Blind Date in Paris. Stefanie Gerstenberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Gerstenberger
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401808475
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möchte, halte ich meine Klappe. Niklas fragte ununterbrochen, quetschte mich aus, quälte mich mit seinen dummen Vermutungen über die Zukunft. Los, mach das noch mal, sag doch, bitte …! Unerträglich! Und sie? Hat mich nicht treffen wollen, nachdem sie hörte, dass ich blind bin. Dann habe ich ihr davon erzählt. Sie hat mir nicht geglaubt, natürlich nicht, hat nur noch zurückgeschrieben, meine Wichtigtuerei wäre abartig.

      Niemand weiß es außer Mama. Und die hat sich an ihren verrückten blinden Sohn gewöhnt. Musste sie ja, was blieb ihr anderes übrig. Es ist eine Gabe, hat die alte Muriel gesagt. Mann, wie die immer aussah, damals vor dem alten Kino, mit den langen, schmutzigen Röcken und den weiß-schlierigen Augen. Zum Abgewöhnen.

      Ich wollte keine Gabe, ich wollte weiterhin sehen können, wie ich es bereits elf Jahre getan hatte, bevor der ganze Mist anfing. Aber sie hatte recht mit ihrer Prophezeiung. Manchmal überkommt es mich, ich kann nichts dagegen tun. Es nervt, wenn meine Augenlider wie wild zu klimpern anfangen wie eben. Es passiert, wenn das Leben, das Universum oder wer auch immer, mir etwas zeigen will. Nein danke! Kein Bedarf, mir dieses Mädchen näher anzuschauen, obwohl sie sehr gut riecht und mich bescheuert nervös macht, das muss ich zugeben. Ich mag ihre Stimme und ihr seltenes Lachen, aber ich darf mich nicht ablenken lassen, bin gerade mit etwas anderem beschäftigt. Ich werde mir mein Paris zurückerobern, zusammen mit Barbie, dem allerbesten Führhund. Und vielleicht, wenn ich den Mut haben sollte, werde ich mir die Frau vornehmen, die die Liebe meiner Eltern zerstört hat! Und wenn ich sie fertiggemacht habe, so wie sie es verdient, dann kommt es nur noch darauf an, meinem Vater zu beweisen, dass sein Sohn, der Behinderte, mit seinem Leben gut klarkommt, ganz gechillt, in seinem eigenen Tempo. Keine Ahnung, ob ich das schaffe.

      Ich habe mir abgewöhnt, Sachen zu verhindern, die ich vorhersehe, oder die Abläufe des Lebens zu korrigieren, damit es andere Menschen besser haben. Es bringt nichts. Das Unglück sucht sich seinen Weg dennoch, ganz easy räumt es die Hindernisse beiseite, die ich ihm in den Weg zu werfen versuche, wie ein Wasserstrom im Sand. Es passiert, wenn es passieren soll. Manchmal habe ich davon natürlich auch schon profitiert. Ich sehe, ich ahne und höre in die Zukunft hinein, ich kann sie herbeirufen; aber das ist anstrengend. Wenn ich mir vorstelle, am Rande einer großen, sandigen Ebene zu stehen, in der nichts wächst, gelingt es manchmal. Es ist ein bisschen wie Meditieren, ich versuche, in der Leere meines Kopfes zu versinken, und presse dann meine Augen, die wieder klimpern wollen, fest zu. Fest, sehr fest. Und dann, unfassbar, wie ein Traum, an den man sich gerade noch so erinnert, ist sie manchmal da, die Zukunft. Ich werde Wanda nicht in meine Zukunft holen, keine Lust, mich für irgendwas, was ich tue oder auch nicht tue, zu rechtfertigen. Verlieben ist nicht, Monsieur!

      Mesdames et messieurs, lädies and dschentel-män … in wenigen Minuten erreichen wir Paris, Gare du Nord.«

      Wie die anderen Fahrgäste nahm ich die Kopfhörer ab, packte meine Sachen zusammen und vergewisserte mich zum zehnten Mal, dass mein Koffer noch in dem Fach neben der Tür stand. Unruhig wippte ich hin und her. Die Taschen meiner Latzhose waren weit und tief, ich versenkte das Handy auf der einen und das Portemonnaie auf der anderen Seite, so musste ich es gleich am Taxistand nicht aus dem Rucksack hervorholen, den ich jetzt aufsetzte. Ich machte Platz für Ken, der aufgestanden war, um Barbie das Geschirr anzulegen. Interessiert schaute ich ihm dabei zu. Auch die anderen Reisenden beobachteten genau, wie bereitwillig der Hund mit dem Kopf in die Lederschlaufe schlüpfte und von dem blinden jungen Mann mit tastenden Händen den Bauchgurt umgelegt bekam. Jetzt hat Barbie einen Griff zum Anfassen, dachte ich.

      »Das macht ihr aber toll, ihr beiden«, sagte eine Frau und drängte sich neben mich auf den Gang.

      »Gelernt ist gelernt«, sagte Ken, doch ich ärgerte mich. Die Frau klang so von oben herab, als ob er nicht einmal fünf Jahre alt wäre und sich gerade alleine die Schuhe zugebunden hätte.

