Blind Date in Paris. Stefanie Gerstenberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Gerstenberger
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401808475
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aber verletzt. Papa ziemlich ehrgeizig, enttäuscht und sauer, weil Töchterchen nicht zum Wettkampf kann …«

      Mir blieb der Mund offen stehen. Nein! Das war unmöglich! Er musste doch mehr sehen können, als er behauptet hatte. Vielleicht ließ ich mich gerade schön von ihm verarschen … das konnte er doch niemals alles geraten haben! Ich beugte mich über den Tisch und starrte in seine hübschen Augen, die etwas unruhig umherirrten. »Woher weißt du das?«

      »Gehört, gespürt, zusammengereimt.«

      »Aha! Das geht?« Ich beugte mich noch weiter vor.

      »Du bist auf dem Sitz rumgerutscht wie jemand, der sich unbedingt strecken will. Haben hyperflexible Menschen nicht diese Marotte?«

      Hyperflexible Menschen? Diese Besonderheit konnte er nun wirklich nicht über mich wissen. Eigentlich schon ein Wunder, dass er überhaupt das Wort kannte. »Nein … Äh. Also nicht generell«, antwortete ich. »Vielleicht nur solche, die auch noch ziemlich viel Sport machen, keine Ahnung.«

      »Siehst du! Und dann kam es zu dieser dummen Verletzung. Diesem Nasen…? Bein…? Bruch?«

      »Woher weißt du das?«, wiederholte ich und betastete ganz vorsichtig meinen Verband. »Habe ich etwas darüber gesagt? Siehst du mich etwa doch?« Empört wich ich vom Tisch zurück.

      »Nein. Leider nicht! Aber so leise kann kein Sehender reden, dass ein Blinder es nicht hören würde.« Er lachte. »’tschuldigung. Deine Mutter sprach ziemlich laut am Telefon. Zum Arzt, Verband wechseln, Tante Aurélie? Und deine Stimme klingt nasal, als ob du nicht gut Luft bekommst.«

      Ich schüttelte den Kopf. Das war doch nicht möglich! So genau konnte er sich das alles doch nicht zusammengereimt haben.

      »Erzähl! Was ist passiert?«

      »Na ja. Wie es zu dieser Verletzung kam, war nicht nur dumm, sondern saudumm!«

      »Ich mag dumme Dummheiten! Ich sammele die!« Ken grinste vor sich hin.

      »Ich habe mir die Nase gebrochen, als ein Mädchen aus meiner Klasse Abschied gefeiert hat. Eigentlich wollte ich sofort nach Hause, wie sonst immer, weil ich die Hausaufgaben am liebsten noch schnell vor dem Training erledige. Aber an diesem Tag bin ich einfach sitzen geblieben, denn Antonia hatte Kuchen und diese Flasche mit Schokoladenlikör dabei. Unsere Englischlehrerin hat das mit dem Likör gar nicht gemerkt.« Ich merkte, wie die Worte nur so aus mir heraussprudelten. Nach den drei schweigsamen Stunden von Bremen nach Köln hatte ich einfach das Bedürfnis, ein bisschen zu reden. »Der Kuchen war eine Schokoladentarte, so flach und dunkelbraun, kennst du die?« Oh Gott, wahrscheinlich hatte er als Kind so was nie gesehen und konnte es sich nun auch nicht mehr vorstellen.

      »So wie ein Brownie, in groß?«

      »Genau, und ich habe auch nur ein winziges Stück gegessen, und …«

      »Bist du sehr dünn?«, unterbrach er mich.

      »Nein. Na ja, doch. Also ich habe kein Fett, weil ich Muskeln habe und eben sehr gelenkig bin.« Ich spürte, wie ich rot wurde. Stellte er sich jetzt meinen Körper vor, den er ja nicht sehen konnte? Stellte er sich mich nackt vor? Irgendwie fand ich das toll und dann sofort wieder total daneben. Was denn nun?!

      Ich war eigentlich ganz zufrieden mit meinem Aussehen, aber ich musste natürlich auf mein Gewicht achten. Meine Trainerin, die Iwanowa, hatte uns ständig alle im Blick und hielt sich nicht mit ihren Kommentaren zurück. »So ein dicker Mensch, so eine Schande für unseren Verein«, hatte sie mal in ihrem kratzig-russischen Akzent über Carina gesagt. Vor versammelter Mannschaft. Dabei hatte Carina die zwei zusätzlichen Kilo sofort wieder herunter, sie gönnte sich eben manchmal Pommes und Hamburger, trotz Leistungssport.

