„Was willst du?“ Er wusste selber nicht, warum er seine Stimme dämpfte, so dass die anderen nicht aufwachten.
„Es ist Zeit, dass du mich endlich losbindest, Muchacho“, flüsterte Ortiz hastig. „Weiß der Teufel, ob sich sonst noch die Gelegenheit dazu ergibt.“
Will starrte ihn an, als hätte er nicht richtig gehört. Dann tippte er mit dem Zeigefinger an die Schläfe und wollte sich wortlos abwenden. Der Gefesselte bäumte sich auf.
„Warte, Compadre! Du willst doch nicht, dass deine Brüder gehenkt werden, oder? Weißt du denn nicht, was in Wirklichkeit gespielt wird? Haben sie dich nicht eingeweiht?“
Einen Moment stand Will so reglos und verkrampft da, als spürte er ein unsichtbares Messer an der Kehle. Dann drehte er sich mit seltsam starrer Miene abermals dem Gefangenen zu. „Du redest chinesisch, Hombre … Bis jetzt versteh ich kein Wort.“
„Madonna mia! Nicht so laut, Muchacho!“, keuchte Ortiz. „Ich werde dir alles sagen, aber zuvor binde mich los. Du bist doch aus demselben Holz geschnitzt wie Jess und Larry. Du willst dir doch einen Anteil an den vierzigtausend Dollar nicht entgehen lassen. Also, mach schnell, und ich verspreche dir …“
„Na, na, nur nicht so ungeduldig!“, knurrte Will leise und kauerte sich neben dem Mexikaner auf die Hacken nieder. „Bis jetzt seh ich nicht ein, warum ich dich davor bewahren sollte, eines Tages doch an einem dicken Ast aufgeknüpft zu werden. Schließlich hast du meinen Freund Ben Osborne auf dem Gewissen.“
„Hooker hat geschossen, nicht ich. Die Kugel galt Kelly, eurem Scout. Menschenskind, Hombre, ich weiß doch, dass es dir auf der Ranch deines Vaters genauso dreckig geht wie Jess und Larry. Wenn du erst …“
„Rede, verdammt noch mal!“ Ein wildes Flackern war plötzlich in Wills Augen. Nun glänzten auch winzige Schweißperlen auf seiner Stirn. Ortiz streckte ihm die gefesselten Hände hin.
„Binde mich los!“
„Den Teufel tu ich, solange ich nicht weiß, um was es geht!“
„Hast du‘s noch immer nicht kapiert?“, zischte der Mexikaner. „Es geht um Geld, um eine Menge Geld! Auch für dich sind ein paar Tausender drin, wenn du dich auf die Seite deiner Brüder schlägst!“
Will brachte sein verkniffenes, zuckendes Gesicht noch näher an den Gefangenen heran. Seine Fäuste umklammerten mit aller Kraft das Gewehr. „Mann!“, keuchte Will. „Möchtest du mir etwa einreden, dass Jess und Larry mit Jefford gemeinsame Sache gemacht haben? Bist du verrückt?
„Der Narr bist du! Ich dachte, du würdest deine eigenen Brüder besser kennen. Ich sage nur die Wahrheit. Ja, zum Teufel, Jefford hat Jess und Larry nicht als Geiseln mitgenommen, wie dein Vater glaubt. Sie sind freiwillig bei ihm, denn sie wollen sich ihr Stück vom großen Kuchen nicht entgehen lassen. Wenn du so dumm bist, darauf zu verzichten, dann ist dir nicht zu helfen.“
„Du lügst, verdammter Greaser!“
„Und du hast Angst vor der Wahrheit! Angst, mich laufenzulassen, weil du denkst, dein Vater könnte dahinterkommen! Scheint, ich habe mich in dir geirrt. Du bist nicht so wie deine Brüder. Du kannst ihnen nicht das Wasser reichen.“
„Hölle und Verdammnis, wie redest du mit mir!“
„So, wie du‘s verdienst! Wenn du lieber unter der Knute deines Alten leben und dich auf eurer Ranch zu Tode schinden willst, anstatt in Mexiko als freier, reicher Hombre die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen, dann tust du mir direkt, leid. Jess und Larry waren schlauer. Denen war kein Preis zu hoch, um endlich alles abzuschütteln, was ihnen nicht in den Kram passte. Ohne sie wäre Jefford nie an den Zaster ‘rangekommen. Umgekehrt hätten deine Brüder allein mit dem Geld nie die Grenze erreicht, denn Jefford wäre wie der Teufel hinter ihnen her gewesen. Also einigten sie sich darauf, die Sache gemeinsam zu deichseln. Es hat sich für beide Seiten gelohnt, und es wird sich auch für dich lohnen, wenn du mitmachst.“
Will leckte sich den Schweiß von der Oberlippe. In seinem hageren Gesicht arbeitete es heftig. Er warf einen gehetzten Blick auf die Schläfer, aber keiner hatte etwas gemerkt. Ortiz raunte: „Diablo, worauf wartest du noch?“
Will schüttelte den Kopf. „Wenn ich gemeinsam mit dir verschwinde, weiß der Alte gleich, was es geschlagen hat.“
„Binde mich los, gib mir ein Pferd, und ich werde schon dafür sorgen, dass deine Brüder dich nicht leer ausgehen lassen.“
„Hm, da halte ich es schon für besser, du bleibst ebenfalls hier, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Ich trau dir nicht, Greaser, auch wenn du die Wahrheit gesagt hast, was Jess und Larry betrifft.“
„Willst du riskieren, dass es deinem Oldman einfällt, mich morgen oder übermorgen doch noch aufzuknüpfen?“, keuchte der Mexikaner.
