Die Highway Police und City Police waren inzwischen angewiesen worden, auf Motorradfahrer zu achten, sie gezielt aus dem Verkehr zu winken und ihre Papiere zu überprüfen. Möglicherweise hatten wir Glück und der Killer ging auf diese Weise einer der Streifen ins Netz.
Inzwischen gab es fast ein Dutzend Werkstätten, die davon berichteten, dass Kunden sehr eigenwillige Umbauten im Lenkerbereich an ihren Maschinen hatten vornehmen lassen. Nachdem über die lokalen Medien ein entsprechender Aufruf ergangen war und unsere Innendienstler aus der Fahndungsabteilung Werkstätten gezielt telefonisch darauf angesprochen hatten, schien eine regelrechte Hysterie ausgebrochen zu sein, sodass mittlerweile mehr Hinweise vorlagen als wir bewältigen konnten.
Inzwischen gab es sogar einen Anrufer, der von sich behauptete, selbst der gesuchte Motorrad-Killer zu sein.
Allerdings war es gelungen, den Anruf in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik auf Staten Island zurückzuverfolgen. Ein Insasse hatte die Möglichkeit gewittert, in die Medien zu kommen.
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Das Motorrad raste die schmale Seitenstraße entlang. Der Fahrer bremste ziemlich abrupt ab. Auf der linken Seite war ein Mercedes Transporter geparkt worden.
Der Road Killer betätigte einen kleinen Schalter am Lenkrad und aktivierte damit eine Fernbedienung.
Das Heck des Transporters öffnete sich.
Eine Rampe wurde ausgefahren.
Der Road Killer gab noch einmal etwas Gas und fuhr die Rampe empor, sodass er im Inneren des Transporters verschwand. Er stieg ab und ließ die Maschine in die dafür vorgesehenen Halterungen hineingleiten. Ein paar Handgriffe und die Maschine war so fixiert, dass sie nicht einmal bei einem schweren Unfall noch in Bewegung geraten konnte. Das Heck schloss sich automatisch. Das Innere des Transporters war nach den Bedürfnissen des Road Killers aus- und umgebaut worden. So gab es einen Durchgang zur Fahrerkabine des Transporters. Der Road Killer legte den Helm auf den Beifahrersitz. Hier drinnen konnte ihn auf Grund der getönten Scheiben, die er sich extra in das Fahrzeug hatte einbauen lassen, ohnehin kein Passant erkennen.
Dann startete er und scherte aus der Reihe parkender Fahrzeuge aus.
Der Transporter scherte aus der langen Reihe parkender Fahrzeuge hervor. In diesem Moment meldete sich das Telefon. Es war eines der Prepaid Handys, die der Road Killer üblicherweise benutzte, um das Abhören zu erschweren.
Der Road Killer nahm das Gespräch entgegen und aktivierte dazu die Freisprechanlage.
„Hier Reigate. Die Dinge haben sich geändert.“
„In wie fern?“, fragte der Killer.
„Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass Sid Garetta im Moment nicht in New York ist“, wisperte die Stimme im Brustton der Verschwörer.
„Und wo finde ich ihn dann?“
„Er besitzt ein Ferienhaus in den Hamptons auf Long Island, wo er sich verkrochen hat.“
„Okay…“
„Ihr Handy ist doch internetfähig, oder?“
„Ja.“
„Dann schicke ich Ihnen ein paar Fotos und eine genaue Wegbeschreibung zu.“
„Ich bevorzuge eigentlich eine anonymere Übergabe von relevanten Auftragsdaten.“
„Sie bekommen sehr viel Geld für Ihren Job. Wir sollten uns gegenseitig vertrauen. Ich benutze Prepaid-Handys und vernichte die Chipkarte. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Sache schnell über die Bühne gebracht werden muss, sonst wird der Boden für Sie zu heiß.“
„Die Tatsache, dass ich die sechzig Meilen bis zu den Hamptons hinausfahren muss, bedeutet, dass ich neu disponieren muss. Ich kann Ihnen also nicht versprechen, dass wir im Zeitplan bleiben.“
„Sie sind ein Profi und werden das schon hinbekommen!“, entgegnete Reigate.
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Am nächsten Morgen erfuhren wir die Identität des dritten Opfers, das bei dem Anschlag auf den Coffee Shop ums Leben gekommen war. Es handelte sich um Jason Carlos, der auch bereits von Dr. Donovan als Teilnehmer der Zusammenkünfte in seiner Praxis angegeben worden war.
