Das Kino bin ich. Robin Becker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robin Becker
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347075559
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freut mich.“

      „Guten Appetit.“

      „Danke.“

      „Schmeckt es dir?“

      Ich nicke und gähne.

      „Die Inder, das sind ewige Kinder. Aber wenigstens halten die sich nicht für Rockstars, oder schlimmer noch, für Hippies, so wie die Israelis da.“ Er lacht über seinen Witz. „Immer slow down die Inder, keep cool. Was du heute kannst besorgen, besorgst du besser mal nächste Woche.“

      Ich schlucke und putze mir den Mund ab. Im Hintergrund läuft eine weitere Rockballade.

      „Schmeckt dir nicht, wa?“

      „Doch, doch.“ Ich nehme noch einen Happen wie zum Beweis und lösche mit Cola.

      „Kommst du aus Berlin?“

      „Nein … Köln … Das liegt in NRW.“ Das Sprechen und Zuhören strengt mich an.

      „Oh, ein Jeck, heute ohne Clownsnase unterwegs, wa? … Spaß.“

      „Schon okay.“

      Er nimmt aus der Brusttasche seiner Lederweste eine Packung Camel und zündet sich eine Zigarette an. Den Rauch pustet er nach rechts über seine Schulter. „Berlin boomt, wer hätte das gedacht. Jetzt regiert das Geld. Aus ist es mit dem Freigeist … Stört es dich, wenn ich rauche?“

      „Nein.“

      „Mich aber.“ Er schnippt die Kippe auf die Straße. „Bist du auf dem Weg nach Auroville?“

      „Wieso?“ Ich erinnere mich vage, vor Jahren etwas über Auroville gelesen zu haben. Die Rede war vom Paradies in kleinen Schritten, ein Prozess. Der Meditationstempel, ein gigantischer goldener Golfball, von einem herrlichen Park umgeben, in dem die Bewohner wandelten, war abgebildet.

      „Da wollen sie eigentlich alle hin, die sich hier aufhalten.“

      „Was gibt es denn da Besonderes?“, stelle ich mich ahnungslos, was ich im Grunde auch bin.

      „Auroville ist ein autonomes Gebiet mit eigener Verfassung und so, das vor über vierzig Jahren von der Mother gegründet wurde.“

      „Mother?“

      „Die gute Frau war die spirituelle Partnerin von Sri Aurobindo … Kennst du auch nicht, wa?“

      „Nee.“

      „Der ist in Indien ein berühmter Philosoph und Yogi gewesen.“

      Ich stelle meine Ellbogen auf dem Tisch ab und massiere mir die Schläfen.

      „Ich glaube, du gehörst ins Bett.“

      „Ich glaube auch“, gähne ich.

      „Allerdings, wer in Auroville leben möchte, muss bereit sein, das Göttliche Bewusstsein in sich zu entfalten.“

      „Und Besucher?“

      „Die sind befreit“, lacht er.

      „Wie viele Götter leben da denn so?“

      „Über zweitausend – die Hälfte sind Europäer, die meisten aus Frankreich und Deutschland.“

      Plötzlich ist es stockfinster und die Musik aus.

      „Stromausfall.“

      „In der ganzen Straße?“

      „Nein, in ganz Tamil Nadu. Willkommen in Indien.“

      Es werden Kerzen angezündet.

      ***

      Es windet und regnet stark, als ich aufwache, meine Füße jucken, sie sind total zerstochen. Ich stehe auf, ziehe mir die Hose an, setze mich nach draußen vor die Tür und drehe mir einen Joint. Ich sehe von meinem Platz einen Fetzen des schäumenden Ozeans, die Straße unter mir ist vom Regen geflutet, weit liegt beides nicht mehr auseinander. Das Dach über mir hält dicht. Der Weltuntergang war eigentlich für letzte Woche angekündigt. Wegen mir kann die Sintflut kommen. Manchmal braucht es einschneidende Veränderungen. So geht es doch nicht weiter. Welcher meiner Träume ist jemals in Erfüllung gegangen? Fußballer bin ich nicht geworden. Revolutionär auch nicht. Ich lache. Anstatt dass ich wenigstens Schriftsteller geworden bin, berate ich für die Arbeitsagentur Arbeitslose. Natürlich tue ich es auf meine Weise, doch das ist nur ein schwacher Trost und überhaupt keine Entschuldigung. Die Wahrheit ist, ich habe mich an den Staat verkauft.

