Liza allerdings hatte wohl die Schnauze voll. »Max, wenn es dir n-n-nicht passt, dann geh doch«, zischte sie den überrascht innehaltenden Punk an und bellte bekräftigend.
»Jep. Dem habe auch ich nichts mehr hinzuzufügen«, brachte ich mich hilfreich ein.
Aus irgendeinem Grund war das Liza auch wieder nicht recht – jedenfalls blitzte sie erneut böse zu mir rüber. Ich probierte es mit meinem entwaffnendsten Grinsen, bis sie irgendwann schnaufend ihren Blick abwandte.
Der Rest der Klasse schwieg. Vielleicht, weil der Punk sie mit seinem Gelaber praktisch plattgemacht hatte. Vielleicht auch, um nichts zu verpassen – weil der große Provokateur mich gerade reichlich finster anstarrte und seine Kieferknochen mahlten, als würden sie gleich zerspringen.
»Mir reicht’s«, presste er schließlich hervor. »Habt noch viel Spaß, ihr Loser!« Er schnappte sich seine Tasche, stand auf und verließ den Raum. Ganz so wie gestern ich. Nennt mich Trendsetter.
Liza
6 »Wer von euch hat denn heute Themenvorschläge mitgebracht?«, startete Frau Knöpfle so schwungvoll die zweite »Deutschexperten«-Stunde, als müsse sie sich selbst mitreißen. Und dann, als sie die leeren Blicke der anderen sah, fügte sie hastig hinzu: »Wir wollten ja einmal das Debattieren üben.«
Es war Freitag, Tag fünf der Quali, und nachdem sich Max gestern in der letzten Einheit so ätzend aufgeführt hatte, fragte ich mich echt, woher die Frau ihren Enthusiasmus nahm. Ich an ihrer Stelle hätte jetzt wahrscheinlich mit Panikattacken oder Magenkrämpfen auf dem Klo festgehangen, mich allerdings genau dafür verflucht.
Max trommelte schon wieder vornübergebeugt leicht aggressiv mit den Fingern auf seinen Tisch.
Warum nur musste ich mit diesen lustlosen Gestalten in dieser Quali sitzen? Warum? Ich tat mir irgendwie leid.
Aber Moment mal –
»Wie wäre es denn wirklich mit Sinn und Unsinn einer solchen Maßnahme?«, meldete ich mich spontan zu Wort und fügte mit einem freundlichen Nicken in Max’ Richtung hinzu: »Wie Max es gestern ja schon so schön vorgeschlagen hat.«
»Himmel wirf Hirn herab«, ächzte Max und sackte endgültig auf seinem Tisch zusammen.
»I-i-ich kenne nämlich jede Menge Propunkte«, fügte ich ruhig und wiederum in seine Richtung hinzu, was er mit einem lauten Wimmern quittierte.
Frau Knöpfle allerdings schnaufte erleichtert. »Ich finde, das ist ein wirklich guter Vorschlag, Liza. Wir werden per Los Gruppen bilden und nachher in Form einer Debatte die Argumente vortragen.«
Viele stöhnten genervt auf, einige blickten giftig in meine Richtung, als trage nun ich die Schuld daran, dass wir hier allen Ernstes eine Aufgabe bekommen hatten. Ich wünschte, ihrem Blick gleichgültig standhalten zu können, doch Luzifer zog mal wieder die Fäden.
Das Losglück bescherte mir immerhin den biederen Gustav, die dauerfröhliche Ayse und Julian. Ich war vor allem erleichtert, dass sich andere mit Max herumschlagen mussten.
»Na, dann mal flotti-lotti«, lachte Gustav, der heute ein beiges Kurzarmhemd unter einem schwarz-weiß karierten Pullunder trug. Bei rund dreißig Grad Außentemperatur eigentlich kein Wunder, dass er schwitzte.
»Gern…chen«, kicherte Ayse und krempelte sich voller Tatendrang die Ärmel ihrer mit Paradiesvögeln bedruckten Bluse hoch. Vom Style her war sie das perfekte Gegenstück zu Gustav. Und das war jetzt kein Kompliment. Mit ihr und Gustav hatte ich zwar zwei ziemlich schräge, aber zumindest motivierte Gestalten an meiner Seite.
»Also, ich wäre dann der Kandidat für die Kontrafraktion«, meldete sich Julian.
»Gut«, antwortete ich knapp. »Auch der wird ja gebraucht.«
»Gustl … wie steht’s bei dir?«, erkundigte sich Julian scheinheilig. »Ich meine«, sein Tonfall sackte dramatisch ab: »Auf welcher Seite stehst du?«
»Na, ich bin natürlich total prositiv.«
»Ich auch!«, kiekste Ayse.
