Tom Bancroft, der eben noch genauso müde zusammengesunken im Sattel gehockt hatte wie die anderen verstaubten Gestalten, beugte sich gespannt vor. Ein scharfes Glitzern trat in seine Augen. „Gott sei Dank, wir haben sie!“ Er drehte sein verwittertes kantiges Gesicht Chad zu. „Ich werde nie vergessen, Amigo, dass du das geschafft hast. Männer, nehmt eure Gewehre zur Hand!“
Die Karabiner schnurrten aus den Scabbards. Der lange, harte Ritt hatte deutliche Spuren in den seit Tagen unrasierten Gesichtern hinterlassen. Aber jetzt war schlagartig alle Müdigkeit von den Männern gewichen. Die Entschlossenheit, die ihren Boss erfüllte, spiegelte sich auch in ihren Augen. Wer sie nicht kannte, hätte diese Reiter für eine Bande heruntergekommener Strolche und Halsabschneider halten können, die vorhatte, ein einsames Mexikanerdorf zu überfallen.
Chads Hand senkte sich mahnend auf den Unterarm des hageren Ranchers. „Wenn wir jetzt wie die Wilden in den Ort hineinjagen, haben Jess und Larry keine Chance, am Leben zu bleiben.“
Bancroft biss sich auf die Unterlippe. „Du meinst …“
Chad nickte grimmig. „Jefford wird alle Trümpfe ausspielen, wenn wir ihn in die Enge treiben, auch das Leben deiner Söhne. Was ist dir wichtiger, Tom? Jefford eine Kugel in den Kopf zu schießen und dein geraubtes Geld zurückzuholen, oder Jess und Larry?“
„Teufel nochmal, da fragst du noch?“
„Eben“, sagte Chad schleppend, „und deshalb schlage ich vor, dass wir nichts überstürzen, dass wir uns Zeit lassen. Wir müssen deine Jungs herausholen, ehe der Feuerzauber losgeht.“
„Wie denn?“, schnaubte Will hinter seinem Rücken. „Mit schlauen Sprüchen allein bestimmt nicht! Wenn ihr mich fragt, Leute, ist das ganz und gar unmöglich!“
„Dich fragt niemand!“, fuhr Bancroft ihn wie einen grünen Jungen an.
„Halt gefälligst den Schnabel! Chad ist bestimmt noch nicht fertig. Oder, Chad?“
Der breitschultrige, blauäugige Reiter beachtete Will nicht. Sein Blick schien jede Einzelheit der von Hitzewellen umflimmerten Mexikanerhäuser aufzusaugen. Das Gelände fiel ringsum schüsselförmig zu der Siedlung ab. Die steinigen, zerklüfteten Hänge waren mit Kakteen und Dornbüschen bewachsen. Im Süden stand die blaugraue Mauer der Sierra Madre vor dem glutübergossenen Firmament. Chad schwang sich vom Pferd.
„Ich gehe hinab“, erklärte er so ruhig, als handle es sich um einen Spaziergang. „Ich werde versuchen, an Jess und Larry heranzukommen, bevor du mit deinen Leuten angreifst. Gib mir eine Stunde Zeit dafür, Tom.“
„Das schaffst du nicht! Wenn Jefford dich entdeckt, sind meine Söhne genauso in Gefahr wie …“
„Nicht, wenn Jefford es nur mit einem Gegner zu tun hat. Ich werde ihn ablenken und beschäftigen. Achte du darauf, dass er dich und deine Leute erst sieht, wenn ihr ihn schon in der Zange habt.“
„Warte, Chad! Lass uns die Sache durchsprechen. Ich will nicht, dass du deinen Skalp opferst, nur weil …“
„Ich bezahle nur eine alte Schuld, Tom. Zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Ich denke nicht daran, ins Gras zu beißen. Das bin ich schon Conchita schuldig.“ Chad lächelte, aber dieses Lächeln erreichte nicht seine hart und entschlossen blickenden Augen.