Jason Carlos war kein unbeschriebenes Blatt. Die Abfrage über NYSIS ergab eine ziemlich lange Liste von Vorstrafen. Er galt nach den bisherigen Erkenntnissen als Boss eines Drogenrings von Exilkubanern und passte somit ins Bild.
„Es scheint so, als hätte der Road Killer den Auftrag, systematisch die Teilnehmer der konspirativen Treffen in Dr. Donovans Praxis umzubringen“, äußerte Max Carter seine Ansicht, als wir im Büro von Mr McKee auf den neuesten Stand der Ermittlungen gebracht wurden.
Dieses Mal nahm auch ein Vertreter der Drogenpolizei DEA an der Besprechung teil. Er hieß Derek Potter und war ein mittelgroßer Mann mit aschblonden Haaren und einer sehr markanten Brille.
„Meine Kollegen sind den von Ihrer Seite stammenden Hinweisen auf die bevorstehende Übernahme des Marktes durch ein auswärtiges Syndikat intensiv nachgegangen“, erklärte Derek Potter, nachdem Mr McKee ihm das Wort erteilt hatte. „Zunächst mal hat uns stutzig gemacht, dass die Heroinpreise nicht gefallen sind, was sehr häufig mit derartigen Veränderungen auf der Anbieterseite einhergeht. Zumindest für eine Übergangsfrist, bis sich die Verhältnisse wieder ‚geordnet’ haben und es nicht mehr nötig ist, die Konkurrenz mit billigem Stoff aus dem Rennen zu schlagen. Aber die Preise allein wären andererseits auch kein Argument, eine solche Entwicklung völlig auszuschließen. Tatsache ist aber, dass es zwar jede Menge Gerüchte darüber gibt, aber keinen einzigen konkreten Hinweis.“
„Was ist mit der Philadelphia-Connection?“, fragte Mr McKee.
„Unsere Kollegen vor Ort halten es für unwahrscheinlich, dass man dort derzeit an eine Expansion des Geschäftes denkt, sondern glauben eher, dass es sich um gezielt gestreute Desinformationen handelt.“
„Und zu welchem Zweck?“, erkundigt sich Mr McKee.
„Es könnte sein, dass der wahre Auftraggeber des Road Killers einfach noch nicht in Erscheinung treten möchte und es ihm ganz recht ist, wenn jemand anderes die Zielscheibe für eventuelle Gegenmaßnahmen bietet. Schließlich brauchen wir ja wohl nicht damit zu rechnen, dass die hiesigen Heroin-Bosse tatenlos dasitzen und sich der Reihe nach umbringen lassen. Was die Philadelphia-Connection angeht, so scheinen dort ja im Moment alle, die wir im Verdacht haben, daran beteiligt zu sein, auf Tauchstation zu gehen und sich zu bemühen, sehr vorsichtig zu agieren.“
„Dann stehen wir mit unseren Ermittlungen, was die Hintermänner dieser Mordserie angeht wohl wieder ganz am Anfang!“, zog Clive Caravaggio einen nahe liegenden, aber ziemlich deprimierenden Schluss.
Immerhin waren unsere Kollegen aus dem Innendienst inzwischen bei der Fahndung nach dem Road Killer ein Stück weitergekommen.
„Wir haben zirka zwanzig Personen aus unserer umfangreichen NYSIS-Abfrage herausgefiltert, die in allen wesentlichen Merkmalen übereinstimmen, von denen wir glauben, dass sie auf den Täter zutreffen“, erklärte Max Carter. „Sie sind männlich, etwa 1,80 m groß, weisen einen medizinischen Grund auf, um zumindest auf der rechten Seite einen orthopädischen Schuh zu tragen, sind mindestens dreißig Jahre alt und haben eine bekannte Vorliebe für Motorräder. Außerdem sind alle in ihrer Anfangszeit durch kleinere Straftaten vorwiegend im Bereich Körperverletzung und Drogen aufgefallen und sitzen derzeit nicht in Haft. Alle ermittelten Personen haben oder hatten mehr oder minder deutliche Verbindungen zum organisierten Verbrechen. Fünf stehen gegenwärtig unter Bewährung. Daher sind ihre Aufenthaltsorte bekannt, die im übrigen über die gesamten USA verstreut liegen.“
„Dann werden wir veranlassen, dass zumindest diese fünf so schnell wie möglich Besuch von Agenten der zuständigen Field Offices