»Okay …«, Julian nickte uns zu. »Ich nehme die Challenge an. Bei so viel Anti, wie ich zu bieten habe, nehme ich es locker mit euch drei Träumern auf.«
Ich ignorierte ihn. Erstaunlich, dass aus diesem attraktiven Typen ständig nur derartiger Schwachsinn schwappte. Aber es war eine Wohltat, mit Ayse und Gustav zur Abwechslung mal zwei auf meiner Seite zu wissen.
Wir steckten die Köpfe zusammen und sammelten eifrig alle Proargumente, die uns so einfielen. Wobei … die Vorschläge von Ayse und Gustav waren eher so lala.
Unauffällig schielte ich hinüber zu Julian. Der füllte seinen Zettel ohne Unterbrechung mit Wörtern. Ich kniff verwundert die Augen zusammen, denn auf einmal verwandelte er das Chaos zielstrebig in eine Landschaft aus Linien, Pfeilen und kleinen Zeichnungen. Zwischendurch hielt er immer wieder inne, schaute seinen Zettel kritisch an und wippte mit dem Kopf, als würde er etwas abwägen, strich manches durch und fügte anderes hinzu.
Dieser Julian war echt ein komischer Typ.
»So! Fertig«, murmelte er – und schaute mich zufrieden an.
Ich fühlte mich ertappt und merkte, wie ich rot wurde. »Diesen Battle gewinne ich«, sagte er gelassen. »Denn mein Plädoyer …«, er stach auf das vor ihm liegende Blatt ein, »… ist hieb- und stichfest.«
Mein Mund verzog sich zu einem klitzekleinen Lächeln – als sich Max auf einmal meldete. Der konnte es echt nicht lassen.
»Frau Lehrerin, Frau Lehrerin, wir haben ein Problehem«, mimte er den Klassenstreber. »In unserer Gruppe gibt es nur Kontrakandidaten. Ob das wohl an der Themenvorgabe liegen könnte?«
»Nein, tut es nicht!«, regte Gustav sich auf.
Frau Knöpfle seufzte resigniert.
»Du bist immer nur negativ!«, muffelte Gustav weiter und streckte seinen Zeigefinger anklagend in Max’ Richtung.
»Genau. Wir dagegen haben so viele gute Dinge, wir könnten euch glatt noch welche abgeben.« Ayse wirkte so stolz an Gustavs Seite, dass ich mich allmählich fragte, ob sie und Gustav nicht wirklich perfekt zusammenpassten.
Bevor Ayse nun großzügig meine besten Argumente verschenken konnte, zeigte ich schnell auf, um als Erste unsere Ergebnisse vorzustellen zu können.
»Okay, Liza, dann komm mal nach vorn«, sagte die Knöpfle. »Ich schlage vor, dass wir das als Rollenspiel vortragen. Also wie bei einer Gerichtsverhandlung.« Sie winkte Julian zu. »Julian – du vertrittst die Gegenseite!«
»Mit Vergnügen.« Julian stellte sich mir gegenüber – und schlüpfte prompt in die Pose des erfolgreichen Staranwalts. Er trug seine Kontrapunkte rhetorisch so gekonnt vor, als mache er den ganzen Tag nichts anderes. Und so schaffte er es ernsthaft, mit meist völlig sinnlosen Argumenten, angefangen von hohen Kosten für die Gesellschaft bis hin zu Freiheitsberaubung der Teilnehmer, sogar ordentlich Zwischenapplaus der Zuhörer zu bekommen. Wenigstens verlor er zwischendurch dann doch mal den Faden und suchte ziemlich verwirrt auf seinem vollgekritzelten Blatt nach dem nächsten Argument.
Blöderweise hatte mich sein überraschend guter Auftritt eiskalt erwischt. Dadurch kam ich selbst ein bisschen durcheinander beim Vortragen unserer Punkte. Zudem wirkten meine Argumente – reale Chance auf ein tolles Praktikum, neue Lebensperspektive – gegen Julians Spaßauftritt auf einmal sehr trocken. Allmählich wurde ich unsicherer und Luzifer immer aktiver. Ich sage es nur ungern, aber am Ende war ich froh über Ayses und Gustavs Unterstützung.
»So, jetzt lasst uns darüber abstimmen, wer nach den vorgetragenen Argumenten für und wer gegen die Maßnahme ist«, schaltete sich schließlich Frau Knöpfle wieder ein.
Wir kamen exakt auf ein Unentschieden.
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