Will grinste tückisch. „Das ist dein Risiko, Freundchen, nicht meines. Ich weiß jetzt, was los ist. Das genügt mir.“
„So! Glaubst du! Aber was dann, wenn auch dein Vater erfährt, welches Spiel hier eingefädelt wurde, eh? Wenn ich ihm obendrein sage, dass ich dich eingeweiht habe, du aber geschwiegen hast? Willst du es auch darauf ankommen lassen, Gringo?“
„Der Teufel soll dich holen! Also gut, ich lasse dich frei.“
„Dann beeil dich. Nimm dein Messer und schneide mich los.“
„Damit jeder gleich merkt, dass noch einer die Finger im Spiel hat? Werd mich hüten! Ich werde deine Fesseln lockern, dass du selber freikommst. Dann sieh zu, dass du ‘n tüchtigen Gaul erwischt und verschwindest. Aber lass die Finger von dem Braunen mit der Stirnblesse. Der gehört mir. Mach dir nichts draus, wenn ich zum Schein hinter dir her schieße. Ich werde sowieso genug Scherereien haben, wenn du ausgerechnet während meiner Wache verduftest.“
„Bueno, bueno, mach endlich voran.“ Ortiz fieberte vor Ungeduld.
Will hantierte an seinen Fesseln. Dahn zog er sich lautlos zu seinem alten Platz bei dem Felsblock zurück. Er vergaß nicht, seine Spuren mit einem abgebrochenen Zweig zu verwischen. Seine Finger zitterten unmerklich, als er sich wieder eine Zigarette drehte. Die Blicke aus seinen im Hutschatten verborgenen Augen wanderten unablässig zwischen Ortiz dunkler geschmeidiger Gestalt und den wie Deckenbündel aussehenden Schläfern.
Es dauerte nicht lange, bis der Mexikaner sich geduckt aufrichtete. Er hatte seine Sporen abgeschnallt. Kein Laut war zu hören, als er auf den Zehenspitzen in Richtung Pferde schlich. Währenddessen brannte sich Will die Zigarette an. Ortiz blieb stehen, blickte zu ihm her und deutete mit einer fragenden Gebärde auf Bancrofts Rotfuchs. Will nickte zustimmend.
Kaum hatte sich der Bandit jedoch wieder in Bewegung gesetzt, da schwang der Ranchersohn sein Gewehr hoch. „Halt, du Schurke, stehenbleiben!“, brüllte er.
Die schlafenden Männer fuhren hoch und griffen zu den neben ihnen liegenden Waffen. Ortiz hatte entsetzt den Kopf herumgerissen. Ein Feuerstrahl peitschte aus Wills Gewehr. Der Mexikaner stieß einen gellenden Schrei aus, drehte sich um die eigene Achse und fiel. Die Pferde wieherten und stampften. Heisere, schlaftrunkene Rufe schallten. Ortiz versuchte sich aufzurichten. Blut lief über seinen Rücken. Will machte rasch einige Schritte auf ihn zu, hob abermals die Winchester und feuerte. Die Kugel durchschlug den Kopf des Mexikaners. Haltlos sackte der gekrümmte Körper zusammen.
Mit unbewegter Miene setzte Will die Waffe ab. Nur ein feiner, kaum sichtbarer Nerv zuckte unter seinem rechten Auge. Er blickte den Rancher an, der wie die anderen den Colt in der Faust hielt. „Der Bastard wollte türmen. Weiß der Satan, wie er es geschafft hat, von seinen Fesseln loszukommen.“
Chad, der sich über die niedergeschmetterte Gestalt des Banditen gebeugt hatte, richtete sich langsam auf.
Seine Stimme klang wie brechendes Eis. „Die erste Kugel hätte genügt. Er wäre nicht mehr weit gekommen.“