      Niemand wollte meine Texte, das war hart. Melek haben sie gefallen, auch dafür habe ich sie geliebt. Doch sie mochte es nicht, wenn ich zu viel Zeit auf das Schreiben verwendete, mich in meinem Wahn einschloss, sie und auch sonst niemanden sehen wollte. Ich vergaß zeitweilig selbst zu leben. Helle, die Hauptfigur in Komfortzone, war lange ein anspruchsvoller Freund, ihn konnte ich zuweilen beneiden, aber auch bedauern, eine wunderbare Mischung. Dieser Bursche war ein Phänomen beziehungsweise ein Charakter, der nur schwer zu fassen ist. Ob er sich neu verliebte, polternd philosophierte, als Psychologe, gesellschaftskritischer Redner oder Journalist agierte – von beinah nichts, was er tat und wofür er einstand, war er wirklich überzeugt … Vor über zwei Jahren wurde mein schriftstellerisches Selbstwertgefühl endgültig zu Grabe getragen, als ein österreichischer Verlag ernsthaftes Interesse an einer Veröffentlichung anmeldete, und es kurz vor Vertragsabschluss plötzlich hieß, ich solle mich an der Veröffentlichung mit fünftausend Euro beteiligen.

      Ich solle ihnen bitte nichts mehr schicken, teilten mir damals schon Monate vor dem völligen Knock-out, zwei, drei andere Verlage mit. Eine Verlagslektorin riet mir gar, mir einen Ausgleich zum Schreiben zu suchen, mir würde der gesunde Abstand fehlen, man würde es merken. Sie hatte recht, ich lebte kaum noch für mich oder den Moment, sondern für die Literatur, wollte unbedingt meine Art, zu schreiben, durchziehen.

      Ich lächle über mich selbst, was gut tut. Nie werde ich vergessen, wie ich zum ersten Mal von einem kleinen Verlag eingeladen wurde. Dieser Lektor wollte meine ganze Geschichte umstrukturieren, danach wäre sie der totale Pseudolinkenschrott gewesen, Helle einer, der sich und seine Gedanken und Ideen tatsächlich ernst nahm. Ha, ha!, mir kommen die Tränen.

      Ich zünde die Tüte an. Das Gras wirkt erst gar nicht, dann ganz furchtbar, ich schaffe es so grade noch bis in mein Zimmer zurück, das Draußen braust, klappert, sabbert und schmatzt.

      ***

      Ich betrete eine Cafébar, die voller Buddhafiguren ist, in der Mönche in dunkelroten Kutten bedienen, die mir zur Begrüßung zunicken und die Augen niederschlagen.

      „Good morning“, sage ich.

      Vier vergnügte ältere Gäste bearbeiten mit Zange und Hammer zum Frühstück einen großen Hummer. Ich mache wegen des Lärms, den sie machen, und dem Fettgespritze einen großen Bogen um sie, und wende mich dem Tresen zu, wo die Menüs mit Kreide auf einer Tafel geschrieben stehen. Ich weiß noch nicht, ob ich hier unter den Buddhisten bleiben möchte, weil wo ich hinschaue, sitzt Buddha und meditiert. Nicht dass ich etwas gegen ihn hätte, im Gegenteil, ich bewundere ihn auf gewisse Weise, und er ist mir um ein Vielfaches sympathischer als der leidende Jesus am Kreuz, doch einen Dauermeditierer in zehnfacher Ausführung brauche ich gerade auch nicht um mich.

      Das Frühstücksangebot überzeugt mich schließlich hier zu bleiben. Ich bestelle, gehe nach oben auf die Dachterrasse, von wo ich den Strand, die hochstehende Sonne, die weiß durch die Wolken brennt, die Straße und die Händler im Blick habe. Wenn Melek noch in diesem Ort ist, wird sie hier vorbeikommen, bin ich mir sicher. Mein Fernglas erfüllt seinen Zweck wunderbar, ich erkenne sogar die tausend Jahre alten Gesichter mit den großen Glupschaugen an dem aus einem Fels gemeißelten pyramidenförmigen Tempel, der über einen Kilometer entfernt steht. Obwohl es erst elf Uhr ist, umkreisen Hunderte diesen Fels. Ein junger Mönch stellt mir das Frühstück hin, verneigt sich und ist so plötzlich verschwunden, wie er erschienen ist. Dabei wollte ich ihm noch die Fotografie von Melek zeigen, doch das kann ich auch später noch machen.

      Mein Pancake mit Banane und Schokostreusel, das Cheese Omelett mit Tomaten, der frisch gepresste