Das Kino bin ich. Robin Becker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robin Becker
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347075559
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runtergekommen. Von Melek auch um ein Uhr noch keine Spur, bestimmt ist sie in Auroville.

      ***

      Ich handle in einem Reiseoffice mit einem Angestellten über den Preis für ein Taxifahrt nach Auroville, noch einmal werde ich nicht mit dem Bus reisen. Der stämmige, wohlgenährte Mann ist hartnäckig, verzieht keine Miene, der Preis scheint fix. In drei Stunden soll es losgehen, genug Zeit, um mir noch die roten Felsen und die Tausende Jahre alten Geschichten anzuschauen, die da in Höhlen gemeißelt sein sollen. Ich lasse meinen Koffer im Office.

      Als ich die dreihundert Meter Touristenmeile verlassen habe, muss ich höllisch aufpassen, nicht alle paar Meter totgefahren zu werden, der Verkehr ist spiegelverkehrt, das kriege ich partout nicht in den Kopf. Ich komme an unzähligen kleinen Werkstätten vorbei, vor denen Männer mit Meißel und Hammer Götter aus Granit fertigen, was höllisch laut ist. Frischer bekommt man die Götter wahrscheinlich nicht mehr zu Gesicht, denke ich.

      Ein muskulöser Steinmetz mit freien Oberkörper, der an einer vierköpfigen gut drei Meter hohen Figur herummeißelt, sagt mir auf meine Nachfrage hin, das soll mal Brahma werden, der, wie ich zufällig weiß, im Hinduismus der Schöpfer und somit einer der drei Hauptgötter ist. Hier in Mamallapuram werden seit hunderten Jahren die Götter hergestellt, die die indischen Tempel zieren, erfahre ich außerdem.

      Kurz nachdem ich bei den roten Felsen ankomme, hat die Sonne auch die letzte Wolke weggedampft. Meine Poren öffnen sich, der Schweiß strömt mir aus der Haut, tropft in alle Richtungen, brennt in den Augen, mein T-Shirt und die Jeans kleben mir unangenehm auf dem Körper. Ich nehme mehrere Schlucke Wasser, krame meine Sonnenbrille hervor, sehe wie Familien aus einem modernen Reisebus steigen. Die Frauen tragen herrliche Saris, haben Blumen in den Haaren, die Männer Hemd, Anzughose und Schlappen. Die Kinder sind auch schick gemacht, besonders die Mädchen mit ihren aufwändigen Zöpfen. Die Leute knipsen munter und lassen sich alles genau erklären. Anscheinend war Mamallapuram noch bis vor ein paar Hundert Jahren eine bedeutende Hafenstadt, doch davon ist nichts mehr zu sehen, der Hafen ist irgendwann von der See verschluckt worden.

      Ich schleppe mich den mit Büschen, Nadelbäumen und Palmen bewachsenen Hügel hinauf. Dort ist es schattiger, und es weht auch ein bisschen Wind. Die Aussicht ist grandios. Mamallapuram von oben, das Meer dahinter. Auf der anderen Seite sehe ich am Horizont ganz eindeutig ein Atomkraftwerk. Es flimmert da einsam auf weiter Flur, wie in der Wüste, das Meer zu Füßen. Ich hole meinen Camcorder hervor, setze den Akku ein und filme. Zwischen den Bäumen und Büschen stehen antike Säulen, Gebäude und Höhlen, in die Menschen und Tiere gemeißelt sind. Ich nehme alles auf, auch die Touristen sollen ins Bild.

      Hoppla, wo kommen die Affen denn her? Beinah wäre ich über sie gestolpert. Die drei tragen ihren Hintern zu Schau, sie scharwenzeln um mich herum, wollen, dass ich ihnen dafür, dass ich sie filme, etwas gebe.

      Ich sage: „Kusch, kusch, verschwindet.“

      Sie weichen zurück, jedenfalls zwei von ihnen, der Dritte zieht plötzlich eine angriffslustige Fresse und attackiert mich. Ich erschrecke zutiefst, das kleine Äffchen, das mir nur bis zum Knie reicht, ist zu einer Bestie geworden und krallt sich an meinem Hosenbein fest. Ich versuche vergebens, ihn wegzuschleudern. Seine beiden Freunde schauen interessiert, während sie sich kratzen. Eine junge Frau kommt mir zu Hilfe, macht Lärm, meint auf Englisch, ich solle stillhalten, und tritt mir mit voller Wucht gegen die Wade. Ihr tut es sofort leid, mir schmerzt die Wade, sie erklärt, sie wollte den Affen treffen, der nun tatsächlich das Weite sucht. Ich stehe starr, den Camcorder immer noch im Anschlag, statt des flüchtenden Affen eine Elfe im Bild.

      „Hat der dich gebissen?“, sagt sie, eine Deutsche, auf Inderin gemacht, nicht älter als zwanzig, hellblondes Haar, bei genauer Betrachtung keine Elfe, zu trotzig.

      „Ich glaube nicht“, sage ich.

      „Solltest aber schon genauer wissen, oder bist du gegen Tollwut geimpft?“

      „Weiß nicht, warum?“, stelle ich mich blöd.

