Der erste Tag im Ruhestand. Udo Lange. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Lange
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783347082311
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mit dem Herzen am richtigen Fleck, in einem Dorf in der Lüneburger Heide. Ihre kleine, aber sehr gemütlich eingerichtete Wohnung findet bei Familie und Freunden ganz viel Anklang. Wenn sie ein Fest feiern, müssen sie die Gäste mehr oder minder am Schluss hinaus komplimentieren, da es einfach schön und behaglich bei ihnen ist. In diesem Umfeld wächst der „kleine Mann“ auf, umhegt und umsorgt.

       In den Kindergarten geht Hans-Jürgen sehr gerne, er macht viel mit und ist in der Gruppe sehr beliebt. Er ist ein Kind, das zwar einerseits lebendig sein kann, aber auch in sich gekehrt. Was alle an ihm schätzen, ist sein Ordnungssinn. Er mag kein unaufgeräumtes Zimmer, es ist ihm zuwider. Wo mag er das wohl herhaben?

       Sein Vater fördert ihn, so gut es nur geht. Seine Mutter, eine ganz liebevolle Person, ist zwar auf der einen Seite streng, jedoch äußerst gerechtigkeitsliebend und sehr fürsorglich. Sie ist noch in der Tradition einer Großfamilie aufgewachsen, wo jeder auf den anderen achtet und Rücksicht genommen hat. Das Wort „liebevoll“ stand bei ihrer Familie nicht in irgendeinem Fremdwörterlexikon, sondern wurde aktiv gelebt. So konnte sie ihre Erfahrungen an Hans-Jürgen weitergeben. Man konnte sehen, welche Früchte ihre „Erziehung“ bei ihm schon in so jungen Jahren getragen haben.

       Zur lieb gewordenen Tradition gehörte es für ihn, wenn er abends im seinem Bett lag, dass er erst eine Geschichte vorgelesen bekam und dann sangen Mutter und er anschließend ein Gutenachtlied. Ohne dieses Ritual ging es nicht. Im Winter wurde öfter „Der Mond ist aufgegangen“, im Sommer „Die güldene Sonne“ gesungen. Am Schluss gab es noch eine liebevolle Umarmung und viele Küsschen.

      Hans-Jürgen erfand kleine Geschichten, die er seiner Mutter am nächsten Morgen erzählte. Seine Phantasie war manchmal schon erstaunlich. Eines Sonntags wollte er seine Geschichte am Kaffeetisch erzählen, kam aber nicht dazu, das in Ruhe zu tun, da, warum auch immer, alles zu wuselig war. Als er abends im Bett lag, erzählte er seine Traumgeschichte. Er schwebe auf einer Wolke und an seiner Seite seien zwei Engel gewesen, die mit ihm ganz liebevoll durch den Himmel schwebten. Auch habe er andere Gestalten gesehen, aber alle seien wie Engel gewesen. Hans-Jürgen schlief über seine Geschichte, die vermutlich noch viel länger und aufregender war, ein.

       Seine Mutter sang ganz leise sein Lieblingslied „Schlafe, mein Prinzchen, schlaf‘ ein“, gab ihm anschließend noch einen ganz liebevollen Kuss und schlich sich ganz leise aus seinem Zimmer. Als sie die Tür schließen wollte, hörte sie Hans-Jürgen sagen: „Mama, ich habe dich ganz toll lieb und Papa auch.“

      5 - Einsamkeit

       Heute war wieder so ein Tag, an dem Klaus nicht aufstehen mochte. Er quälte sich aus seinem Bett und zog ganz vorsichtig eines der beiden Rollos hoch, um zu sehen, welches Wetter ihn erwartete. Er blickte in eine trübe Suppe. Es nieselte und vereinzelte Nebelschwaden umgaben das Haus.

       Seine Liebste war vor ein paar Tagen zu ihrem Bruder gefahren, mit der Aussage, dass sie nicht wisse, wann sie wieder zurück wäre.

      Klaus ging ganz langsam die Treppe runter, immer noch im Schlafanzug, um sich sein Frühstück anzurichten. Die Jalousien des Esszimmers zog er hoch und schaute auf das Vogelhaus, in dem sich diverse Vögel tummelten. Am Vorabend hatte er noch Futterknödel aufgehängt, auf denen sich jetzt Spatzen und Meisen krampfhaft festkrallten, um an das begehrte Fett und die darin eingeschlossenen Körner zu gelangen. Das Brötchen, welches er sich vorhin getoastet hatte, bestrich er mit Erdbeermarmelade und biss ein Stück ab. Irgendwie wollte ihm das Ganze heute einfach nicht schmecken und er kaute lustlos und gelangweilt darauf herum. Das Kauen vollzog sich im Schneckentempo. Plötzlich gingen die Gedanken hin und her und ihm kamen ganz wirre Vorstellungen. Was wäre, wenn seine geliebte Frau nicht mehr da wäre? Würde er dann noch leben wollen? Was, bitte in aller Welt, sollte er dann hier noch? Vegetieren? Den Einsiedler spielen? Abgehängt von der Welt leben? Ihm liefen die Tränen die Wangen herunter. Sein Versuch, sich mit etwas Positivem abzulenken, ging völlig daneben. Er haderte mit Gott und der Welt und verstand heute beide nicht mehr. Seine Verzweiflung war riesig. Alles lief ihm plötzlich aus dem Ruder bei dem Gedanken, seine geliebte Frau könne nicht zurückkehren. Sohn und Geschwister, alle weit weg. Anrufen? Das war auch nicht die Lösung. Er wollte seinen Schmerz der Verlassenheit ausleben. Aber wofür stand dieser Schmerz? Er fand die Ursache in dem Moment nicht heraus. Er ließ seinen Tränen freien Lauf, verschränkte seine Arme, legte sie auf den Esstisch, und den Kopf oben auf. Wie lange er in dieser Haltung verharrte, konnte er nicht sagen. Urplötzlich bäumte sich sein Körper auf, er saß kerzengerade und schrie:

