„Ich bin der Ansicht, daß ein verheirateter Mann ebenso dazu berechtigt ist, wenn ihm die Gelegenheit geboten wird, ein Stück Geld zu verdienen, wie ein lediger. Gemeindebeamten sind nicht so glänzend bezahlt, daß sie einen kleinen Nebenverdienst ausschlagen sollten, wenn er sich ihnen in einer schicklichen Weise bietet.“
Der Fremde nickte lächelnd mit dem Kopfe, als wenn er sagen wollte, daß er sich in seinem Manne nicht getäuscht hätte. Dann zog er die Klingel.
„Füllen Sie das Glas noch einmal“, befahl er dem Wirte und händigte ihm Herrn Bumbles leeres Glas ein. „Machen Sie es aber stark und recht heiß. So lieben Sie es doch?“
„Nicht zu stark“, versetzte Herr Bumble und hüstelte verlegen.
„Sie wissen, was das sagen soll, Herr Wirt“, sagte der Fremde trocken.
Der Wirt lächelte und verschwand. Nach einer kleinen Weile kam er mit einem dampfenden Glas wieder, von dem der erste Schluck Herrn Bumble das Wasser in die Augen trieb.
„Hören Sie mich mal aufmerksam an“, sagte der fremde Mann, nachdem er vorher die Tür und Fenster geschlossen hatte. „Ich kam heute mit der Absicht hierher, Sie zu treffen. Durch einen der Zufälle, die der Teufel manchmal herbeiführt, mußten Sie in dieses Zimmer treten, gerade als ich mich in Gedanken mit Ihnen beschäftigte. Ich möchte eine Auskunft von Ihnen haben und verlange sie, so unbedeutend sie ist, nicht umsonst. Nehmen Sie das als Anzahlung.“
Mit diesen Worten schob er behutsam Herrn Bumble ein paar Goldstücke über den Tisch hin, als wünsche er nicht, daß man draußen das Geld klimpern höre. Herr Bumble prüfte die Münzen auf ihre Echtheit und steckte sie vergnügt in seine Tasche, als er sich davon die nötige Überzeugung verschafft hatte.
„Denken Sie mal zurück – warten Sie – an den Winter vor zwölf Jahren!“
„Das ist lange her“, meinte Herr Bumble. „Aber schön, ich hab’s getan.“
„Der Schauplatz – das Armenhaus.“
„Gut.“
„Zeit – die Nacht“
„Ja.“
„Und der Ort – das elende Loch, wo liederliche Frauenzimmer piepsende Kinder in die Welt setzen, die der Gemeinde zur Last fallen, während sie ihre Schande im Grabe verbergen.“
„Das wird, denke ich, das Wöchnerinnenzimmer sein“, sagte Herr Bumble, der des Fremden aufgeregter Schilderung nicht ganz zu folgen imstande war.
„Ja, dort wurde ein Knabe geboren.“
„Sehr viele“, bemerkte Herr Bumble.
„Hol der Teufel die Höllenbrut“, schrie der Fremde. „Ich spreche von einem – einem schmächtig aussehenden, blaßgesichtigen Bengel, der zu einem Leichenbestatter in die Lehre gegeben wurde (ich wünschte, er hätte da seinen eigenen Sarg gemacht und sein Körper faulte darin) und nachher nach London entlief.“
„Ach, Sie meinen Oliver – den Oliver Twist, an den kann ich mich natürlich noch ganz gut erinnern“, versetzte Herr Bumble. „Das war ein eigensinniger Racker – –“
„Ich brauche nichts von ihm zu hören, hab’ schon genug von ihm vernommen“, fiel ihm der Fremde ins Wort. Es handelt sich um die alte Hexe, die seiner Mutter bei der Entbindung beistand. Wo ist sie?“
„Wo sie ist?“ sagte Herr Bumble, den der starke Grog witzig zu machen schien. „Das ist schwer zu sagen. jedenfalls Hebammen werden da nicht gebraucht, und so wird sie wohl außer Dienst sein!“
„Wie muß ich das verstehen?“
„Daß sie den letzten Winter starb!“
Der Unbekannte sah ihn bei dieser Mitteilung scharf an. Eine Weile schien es zweifelhaft, ob ihm die Nachricht erfreulich oder unerfreulich sei. Schließlich stand er auf und schickte sich zum Gehen an; er bemerkte dabei, es käme wenig darauf an.
Bumble war schlau genug, um eine Gelegenheit zu wittern, aus dem Geheimnisse seiner besseren Hälfte Geld zu machen. Er erinnerte sich noch genau der Nacht, in der die alte Sally starb. Der Tag war ihm durch seinen Heiratsantrag, den er Frau Corney damals machte, unvergeßlich geworden. Und obgleich ihm seine Frau niemals anvertraute, was sie damals erfahren hatte, so hatte er doch genug gehört, um zu wissen, daß die Beichte der Sterbenden sich auf etwas bezog, das mit Oliver Twists Mutter im Zusammenhang stand. Er eröffnete daher dem Fremden mit geheimnisvoller Miene, die Hebamme hätte sich kurz vor ihrem Tode eine andere Frau rufen lassen, die wahrscheinlich Licht in die Sache bringen könnte.
„Wo kann ich die Frau treffen?“ fragte der Fremde mit unvorsichtiger Hast. Er zeigte, daß ihn die Mitteilungen stark erregten.
„Nur durch mich“, versetzte Herr Bumble.
„Wann?“
„Morgen!“
„Abends neun Uhr“, sagte der Fremde und schrieb auf ein Stück Papier mit zitternder Hand eine Adresse, die Herrn Bumble in ein abgelegenes Haus am Flusse hin beschied. „Bringen Sie sie um neun Uhr zu mir. Ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, daß es im Geheimen geschehen muß. Es ist Ihr Vorteil.“
Mit diesen Worten ging er zur Tür und bezahlte die Zeche. Von Bumble verabschiedete er sich ohne weitere Förmlichkeit mit dem Bemerken, daß sich jetzt ihre Wege trennten, und er ihn morgen pünktlich erwarte.
Bumble sah, daß die Adresse keinen Namen enthielt, und so folgte er dem Unbekannten, um ihn danach zu fragen.
„Was ist los“, rief der Mann und drehte sich rasch um, als der Armenhausvater seinen Arm berührte. „Warum schleichen Sie mir nach?“
„Ich wollte nur wissen, nach wem ich zu fragen habe; wollen Sie mir nicht Ihren Namen sagen?“
„Monks!“ versetzte der Mann und eilte hastig weiter.
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