      „Zwei Tage hast du, dann ist es zu spät für ein Gegengift.“

      „Na dann.“

      Wir reden noch über andere Dinge, der übliche Touristenkram. Ich komme von …, ich bin hier seit …, ich bleibe bis …, ich fahre bald nach … „Ach was, dann haben wir die gleiche Richtung.“

      Ich biete ihr an, mit mir zu kommen, quasi als Gegenleistung, weil sie mir gerade das Leben gerettet hat. Sie meint, heute wolle sie nicht reisen, heute sei Silvester. Das Wort Silvester versetzt mir einen Stich. Für Melek ist Silvester der wichtigste Tag im Jahr, nur einmal haben wir es zusammen verbracht, auf Gran Canaria, lange ist das her. Auf Gran Canaria schliefen wir auch nach fünf Monaten Beziehung das erste Mal miteinander, dabei wollte sie unbedingt bis zur Hochzeit warten. Das mit der Jungfräulichkeit war ihr wichtig, nicht nur wegen ihrer Eltern. Dabei war ihr Häutchen schon lange vor mir kaputtgegangen. Doch von Hochzeit konnte zum Glück eh keine Rede sein, Meleks Eltern lehnten mich, einen Ungläubigen, kategorisch ab. Ja, sie hassten mich und übten am Telefon Psychoterror aus, schimpften ihre Tochter eine Nutte, drohten gar, sie zu enterben, wenn sie nicht zurück ins Elternhaus nach Gießen käme.

      Ich leistete damals in Köln-Ehrenfeld meinen Zivildienst und flog wegen einer Auseinandersetzung, die ich mit den katholischen Nonnen hatte, aus dem Schwesternwohnheim , in dem ich Melek kennengelernt hatte. Meine Zivistelle besorgte mir daraufhin ein Zimmer mit Kochnische im Westend Hotel, das mitten im Industriegebiet lag. So kam es, dass Melek und ich zusammenzogen. Leider dauerte es nicht lange, und Meleks Eltern standen überraschenderweise eines Tages auf der Matte. Sie schrien und schimpften. Dass ich Melek die Wohnung nur untervermietet hatte, glaubten sie nicht, dafür lag zu viel Zeug von mir herum. Die Mutter war die Lauteste, der Vater, so ein Djingis-Kahn-Verschnitt mit blauen Schlitzaugen, scheuerte mir mit dem Handrücken eine, als ich mich schützend vor Melek gestellt hatte. Ich zuckte nicht einmal mit der Wimper, obwohl es wehtat, das machte Eindruck.

      Melek weinte manchmal wegen ihrer durchgeknallten Familie, machte sich Vorwürfe. Ich durfte niemals auch nur ein schlechtes Wort gegen ihre Familie sagen, sie verteidigte sie heftig, meinte gar, sie hätte noch Glück gehabt. Ihre Eltern seien schließlich liberale Sunniten, andere moslemische Eltern hätten uns möglicherweise schon längs umgebracht. Ich sollte dankbar sein.

      Ich schlage der Elfe vor, an den Strand zu gehen, dort könne man ja eine Kleinigkeit essen. Sie macht ein zustimmendes Gesicht. Wir steigen schweigend von dem Hügel herab, das süße Gebimmel ihrer Fußkettchen im Ohr. Das Schweigen wird mir zu viel, ich weiß nicht, was ich sagen soll, was mir im Kopf herumschleicht, ist nicht zu gebrauchen. Das Gehupe macht mich nervös, ja fast aggressiv. Ich möchte nett sein.

      „Die Sackhose steht dir“, sage ich, als wir auf der Tourimeile ankommen, „verleiht deinem Gang etwas Schwebendes.“

      Sie schaut zu mir hoch, ein wenig verunsichert, ein wenig belustigt, ein wenig auf der Hut. „Oh, danke … Wie geht es deiner Wade?“

      „Besser.“

      Die Händler reden mehr auf sie ein als auf mich, jeder trägt ihr sein Anliegen vor. Sie ist sehr geduldig, bleibt höflich und gelassen. Ich bin völlig mit meinem Schweiß beschäftigt und ziehe ein angestrengtes Gesicht, wenn mich mein Spiegelbild in den Schaufenstern nicht täuscht.

      „Solltest dich mal im Meer abkühlen.“

      „Hab keine Badehose.“

      „Nimm doch die hier.“ Sie zeigt auf eine gelbrote Blümchenbermudahose.

      „Ach, etwas Lächerlicheres als das hat der Indische Ozean bestimmt noch nicht gesehen, was?“

      „Bist schlecht gelaunt?“, sagt sie.

      Frauen lieben es offenbar, solche Sachen zu sagen, darin sind sie alle gleich. Melek sagte oft, ich solle nicht so böse schauen, ich sei schlimmer als jeder Türke. Dabei haben ihr meine früheren Eifersuchtsanfälle meistens gut gefallen, sie waren eine Art Liebesbeweis. Doch Eifersucht hat nie etwas mit Liebe zu tun, ist immer die Folge von einem schlechten Selbstwertgefühl oder Verlustängsten. Die Ursache der allermeisten Ängste