Auf einmal war das Thema »Krise« für alle Menschen um mich herum brisant, weil alle mehr oder weniger davon betroffen waren. Und ich überlegte mir: Warum nicht jetzt gleich, mitten in der Krise, genau darüber schreiben? Um genau jetzt zu zeigen, was wir aus Krisen machen können? Denn Krisen sind nicht nur schlimm, sie sind auch psychologische Entwicklungsbeschleuniger. Nichts lässt uns schneller wachsen als eine Krise. Dabei ist relativ egal, um was für eine Krise es sich handelt: Je gravierender sie das Leben betrifft, je mehr sie es aus den Fugen hebt, umso dringlicher zwingt sie uns, über uns selbst hinauszuwachsen. Krisen sind, so sehr wir sie zum Teufel wünschen, für die menschliche Entwicklung ein Segen. Ohne Krisen würden wir unser Leben in geraden und langweiligen Bahnen verbringen. Krisen zwingen uns, wichtige Entscheidungen zu treffen, manchmal große Risiken einzugehen und Dinge zu wagen, die wir uns bisher nie zugetraut hätten. Wahrscheinlich würden wir ohne Krisen immer noch auf den Bäumen leben.
Gewappnet für die Krise
Was genau aber ist eigentlich eine Krise? Und welche Arten von Krisen gibt es überhaupt? Worin unterscheiden sie sich? Und was macht die Corona-Krise so besonders? Diesen Fragen gehen wir im ersten Kapitel dieses Buches nach.
Im zweiten schauen wir uns die Psychologie der Krise genauer an. Was passiert in der Krise, aber auch vorher und nachher mit uns? Warum setzt eine Krise so enorm viel Energie frei? Wie schafft sie es, uns so kreativ zu machen? Und warum hat sich schon nach mancher Krise der Freundeskreis verändert? Warum verfluchen wir Krisen zuerst und sind danach häufig dankbar für sie? Und was steht psychologisch dabei auf dem Spiel? Dabei hilft ein neues Modell zu tieferem Verständnis: der Krisenzirkel. Du wirst dich an vielen Stellen wiedererkennen und begreifen, warum Krisen eigentlich ein Segen sind, wenn du sie sinnvoll nutzt und ihr Potenzial ausschöpfst. Du erfährst von der tiefen transformatorischen Kraft der Krisen – auch der aktuellen.
Was ist aber ganz konkret zu tun, wenn du mitten in der Krise steckst, wie es vielleicht gerade jetzt der Fall ist? Das erfährst du im dritten Kapitel. Zuerst wird es darum gehen, aus Gefühlen von Angst und Ohnmacht auszusteigen, damit du handlungsfähig wirst. Wie du anschließend herausfinden kannst, was die Krise von dir will, und was du nun am besten tust, kannst du mithilfe verschiedener, ganz praktischer Techniken und Übungen entdecken. Es geht dann nämlich darum, aktiv zu werden. Das Kapitel leitet dich sicher durch alle Schritte und gibt dir Unterstützung darin, die Entscheidungen zu treffen, die für dich dran sind.
Weil die aktuelle Krise leider und zum Glück nicht die letzte gewesen sein wird, widmet sich das vierte Kapitel deiner mentalen Stärke, damit du auch künftig gut auf Krisen vorbereitet bist. Dabei geht es nicht darum, die nächste Krise zu verhindern. Schließlich sind Krisen zwar schrecklich, aber wertvoll. Sie bringen dich weiter. Du erfährst also stattdessen, wie du deine Psyche so stärkst, dass dich künftige Krisen nicht umwerfen und du sie gut und sicher bewältigst. Dafür lernst du eine Menge über Resilienz, die Wunderwaffe gegen alle Herausforderungen, die einem das Leben vor die Füße wirft, und die verschiedenen Fähigkeiten, aus denen sie sich zusammensetzt. Und ich zeige dir ganz praktisch, wie du genau diese Fähigkeiten auf Dauer trainieren kannst.
Dieses Buch soll ein Leitfaden durch Krisen sein, durch die schwierigsten Phasen deines Lebens. Der Kompass, der dich auf einer Expedition in unbekanntes Land begleitet und der dich sicher führt. Du lernst darin, wie du dich in einer akuten Krise einfangen und stabilisieren kannst, damit du die Herausforderungen erfolgreich bewältigst – zum Beispiel jetzt in der Zeit von Corona, aber auch in allen anderen Krisen. Denn alle Krisen folgen den gleichen Gesetzen.