      »Also ein kleines Stück Kuchen und dann kam der Likör?«

      »Ja, der Likör … nur ein Schnapsglas voll, aus dem wir reihum tranken, also ich war nicht betrunken oder so, aber der Alkohol … den haben sie im Krankenhaus gerochen, in das man mich brachte, nachdem Philipp Bobrowski mich mit seinem Ellbogen volle Wucht im Gesicht getroffen hatte.«

      »Mann, was für ein Idiot!«

      Ich freute mich, dass Ken die Fäuste ballte, als ob er mich verteidigen wollte. Aber wie wollte er das anstellen? Na eben … Blindsein war echt furchtbar! Allein es mir vorzustellen, war krass.

      »Das hat der nicht mit Absicht gemacht, wir haben nur Flasche und Gläschen weitergereicht und dabei wurde ein bisschen geschubst und rumgealbert. Sonst bin ich ja bei so was nie dabei, aber diesmal eben doch, und er … hat sich mit vollem Schwung umgedreht und ich beuge mich gerade vor … Er hat mich einfach nicht gesehen. Dem ging es danach noch tagelang schlecht, vor lauter Mitleid und Bedauern; er ist erst mal umgekippt, als er das ganze Blut sah.«

      »Also, das ist mir wiederum noch nie passiert …«

      Ich musste lachen. Komisch, wie locker er damit umging, nicht sehen zu können.

      »Und dann bist du operiert worden.«

      »Ja. Das ist jetzt schon über vierzehn Tage her. Wenn du wüsstest, wie ich immer noch aussehe …« Shit. Wieder war ich so unsensibel!

      »Wanda …« Er sprach meinen Namen unnachahmlich schön aus. Wandá. Ein bisschen französisch, ein bisschen fragend. »Wenn du wüsstest, wie viel ich auch so von dir sehe.«

      »Echt jetzt? Bist du ein Hellseher oder was?«

      »Äh? Wie kommst du denn darauf? Nein, natürlich nicht. Ich sehe dich durch deine Stimme, dein Lachen, deine kleinen Schnaufer …«

      Ich machte kleine Schnaufer? Oh Gott, ich schaute auf die Tischplatte zwischen uns. Es fühlte sich an, als ob man sich vor ihm nicht verstecken könnte, als ob er bereits alles über mich wusste. Verlegen sprach ich weiter: »Na ja, und im Krankenhaus fragten sie mich eben, ob ich Alkohol getrunken hätte, und da musste ich doch Ja sagen, oder? Und das haben sie dann meinem Vater weitererzählt, der zu Hause auf mich gewartet hatte und irgendwann benachrichtigt wurde. Er fährt mich immer zum Training.«

      »Immer?«

      »Na ja, er beobachtet während des Trainings, was ich mache, und berät mich auch.«

      »Und übt mit dir zu Hause auf dem Wohnzimmerteppich?«

      Er glurkste wieder so lustig, als ob er sich das jetzt vorstellen würde.

      »Nein. Meine Trainerin ist die Iwanowa.«

      »Oh. Eine Russin? Die schreit bestimmt rum.«

      Woher wusste er das jetzt wieder?

      »Geschrien wird schon oft. Die Kleinen weinen dann auch mal.«

      Ken zog die Augenbrauen zusammen, sagte aber eine Zeit lang erst mal nichts mehr. Anscheinend gefiel ihm die Vorstellung nicht, ich hatte aber keine Lust, mich für mein geliebtes Training zu rechtfertigen. Na ja, manchmal liebte ich es auch nicht. Aber schon ziemlich oft.

      »Und jetzt ist dein Vater immer noch sauer?«, kam die nächste Frage von drüben.

      »Ziemlich.« Ich hörte mich selber aufseufzen. »Alkohol! So wie die das geschildert haben, hat er sich eine halbe Flasche Wodka vorgestellt, nicht zwei Zentiliter Schokolikör. Er hat mir nicht recht geglaubt und war natürlich enttäuscht. Bin ich ja auch. Ich hätte morgen beim World Challenge Cup in Portugal dabei sein sollen. Da haben wir lange drauf hingearbeitet.«

      »World Challenge …« Ken ließ sich die Wörter auf der Zunge zergehen. »Ich habe jeden Tag World Challenge …« Er sortierte wieder seine Sachen auf dem Tisch, indem er sie hin und her schob. »Wie oft trainierst du so?«

      »Dienstag bis Freitag von 16 bis 20 Uhr. Samstag und Sonntag von 10 bis 14 Uhr.«

      »Oh schön! Und montags ist dann frei.« Er nickte begeistert, sein Blick verfehlte mich knapp. »Ich hoffe aber, dass du auch an dem freien Tag etwas Sinnvolles mit deiner Zeit anfängst?«

      »Ja schon. Meistens tue ich noch was für die Schule. Irgendetwas