„Das wagst du nicht, Kelly!“, keuchte er. „Du kennst meinen Vater. Er würde dich am nächstbesten Ast aufknüpfen lassen, auch wenn ihr mal Seite an Seite geritten seid. Steck das verdammte Schießeisen weg, Kelly. Du erreichst ja doch nichts damit.“
Chad Kelly atmete tief durch. Das schweißüberströmte verkniffene Gesicht des Schurken, der die junge Mexikanerin als Schutzschild vor sich hielt, brannte sich unauslöschlich in sein Gehirn. Die backofenheiße Stille über der kleinen Ranch wurde zur drückenden Last. Mit einer zähflüssigen Bewegung schob Chad den 45er Colt ins Holster, das er wie die meisten Rindermänner hoch an der Hüfte trug.
„Du hast recht, Will“, sagte er schwer. „Du bist es nicht wert, dass deinetwegen meine Freundschaft mit Tom in die Brüche geht. Ich brauche keinen Colt, um mit dir fertig zu werden.“
Mit steinerner Miene ging er langsam auf den jungen Bancroft zu. So groß und schwer er auch wirkte, seine Bewegungen besaßen die Geschmeidigkeit eines Löwen. Statt der landesüblichen hochhackigen Boots trug Chad Kelly Stiefel mit flachen Absätzen ohne Sporen. Eine Weile war nur das Malmen des heißen Sandes unter seinen Sohlen zu hören. Will stieß die Frau plötzlich heftig zur Seite. Seine Rechte senkte sich klauenartig über den Revolverkolben. Die Waffe hing tief auf seinem Oberschenkel, genau wie bei seinen Brüdern Jess und Larry. Chad wusste, dass Bancrofts Söhne sich nicht zu Unrecht eine Menge auf ihre Schießfertigkeit einbildeten. Aber das zählte jetzt nicht, nicht nach allem, was hier geschehen war. Unbeirrt ging er weiter auf den langsam Zurückweichenden zu.
„Mach keinen Quatsch, Kelly! Bleib stehen! Ich warne dich!“
Die Worte schienen an einem Felsen abzuprallen. Nie hatte Will Bancroft ein so steinernes, unheimliches Antlitz gesehen. Ob er wollte oder nicht, er wich vor dem Herankommenden immer weiter zurück, bis er das Rundholz eines Stützpfeilers zwischen den Schulterblättern spürte. Da erst erwachte Will aus seiner Trance.
„Zum letzten Mal, Kelly: Bleib mir vom Leib!“ Seine Rechte schraubte sich um den Revolvergriff.
„Chad!“, rief Conchita mit zitternder Stimme. Sie wollte zu ihrem Mann laufen.
„Bleib, wo du bist!“ Der ungewohnt scharfe Ton bannte sie fest. Für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, dass dort ein Fremder auf Will Bancroft zumarschierte, ein Mann ohne Nerven, ohne Mitleid, eine furchteinflößende Gestalt.
„Narr, verdammter!“, knirschte Will. Sein Sixshooter flog aus dem Holster, so schnell, dass das Auge kaum folgen konnte.
Chad war schneller. Aus dem sonst eher ein wenig schwerfälligen Smallrancher war plötzlich ein katzenhaft geschmeidiger Kämpfer geworden. Sein Colt blieb an seinem Platz. Stattdessen zuckte Chads linke Stiefelspitze hoch und erwischte Wills Handgelenk. Der Ranchersohn brüllte, mehr vor Wut, als vor Schmerz, als seine Waffe in hohem Bogen davonwirbelte. Dann blieben ihm die Flüche in der Kehle stecken. Chad war bei ihm, und seine schwieligen, harten Fäuste besaßen die Wucht von Dampfhämmern.
Bancroft flog wie ein Stoffbündel mehrere Schritte weit in den Sand des Ranchhofes. Keuchend wälzte er sich herum, kam mit hassverzerrter Miene auf die Beine – und wurde schon wieder getroffen, dass ihm Hören und Sehen verging. Als er diesmal mühsam den Kopf hob, waren Chads staubverkrustete Stiefel dicht vor ihm. Langsam tastete sich Wills flackernder Blick an der reglosen Gestalt seines Feindes hoch.
„Nur weiter!“, sagte Chad kalt. Nicht einmal sein Atem ging schneller, und seine Fäuste hingen locker herab. „Wenn ich mit dir fertig bin, du Lump, wirst du dich hüten, jemals wieder deine dreckigen Pfoten nach meiner Frau auszustrecken. Los, worauf wartest du? Wolltest du mich nicht töten?“
Wills Revolver lag nur wenige Schritte entfernt am Boden. Bancrofts Sohn schleuderte sich herum, streckte die Hand nach der Waffe aus. Mordgier glühte in seinen Augen. Wieder kam Chad ihm zuvor. Sein Stiefeltritt warf Will über den im Staub liegenden Revolver. Im nächsten Moment hatten sich Chads Hände in das Baumwollhemd des jungen Burschen gekrallt. Scheinbar ohne jede Mühe riss er ihn hoch. Ihre Gesichter waren einander ganz nahe. In diesem Augenblick war Will nahe daran, vor Schreck laut aufzuheulen.