Nach der Lektüre wirst du Krisen künftig anders begegnen und weniger an ihnen leiden, weil du weißt: Sie sind wichtig, sie bringen dich weiter, du wirst an ihnen wachsen und Ziele erreichen, die du ohne sie niemals erreicht hättest. Das sind manchmal äußere Ziele. Noch häufiger aber solche im Innern – neue Stärken und Fähigkeiten, über die du nach der Krise verfügst. Krisen bringen dich tiefer in Verbindung mit dir selbst und deinen inneren Schätzen. Diese Schätze sind riesig!
Schon beim Lesen wirst du immer klarer spüren, wie es möglich ist, an Krisen zu wachsen. Das Buch soll dir Mut machen. Es ist der Beweis dafür, dass jeder Mensch in einer Krise an seine tiefen Kraftquellen herankommen kann – ganz egal, wie schlimm es vielleicht gerade ist.
Als Psychologin habe ich in den letzten zwanzig Jahren Hunderte von Menschen durch die unterschiedlichsten Krisen begleitet. Ich habe immer wieder erlebt, was für eine befreiende Kraft sie haben – ohne Ausnahme. Denn Verzweiflung und vielleicht sogar Hoffnungslosigkeit sind genauso wie Angst Teil dessen, was in jeder Krise passiert. Sie sind aber zugleich bereits Teil der Bewältigung. Sie helfen dir in die nächsten Schritte zu mehr Lebendigkeit, mehr Freude und mehr menschlicher Tiefe.
Auch ich bin schon durch viele Krisen gegangen. Keine davon habe ich mir freiwillig ausgesucht, keine gewünscht, jede war schmerzhaft und jede war wichtig. Das sehe ich von heute aus so und ich weiß: Bei der nächsten wird es mir genauso gehen. Und das ist in Ordnung. Eine Krise ist wie eine Geburt. Sie tut weh. Sie lohnt sich. Und du bist dabei nicht allein.
Mach dich mit mir gemeinsam auf die Reise zu der besonderen Kraft der Krisen! Lass sie uns zu dem machen, was sie wirklich sind: Ganz entscheidende und befreiende Phasen des Lebens, die alte Muster wegsprengen und das Leben nachhaltig reicher machen. Und stell dir vor, wie gleichzeitig mit dir viele andere Menschen diesen Weg gehen – hin zu mehr Kraft, mehr Tiefe und mehr Menschlichkeit. Denn genau das passiert, wenn wir uns auf die befreiende Kraft von Krisen einlassen: Sie bringen uns näher zu uns selbst und machen uns damit auch offener für die Beziehung zu anderen.
Ich wünsche dir alles Gute für diese spannende Reise. Sei mutig, sei neugierig, sei offen! Sei dir bewusst, dass du Gegenden in dir entdecken wirst, die du noch nicht kanntest, und Fähigkeiten, die du nie in dir vermutet hättest. Mach dich bereit, dich neu zu entdecken und das Glück des Lebens immer intensiver zu spüren: mehr bei dir, mehr im Hier und Jetzt, freier und tiefer. Ich weiß: Es ist manchmal ein steiniger oder steiler Weg. Aber weil er fantastische Ausblicke ermöglicht, lohnt sich jeder Schritt. Lass uns Seite an Seite durch diese Krise gehen.
Deine Anke Precht
Was ist eine Krise?
In diesem Kapitel geht es darum, welche Arten von Krisen es gibt und warum nicht alle gleich sind. Gleichzeitig erfährst du, worin sich Krisen von allen anderen Erfahrungen im Leben unterscheiden – und was gerade die Corona-Krise so besonders macht.
Eine Krise ist ein Wendepunkt – meistens ein dramatischer
Eine Krise ist ein Punkt im Leben, der ein »Vorher« von einem »Nachher« trennt. Nach der Krise ist alles anders als vor der Krise und es gibt kein Zurück mehr.
Eine Krise kann innerhalb weniger Momente, Tage oder Wochen die Lebensumstände so radikal verändern, dass das Leben danach komplett neu ist. Krisen sind also keine quantitativen Veränderungen: Etwas ist hinterher ein bisschen besser oder schlechter als vorher, jemand ist ein bisschen reicher oder ärmer als vorher oder fühlt sich etwas mehr oder weniger geliebt. Eine Krise verändert grundlegend. Du bist danach nicht mehr derselbe Mensch wie davor.
Viele Krisen sind von außen gut sichtbar. Da gerät zum Beispiel eine Beziehung in eine Krise, eine Trennung findet statt. Ein politisches System verändert sich innerhalb kürzester Zeit, die Gesellschaft ist nicht mehr die gleiche wie vorher. Eine Währung gerät in eine Krise und mit dem Gegenwert für das verkaufte Haus bekommt man gerade einmal die Kinder eine Woche lang satt.