Beim Aufstehen spürte ich Schmerzen in der rechten Hüfte, die ich aber verdrängte.
Ich marschierte also los, um mein Auto zu holen.
Als ich die Karre gerade aufsperrte, spürte ich einen heftigen Stich in der Hüfte, so als ob mir ein Messer hineingerammt würde, und ich ging zu Boden.
ich dachte an Kinderlähmung oder sonst was ganz Fürchterliches. Ich kam nicht mehr hoch!
Zum Glück war da eine Dame, ein paar Meter weiter, die auch gerade in ihr Auto einsteigen wollte, und die kam mir zu Hilfe.
Sie half mir auf, und da ich mich kaum fortbewegen konnte, bot sie mir an, mich nach Hause zu fahren, es war ja eh nicht weit.
Tatsächlich hatte ich so extreme Schmerzen, sodass ich mich nur zentimeterweise mit den Füssen schlurfend fortbewegen konnte.
Endlich kam ich wieder in meiner Bude an, und Achim war auch in meiner Wohnung.
Es war ein Glücksfall, dass er bei mir war, denn zu dieser Zeit hatte ich noch nicht mal ein Telefon, hätte also keinerlei Hilfe rufen können. Nicht einmal einkaufen hätte ich können, ich wäre wohl schier verhungert, wäre ich alleine gewesen.
OK, Achim holte schließlich mein Auto dort ab, wo es geparkt war, und wir machten eine "Ärzterallye". Jeden Tag zu einem anderen Arzt, denn keiner fand heraus, was mir überhaupt fehlte.
Bis wir schließlich nach zehn Tagen auf die Idee kamen, in die orthopädische Klinik zu fahren.
Nach einigen erfolglosen Untersuchungen und Röntgenaufnahmen fühlte der Arzt meine Wirbelsäule ab, mit den Daumen seitlich an die Wirbel drückend, als er plötzlich einen Punkt traf, bei dem ich in die Luft ging, wie einst das HB-Männchen.
"Ja, da hamma's ja scho'", war sein Kommentar!
Das hieß im Klartext, es war "nur" eine Muskelverkrampfung, die er aufgespürt hatte, die dann auch mittels ein paar Spritzen innerhalb einer halben Stunde "vergessen" war.
Zehn Tage hatte ich gelitten wie ein Schwein, und so schnell war alles vorbei! Nicht zu fassen!
Der Achim war mir also eine wirklich große Hilfe, meine Rettung!
Aber dann passierte es!
Es kam öfter mal vor, dass ich meinen Schlüssel in der Wohnung vergessen hatte.
Anfangs klingelte ich dann meinen schwulen Nachbarn raus und stieg über den Balkon, wenn die Balkontür offen war. Das war mir immer sehr zuwider, ich hatte damals noch große Berührungsängste mit Schwulen.
Irgendwie kam ich aber drauf, dass ich mittels einer Flachzange und einem Schraubenzieher die Blende des Türgriffs abschrauben konnte und mit der Flachzange den herausstehenden Stummel der Türklinke zu fassen bekam und ihn drehen konnte. Da ich nie absperrte, kam ich so in die Wohnung.
Deshalb hatte ich dann immer Zange und Schraubenzieher im Auto.
Achim und ich waren wieder mal im Augustiner Biergarten und schön angesoffen.
Zu der Zeit wohnte er bereits nicht mehr bei mir.
Nachdem wir uns getrennt hatten, fuhr ich nach Hause, um meinen Rausch auszuschlafen.
Am nächsten Morgen wurde ich geweckt durch ein Klopfen an meiner Wohnungstür. Es kam mir sehr laut vor, weshalb ich aufstand und nachsehen ging. Dabei stellte ich fest, dass die Putzfrau mit ihrem Schrubber gegen die Tür donnerte und dass die Wohnungstür offen war, deshalb war auch der Putzlärm so laut zu hören.
Natürlich dachte ich, dass ich im Suff die Tür nicht ordentlich geschlossen hatte.
Erst einige Zeit später, als ich mich etwas in der Wohnung umsah, fiel mir plötzlich auf, dass meine sämtlichen Zinnkrüge, die immer auf meinem Bauernschrank standen, weg waren.
Da ich ständig ein schlechtes Gewissen hatte wegen meiner miserablen Zahlungsmoral, war ich zunächst der Meinung, ein Gerichtsvollzieher hätte die Krüge abgeholt. Damit wäre auch die offene Eingangstür zu erklären gewesen.
