissen, was auf dasselbe rauskommt. Schleime dich nur ruhig aus und nenne die Dinge beim rechten Namen. Tue doch nicht so, als ob du nicht das Ding ausbaldowert hast!“
„Pst, Bill“, machte Fagin, der sich umsonst bemüht hatte, Sikes Unwillen zu beschwichtigen. „Man wird uns hören, Freundchen, man wird uns hören!“
„Meinetwegen“, erwiderte Sikes, „mir ist’s gleich.“ Er dämpfte aber doch unwillkürlich seine Stimme.
„Nun, es war von mir aus doch nur Vorsicht“, sagte der Jude schmeichelnd, „weiter nichts als Vorsicht. Also was die Villa in Chertsey anbelangt – wann soll es sein, Bill, sprich? – Großartiges Silbergeschirr!“ fügte er händereibend hinzu und seine Augen funkelten beutegierig.
„Gar nicht“, erwiderte Sikes kalt.
„Was, gar nicht?“ wiederholte der Jude in grenzenlosem Erstaunen.
„Gar nicht, wenigstens geht’s nicht so, wie wir dachten.“
„Dann habt Ihr die Sache nicht richtig angefaßt“, meinte Fagin ärgerlich. „Mir könnt Ihr doch nichts erzählen!“
„Ich werde es dir schon erzählen“, entgegnete Sikes höhnisch. „Also, Toby Crackit hat seit vierzehn Tagen alle möglichen Versuche gemacht, einen von der Dienerschaft zu gewinnen.“
„Ihr wollt also sagen“, unterbrach ihn der Jude, „daß keiner der beiden Bedienten überredet werden konnte?“
„Gerade das wollte ich sagen“, antwortete Sikes. „Sie sind schon zwanzig Jahre im Hause der alten Frau und würden’s nicht tun, selbst wenn wir ihnen fünfhundert Pfund bieten würden!“
„Und das weibliche Personal?“ fragte Fagin.
„Auch nicht dran zu denken.“
„Nicht mal durch den schneidigen Toby Crackit? Wie doch die Weiber nun einmal sind!“
„Auch vergeblich, trotzdem er sich einen Backenbart angeklebt und eine schöne gelbe Weste getragen hatte.“
„Er hätte es mit einem Schnurrbart und Soldatenhosen versuchen sollen“, meinte der Jude nach kurzem Besinnen.
„Das hat er auch getan, hatte aber ebenso wenig Zweck.“
Fagin machte ein langes Gesicht dazu und versank in tiefes Nachdenken. Dann meinte er seufzend, wenn Crackits Berichte stimmen, müßte man den Plan wohl aufgeben. „Es ist furchtbar traurig, so viel zu verlieren, wenn man sein Herz daran gehängt hat.“
„Ja“, sagte Spikes, „es ist ein mächtiges Pech.
Es folgte nun ein langes Schweigen. Der Jude versank in tiefe gedanlen, wobei sein Gesicht den Ausdruck wahrhaft teuflischer Spitzbübelei annahm. Sikes warf ihm von Zeit zu Zeit verstohlene Blicke zu, während Nancy sich mäuschenstill verhielt und so tat, als hätte sie vom ganzen Gespräch nichts gehört.
„Fagin“, sagte Sikes, plötzlich die Stille unterbrechend, „ist es fünfzig Scheine extra wert, wenn man’s durch Einbruch schafft?“
„Ja!“ sagte der Jude, aufschnellend.
„Gilt’s?“ fragte Sikes.
„Ja, abgemacht“, antwortete Fagin, die Hand des andern drückend. Er strahlte im Gesicht und seine Augen glänzten.
„Dann“, erwiderte Sikes und schob die Hand des Juden verächtlich beiseite, „dann kann es sofort losgehen. Toby und ich sind gestern nacht über die Gartenmauer geklettert und haben die Türen und Fensterläden untersucht. Die Villa ist zwar in der Nacht gut verrammelt, aber es gibt eine Stelle, wo man bequem einbrechen kann.“
„Wo ist denn die Stelle?“ fragte Fagin lebhaft.
„Also, man geht über den Rasenplatz“, flüsterte Sikes, „und – “
„Ja, und – “ unterbrach ihn Fagin mit aufgerissenen Augen, dabei beugte er sich gespannt vor.