Bancroft seufzte. „Du warst schon immer ein sturer Büffel. Ich weiß, dass ich dich nicht halten kann. Pass gut auf dich auf, Chad, und …“ Zum ersten Mal war ein Zittern in seiner Stimme. „Bring mir meine Söhne zurück, Amigo! Rette sie aus Jeffords Klauen, und ich werde dir alles geben, was du von mir haben willst!“
„Verdammt will ich sein, wenn ich ihn allein verschwinden lasse“, knurrte Will zu aller Überraschung. „Ich komme mit.“ Mit einem Satz war er ebenfalls aus dem Sattel. Das seltsame Flirren in seinen graugrünen Augen gefiel Chad nicht.
Bedächtig schüttelte er den Kopf. „Wenn ich sage, ich gehe allein, dann bleibt es auch dabei!“
6
In einer schmalen, dämmrigen Fensterluke tauchte plötzlich der weißhaarige Kopf eines Mexikaners auf, verschwand aber gleich wieder, als Chad mit dem Colt winkte. Gleich darauf klappten an der Vorderfront des Adobegebäudes die dicken Bohlenläden zu. Chad grinste. Er war sicher, dass die Dorfbewohner wie platte Flundern auf den Böden ihrer Hütten liegen würden, wenn der erste Schuss fiel. Sie würden sämtliche fremde Gringos zwar in den heißesten Höllenschlund wünschen, selber jedoch keinen Finger rühren, um dabei nachzuhelfen.
Chad hörte wieder jenes raue, grölende Lachen, nur war es diesmal schon viel näher. Er trat hinter einem windschiefen Bretteranbau hervor und brauchte nur noch die Hand auszustrecken, um die fensterlose Seitenwand der Bodega berühren zu können. Drinnen schepperte und klirrte es, ein Mann jammerte, und das wüste Gelächter schwoll wie zu einem Orkan.
„Steh auf, du Tölpel!“, schrie eine raue Stimme. „Du zerschneidest dir ja das ganze Hinterteil, du Idiot, wenn du dich mitten in die Scherben setzt! Warum passt du auch nicht besser auf und läufst geradewegs gegen meine Faust, he? Hoch, habe ich gesagt! Wir haben Durst, verdammt noch mal!
Durst auf echten guten Whisky und nicht auf dieses teuflische Spülwasser, das du uns da zu servieren gewagt hast! Los, los, du Fettsack, wird‘s bald?“
„Señores, um Himmels willen, so glauben Sie mir doch! In ganz Santa Ysabel gibt es keinen Whisky, nur Tequila und roten Wein. Wir sind arme Leute, Señores, die …“
„Keinen Whisky, hat er gesagt, Smiley. Hast du das gehört? Grins‘ nicht so dämlich, sondern nimm lieber deinen Colt. Wofür schleppst du das Ding denn sonst eigentlich mit dir herum, he? Hast du etwa Lust, dieses Giftzeug zu saufen, das uns dieser schmierige Fettwanst andrehen will?“
„Erbarmen, Señores, Erbarmen!“ Der Wirt heulte fast ebenso wie der getretene Hund zuvor.
„Lass ihn tanzen, Smiley!“, brüllte Redbull. „Ja, das ist überhaupt die Idee! Wenn er schon keinen Whisky hat, soll er uns gefälligst was vorhopsen. Schieß ihm die Zehen ab, wenn er nicht pariert.“ Das dröhnende Gelächter des Banditen hallte durch das ganze Dorf.
Kalter, beißender Zorn stieg in Chad auf. Toms Söhne in der Gewalt dieser rohen, ungezügelten Schurken! Da war keine Zeit mehr zu verlieren. Chad schob sich an der Hauswand entlang.
„Wohin, Amigo?“ Die leise, kehlige Stimme traf ihn von hinten wie ein Keulenschlag.
Panik erfasste ihn. Aber dann siegte doch seine alte eiserne Besonnenheit. Gewollt schwerfällig drehte er sich um. Er blickte in ein scharf geschnittenes dunkelbraunes Gesicht mit gefährlich glühenden Augen. Das Gesicht eines Halbindianers. Strähniges pechschwarzes Haar fiel unter einem speckigen breitkrempigen Hut hervor. Der Mann war wie ein Weißer gekleidet, bis auf die dicksohligen Apachenmokassins. Die Mündung eines gedrungenen, schwerkalibrigen Wells Fargo-Colts deutete auf Chads Bauch. Ein dünnes grausames Lächeln