Da klang dumpfer Hufschlag hinter dem Smallrancher auf. Conchita stieß einen leisen Schrei aus. Bancroft krächzte: „Jetzt bist du geliefert, Kelly! Jube, Ben, Cole, los zum Teufel, schnappt ihn euch! Macht ihn fertig!“
Chad Kelly stieß Will so hart zurück, dass er wieder im Staub landete. Geduckt fuhr der breitschultrige Rinderzüchter herum. Reiter mit breitrandigen Hüten, dornenzerkratzten Chaps und flatternden Halstüchern jagten auf zottigen Pferden heran, als wollten sie ihn unter den Hufen zermalmen. Zweien von ihnen konnte Chad ausweichen, der Gaul des dritten rammte ihn. Chad stürzte, spürte Sandkörner zwischen den Zähnen und einen dumpfen Schmerz an der rechten Schulter. Er wollte hoch, aber da waren sie schon über ihm. Wie Raubkatzen waren sie von den Sätteln auf ihn herabgesprungen.
Ringsum wallte Staub, stampften Hufe, wieherten Pferde. Chad sah die verzerrten rauen Gesichter wie durch Nebelschwaden. Wütend schlug er um sich. Conchita schrie, doch ihre Stimme wurde von Wills hasserfülltem Gelächter übertönt.
„Nur nicht so zimperlich, Jungs! Gebt es ihm tüchtig! Er hat‘s verdient!“
„Schluss, verdammt nochmal!“ Die peitschende befehlsgewohnte Stimme trieb die Kerle auseinander. Hufe schaufelten näher. „Will, zum Teufel, was geht hier vor?“
Chad blutete aus mehreren Schürf- und Platzwunden, aber er fühlte keinen Schmerz. Seine zornige Erregung klang nur langsam ab. Er musste sich erst den Staub und Schweiß aus den Augenwinkeln wischen, ehe er den hageren, hoch im Sattel aufgerichteten Mann richtig sah. Tom Bancrofts Söhne hatten mit ihrem Vater nur der Gestalt nach Ähnlichkeit. In seinem kantigen Ledergesicht gab es kein wildes, raubtierhaftes Lauern. Seine hellgrauen durchdringenden Augen waren frei von jeder Hinterhältigkeit. Sein schmaler Mund verriet Härte, doch da waren auch Spuren von Bitterkeit und Einsamkeit, die in den messerscharfen Falten seines Gesichts nisteten. Es war lange her, dass Chad mit diesem um zwanzig Jahre älteren Mann Bügel an Bügel geritten war, aber nichts aus jener Zeit, als sie noch frei wie der Wind gelebt hatten, war vergessen. Vor allem jener Tag nicht, an dem Tom Bancroft seinen jungen Sattelpartner unter Einsatz des eigenen Lebens aus der Umzingelung einer skalphungrigen Apachenbande herausgehauen hatte. Jetzt blickte er Chad nur flüchtig an, um sich zu überzeugen, dass ihm nichts weiter passiert war.
„Hast du Dreck in den Ohren, Will? Ich hab dich was gefragt!“ Es war die herrische Stimme eines Mannes, der sich daran gewöhnt hatte, dass andere sich vor ihm duckten – auch seine eigenen Söhne.
Will wischte erst mit dem Handrücken über die aufgeplatzten Lippen, ehe er brummig antwortete. „Höchste Zeit, Dad, dass Kelly mal auf seine richtige Größe zurechtgestutzt wird und begreift, wer die wahren Herren in diesem County sind! Der glaubt schon lange, sich weiß der Kuckuck was herausnehmen zu dürfen, nur weil ihr mal zusammen geritten seid. Verdammt, was der sich nur einbildet! Er hat mich angegriffen, Dad, grundlos, nur weil ich auf seine Ranch kam, um mir ‘nen Schluck Wasser von seiner Frau zu erbitten.“
„Er lügt, Señor!“, rief Chads mexikanische Frau atemlos.
Bancrofts Sohn lachte rissig. „Sie passen gut zusammen, was? Aber du wirst einer lausigen Greaserin bestimmt nicht mehr glauben als deinem eigenen Sohn, oder?“
Das Schimpfwort war kaum über seinen Lippen, da fuhr Chad mit geballten Fäusten herum. Er erstarrte, als Jube Dwyer, einer von Bancrofts rauen Weidereitern, seinen Colt aus nächster Nähe auf ihn richtete. Der untersetzte, stiernackige Mann grinste drohend.
„Reg dich bloß nicht auf, Kelly. Ich bin einer Meinung mit Will. Ich halte nichts von Kerlen, die sich ‘ne Mex als Frau heimholen und dann auch noch so tun, als seien sie was Besseres. Du brauchst nur einen falschen Atemzug zu tun, dann brenne ich dir ‘nen Stempel auf, den du dein Leben lang nicht mehr loswirst.“
„Den