„Dann – “, rief Sikes schnell abbrechend, als ihm das Mädchen, fast ohne den Kopf zu bewegen, einen warnenden Blick zuwarf, „übrigens geht dich die Stelle gar nichts an, ohne mich kannst du es doch nicht machen. Wenn man mit dir zu tun hat, muß man verdammt vorsichtig sein.“
„Wie Ihr denkt, mein Lieber. Braucht Ihr keine Hilfe, schafft Ihr beide es allein?“
„Wir brauchen nur noch ein Brecheisen und ’nen Jungen. Das erstere haben wir, den Buben mußt du uns besorgen!“
„Einen Jungen?“ rief der Jude. „Ach, dann geht’s durch ein Fenster, nicht wahr?“
„Kann dir gleich sein“, erwiderte Sikes. „Der Junge darf aber nicht zu groß sein.“ Nachdenklich fuhr er fort: „Wenn ich nur den Buben des Schornsteinfegers Ned kriegen könnte, der hätte ihn mir billig ausgeliehen. Aber da haben sie den Vater eingespannt, und mit einemmal kommt solch ein Verein für verlassene Kinder und nimmt den Bengel aus einem Geschäft, wo er Geld verdienen konnte. Man lehrt ihn schreiben und lesen, damit er Handwerker werden kann. Aber so ist’s“, fuhr Herr Sikes fort, der über diese Ungerechtigkeit immer mehr in Wut geriet „so ist’s, und wenn diese Vereine Geld genug hätten – was aber Gott sei Dank nicht der Fall ist – so würden für unsern Beruf in einigen Jahren kaum ein halbes. Dutzend Jungen übrigbleiben.“
„So viel würden uns kaum bleiben“, stimmte der Jude zu, der während dieser Rede seine Gedanken ganz wo anders hatte und nur die letzten Worte aufschnappte.
„Was ist los?“
Der Jude machte mit dem Kopf ein Zeichen, als wenn es ihm lieb wäre, daß Nancy, die immer noch mit dem Gesicht gegen den Kamin saß, jetzt das Zimmer verließe. Erst zuckte Sikes ungeduldig die Achseln, er hielt diese Vorsicht für unnötig, dann aber forderte er doch Nancy auf, ihm einen Krug Bier zu holen.
„Du brauchst kein Bier“, sagte Nancy, ruhig sitzenbleibend, und schlug die Arme übereinander.
„Ich habe aber Durst!“ erwiderte Sikes.
„Unsinn!“ versetzte das Mädchen gelassen. „Fahrt nur weiter fort, Fagin. Ich weiß, was er sagen will, Bill, vor mir braucht er sich nicht zu genieren!“
Der Jude zögerte, und Sikes guckte verwundert erst Nancy und dann Fagin an.
„Nanu, du wirst dich vor unserer alten Nancy nicht fürchten?“ sagte er schließlich. „Die kennst du doch lange genug, um ihr zu mißtrauen, zum Donnerwetter! Die verpfeift uns nicht, nicht wahr, Mädel?“
„Das sollt’ ich meinen, Bill!“ erwiderte die junge Dame, dabei rückte sie ihren Stuhl an den Tisch und stützte den Kopf auf die Ellbogen.
„Das schon, mein Lieber. Ich weiß das, aber – “ Fagin hielt inne.
„Aber was?“ fragte Sikes.
„Aber vielleicht kriegt sie wieder einen Rappel, wie neulich“, antwortete der Jude.
Bei diesen Worten brach das Mädchen in ein lautes Gelächter aus und stürzte ein Glas Brandy hinunter. Sie schüttelte den Kopf herausfordernd und sagte, das wäre ja lächerlich. Sie könnten vor ihr ruhig sprechen. „Redet nur ungeniert von Oliver, Fagin.“
Dies schien die beiden Herren zu beruhigen, denn der Jude nahm mit zufriedenem Lächeln seinen Sitz wieder ein, und Herr Sikes folgte seinem Beispiel.
„Die Nancy ist doch ein schlaues Mädel, wie mir selten eines vorgekommen ist“, dabei klopfte ihr der Jude schmunzelnd auf die Schulter. „Sie hat ganz recht, ich wollte tatsächlich von Oliver reden, ha! Ha! Ha!“
„Wieso?“ fragte Sikes.
„Das ist für Euch