      »Ein blonder Labrador! Ach, das ist eine so herrliche Rasse!« Die Frau streichelte Barbie, indem sie ihr auf dem Kopf herumklopfte. »Wie heißt du denn, mein Hübscher?«

      »Sie heißt Barbie und es wäre schön, wenn Sie sie nicht streicheln, denn sie ist jetzt im Dienst!«

      »Ach ja? Und davor hatte sie frei?« Die Frau lachte so hoch, dass es mir in den Ohren wehtat. Die soll Barbie in Ruhe lassen und Ken gefälligst auch, dachte ich.

      »Ja. Und hat ihre Freizeit genutzt, um ordentlich Blödsinn zu machen, wie ein ganz normaler Hund … Entschuldige noch mal, Wandá. Jetzt hast du gar nichts zu essen bekommen.«

      »Nicht schlimm.« Ich lächelte ihn an. Die Hose mit den Hosenträgern sah echt gut an ihm aus. Auch die weißen Tennisschuhe mit den schwarzen Sohlen waren …fancy, würde Carina sie nennen. Er hatte eine kleine schwarze Reisetasche, deren Riemen er jetzt lässig über seine Schulter warf. Beinahe tat es mir leid, dass ich mich in den letzten Stunden hinter meiner Musik und den Kopfhörern verschanzt hatte. Der Zug wurde langsamer, die Leute drängten dem Ausgang entgegen. Ich prüfte noch einmal, ob ich alles hatte: Rucksack, ordentlich verschlossen auf dem Rücken. Handy links, Portemonnaie rechts, Koffer vorne an der Tür. Im Kopf ging ich bereits durch, was ich als Nächstes tun würde: den Ausgang des vermutlich riesigen Bahnhofs finden, dann ein Taxi und mich in die Rue de … keine Ahnung, Nummer 9 fahren lassen. Très facile, alles easy also, ich musste nur auf meinem Handy in Tante Aurélies Nachrichten nach der richtigen Adresse schauen oder in mein Portemonnaie gucken. Papa hatte mir einen Zettel geschrieben und dorthinein gesteckt.

      Ich schaute mich zu Ken um. Wie wollte er sich hier bloß zurechtfinden? Er sah die Waggontür nicht, den Bahnsteig nicht, jeder Mensch konnte ihn betrügen, ihm ein Bein stellen, ihn in die Irre schicken, er konnte ja nicht in die Gesichter schauen, um sie einzuschätzen …

      Es dauerte noch ein paar Minuten, wir fuhren durch ein Meer von Gleisen, doch dann wölbte sich das Dach der Bahnhofshalle endlich über uns und der Zug hielt. Es wurde geschubst und gedrängelt, und sobald sie ausgestiegen waren, ließen manche Reisende ihr Gepäck fallen und blieben erst einmal stehen, wo sie waren. Ein Mann schob mich grob zur Seite, eine dicke Frau rannte in mich hinein, um möglichst schnell an mir vorbeizukommen, jemand trat mir von hinten in die Hacken.

      Im Trubel des Aussteigens verlor ich Ken einen Moment aus den Augen, doch dann entdeckte ich ihn. Er stand da, das Kinn nach unten gerichtet, Barbie hielt sich dicht neben ihm und schaute aufmerksam zu ihm hoch. Es war laut, das Gemurmel Hunderter Menschen, Lautsprecherdurchsagen, das Geräusch des abfahrenden Zugs vom Nebengleis. Ich drängelte mich zu ihnen durch, Ken bemerkte mich nicht, dabei war ich nur noch einen halben Meter von ihm entfernt. Barbie beachtete mich mit keinem Blick, noch immer lag ihre Konzentration ausschließlich bei ihrem Herrchen. Ich räusperte mich und rief über den Lärm: »Äh, ja, also dann, ich muss los. Wollte mich nur verabschieden.« Ich streckte ihm die Hand hin, die er natürlich nicht sah. Wie sagte man das jetzt? Hallo, ich halte dir hier die Hand hin? Doch nun streckte er schon von selber seine Hand aus. »Au revoir«, sagte er in perfekt klingendem Französisch.

      »Tschüss, und alles Gute für die Zeit ganz ohne Plan!«

      »Merci! Bei der nächsten Olympiade werde ich dir vor dem Fernseher zujubeln und die Daumen drücken!«

      »Danke!« Ich trat einen Schritt zurück und merkte, wie es in meinem Magen zog, und das lag nicht am Hunger. Na super, da traf ich mal einen echt tollen Typ, der auch noch süß aussah, aber dann musste der natürlich ausgerechnet blind sein! Wie ungerecht! Es war alles so kompliziert mit einem, der nicht sehen konnte, anstrengend, immer alles zu erklären, und nichts war selbstverständlich. Aber ich musste los, nicht dass er mich noch fragte, ob wir uns ein Taxi teilen wollten … Kaum gedacht, schämte ich mich für meine Gedanken.

      Irgendjemand hinter mir lachte laut auf. Ich drehte mich um. Zwei Mädchen mit langen megablonden Haaren kamen den Bahnsteig entlang, sie zeigten auf uns, grinsten unser Dreiergrüppchen freundlich an und riefen »Ooh, là, lààà« und »Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!«. Sie wirkten sehr vertraut miteinander, beste Freundinnen oder sogar Schwestern. Um nicht mit mir zusammenzustoßen, ging die eine rechts, die andere links an mir und