Aber das war natürlich ausgemachter "Schmarrn"! Ein Vollzugsbeamter würde schließlich nicht einbrechen, meine Preziosen mitnehmen und mich dann nicht mal wecken!?
Dann schaute ich in meine Schmuckschatulle. Ich hatte eine putzige Columbus Schatztruhe, im Mini-Format, worin ich meinen gesammelten Trachtenschmuck aufbewahrte. Und – sie war auch leer!
Ich war ratlos! Wo war das Zeug alles hinverschwunden???
Aber bald kam mir die Offenbarung – der Achim! Der war auch ewig pleite!
Einer Eingebung zufolge ging ich zu einem Schwabinger "Tandler", so hießen früher die Händler auf bayrisch, die mit allem möglichen Krimskrams handelten, aber auch mit Antiquitäten.
Davon gab es früher jede Menge in Schwabing. Aber meine Nase führte mich gleich als Allererstes zum "Richtigen" in der Ursulastrasse! Ich weiß noch, der hieß "Sandor", ein Ungar, denke ich.
Ich konnte also eruieren, dass Achim einige meiner Krüge beim Sandor verkauft hatte. Der Idiot – sogar mit Ausweis, denn ohne Vorlage eines Ausweises durften diese Händler nichts ankaufen.
Klar, Achim hatte mitbekommen, wie man ohne Schlüssel in meine Bude rein kommt und besaß die unfassbare Frechheit, bei mir einzubrechen, während ich schlief.
Logisch, wir waren ja vorher saufen, und er wusste, wie tief ich dann schlafen würde.
Ich hatte ihn festgenagelt und zeigte ihn auch an, aber, gutmütig, wie ich halt bin, nahm ich auf Achims Flehen hin die Anzeige wieder zurück – ich Depp!
Der Verlust meines gesamten Trachtenschmucks hat mich so sehr getroffen, dass ich keine Tracht mehr anziehen mochte. Es war tatsächlich das Ende meiner "Trachten-Ära"!
- V. –
Aber nochmal zurück zu Inges alter Bude.
Wie schon erwähnt, gleich im Nebenhaus von Inges Bude war das Nachtlokal "Fendilator". Der Name kam daher, dass es an der Ecke Fendtstrasse und Beichstrasse gelegen war, und aus dem "Fendt" wurde "Fendilator".
Dort, im "Hotel Schwabing" also, wohnte unterm Dach "Juchhe" als Dauermieter ein Typ, der mich unheimlich beeindruckte. Ich hielt ihn für den originalsten aller Schwabinger. Sein rechter Arm war eine Prothese, und auf dem linken Auge trug er eine schwarze Augenklappe. Er hatte einen schwarzen Vollbart, immer einen schwarzen breitkrempigen Hut auf; er trug einen schwarzen Gehstock mit Silberknauf und einen weißen wehenden Schal, nach Künstlermanier nur einmal nach hinten geschlagen. Ein Boheme wie aus dem Bilderbuch! Ihn sollte ich auf meinem "Werdegang" in Schwabing nie mehr aus den Augen verlieren – tatsächlich bis zu seinem Tod, 40 Jahre später.
Wie ich im Lauf der Zeit mitbekam, war er aus bestem Hause, denn abgesehen von seinen alkoholbedingten Ausfällen hatte er gute Manieren und war auch recht gebildet und belesen. Er sagte mal, er dürfe seinen wirklichen Namen nicht nennen beziehungsweise nicht gebrauchen.
Aber irgendwann rutschte ihm raus, dass er im "Werneck Schlössl" zur Welt kam und dass er eigentlich ein "von" im Namen hätte. Wer aber wird schon im "Werneck Schlössl" geboren? Somit musste er "hochwohlgeboren" sein. Aber wirklich Genaues hat man nie erfahren.
Das also war der Rainer Weiss, und er musste Geld haben, denn wirklich arbeiten sah ihn niemand jemals. Er war zwar Tennislehrer – einarmig, kein Witz – aber davon lebte er nicht – konnte er auch gar nicht, denn er war ja auch ein Weiberheld, und wenn er bei einer seiner Tennis-Schülerinnen landen wollte, schenkte er ihr eben seine Zeit. Und das passierte sehr häufig!
Kurze Zeit hatte er auch mal eine Kneipe, die "Zirbelstube", aber nicht lange, da er natürlich sein bester Gast war. Da wurde der Bock zum Gärtner.
Reiner, auch scherzhaft genannt