       „Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?“

       Ihm wurde schlagartig bewusst, wie weh Einsamkeit tun konnte. Er schluchzte und weinte in einem fort.

       Irgendwann hatte er das Gefühl, als hätte er ein Geräusch von der Eingangstür gehört und lauschte eine Weile. Als sich nichts regte, weinte und schluchzte er weiter. Er saß mit dem Rücken zur Tür und schaute nach draußen, so als wolle er nichts anderes mehr sehen als nur noch die Natur.

       Plötzlich spürte er zwei Hände auf seinen Schultern. Die Wärme war ihm so vertraut. Dann flüsterte ihm eine weibliche Stimme von hinten ganz zärtlich ins Ohr:

       „Ich habe es ohne dich nicht mehr ausgehalten.“

      6 - Die Angeltour

       Die Eltern zogen mit uns drei Kindern und unserer Oma von einem kleinen Ort in Baden-Württemberg, in dem ich geboren wurde, in eine Stadt am Rhein. Von unserem neuen Zuhause aus ging meine jüngere Schwester anfangs zur Mädchenrealschule.

       An einem Sonntag veranstaltete diese einen „Tag der offenen Tür“. Wie es damals so üblich war, ging die ganze Familie dort hin, um zu sehen, wie die Klassenräume aussahen und um die eine oder andere Lehrerin zu begrüßen. Es war für mich ein sehr langer Weg, da ein Erwachsener eine gute halbe Stunde bis dorthin benötigte. Dazu musste er aber recht flotten Schrittes unterwegs sein.

       In der Schule angekommen schauten wir uns ganz viele Räume an. Für mich war die Klasse, in der riesige Landkarten hingen, sehr interessant. Meine Händchen fuhren immer wieder über die Kartenflächen. Ich erinnere mich nicht mehr, welche Fragen ich meinen Eltern und Geschwistern stellte. Es müssen ganz viele gewesen sein, denn wie mir später meine älteste Schwester erzählte, waren die Eltern ob meines Wissensdurstes ziemlich genervt gewesen. Zu dem damaligen Zeitpunkt muss ich etwa vier oder fünf Jahre alt gewesen sein. Das Interesse an Geographie ist jedenfalls bis heute geblieben und war zu Schulzeiten mein Steckenpferd.

       Einige Zeit später. Es war ein sonniger Tag, alle waren „ausgeflogen“. Vater und meine älteste Schwester arbeiteten, die jüngere war in der Schule, Mutter war einkaufen und Oma und ich waren alleine zu Hause. Irgendwie musste mir die Zeit mit ihr zu langweilig geworden sein, denn ich beschloss, nach draußen spielen zu gehen, was ich auch umgehend tat. Dann erinnerte ich mich daran, dass da noch der große Fluss ein Stück weiter hinter der Realschule war. Mit den Eltern waren wir dort ab und zu spazieren gewesen, und mich haben immer die Angler mit ihren langen Ruten fasziniert. Das wollte ich auch mal ausprobieren. Dazu besorgte ich mir einen langen Stock, einen Bindfaden und ein kleines Stückchen Holz als Schwimmer. Als alles zu meiner Zufriedenheit fertig war, stapfte ich Richtung Mädchenrealschule los, ohne auch nur ein Wort zu Hause zu sagen. Denn erlaubt hätte mir das sowieso niemand! Zu gefährlich war der Weg, da einige Hauptstraßen überquert werden mussten, die noch ohne Ampeln waren. Alleine Angeln wollte ich aber auch nicht, zumindest sollte meine jüngere Schwester mitkommen. Also ging ich schnurstracks in ihre Schule, wusste aber nicht, in welchem Klassenraum sie gerade war. So öffnete ich irgendeine Klassentür in der Hoffnung, sie dort anzutreffen und zum Angeln mitnehmen zu können

       Den Klassenraum fand ich verdunkelt vor, da ein Diavortrag gehalten wurde. Mich sprach eine weibliche Stimme an - vermutlich die Lehrerin, die gerade ihren Unterricht hielt - wen ich suche und wo ich hin wolle. Ich antwortete, dass ich meine Schwester abholen wolle, um mit ihr am großen Fluss zu angeln. Statt einer Bejahung kam schallendes