Keine zwei Minuten später brannte sie: meine ganz persönliche, selbst gebastelte Schultüte. Aus Papier, etwas Pappe, einem Daumen breit Tabak und einer ordentlichen Portion Gras. Knisternd kroch die Glut in Richtung meiner Lippen und ich hielt den bittersüßlichen Qualm so lange wie möglich in der Lunge. Sanfte Wellen trugen mich davon. Whohoo!
Endlich ein bisschen Entspannung nach dem ganzen Mist! Denn mal ernsthaft – ausgerechnet ich sollte an einer Qualifizierungsmaßnahme teilnehmen? Das machte doch einfach null Sinn: Egal, was in diesem Jahr passierte, ich würde keine Karriere mehr hinlegen – maximal als Flaschensammler.
Früher träumte ich davon, später mal als Journalist oder Autor zu arbeiten. Ich wollte ja schreiben, denn ich habe schon immer total gern Leute beobachtet und dann Geschichten über sie erfunden oder Comics gezeichnet. Mittlerweile war ich diesem Später alterstechnisch ziemlich nahe gekommen, hatte aber noch nicht mal einen Hauptschulabschluss in der Tasche. Tja, und ohne Abschluss keine Party, so einfach war das. Da halfen mir eben auch nicht die zig gewonnenen Schreibwettbewerbe aus alten Tagen, denn niemand interessiert sich für dich, wenn du die Schulzeit so derbe versemmelt hast wie ich.
»Also einen Abschluss, den brauchen Sie schon«, hatte die Berufsberatungstussi vor ein paar Wochen noch gesagt.
Vielen Dank auch für so eine bahnbrechende Information! Und dann hat sie mich in diese überflüssige Qualimaßnahme hineingezwungen – als ob mir die Teilnahme dort automatisch einen Schulabschluss einbringen könnte. Wegen der Schulpflicht würden meine Eltern, wenn ich nicht hinging, kein Kindergeld mehr für mich bekommen. Sauer verdientes Schmerzensgeld, wie mein Vater es allen Ernstes bezeichnete. Darauf zu verzichten, das kam für ihn, diesen alten Pfennigfuchser, so gar nicht infrage, dabei würde er das bei den ganzen Millionen auf seinen Konten doch überhaupt nicht merken.
Mein Vater und ich, das war ohnehin so eine Sache für sich. Wir hatten noch nie den besten Draht zueinander gehabt, sondern brüllten uns eher nach kürzester Zeit an.
Als Time-is-Money-Karrierist war er nicht sonderlich amused vom dauerchillenden, nichtsnutzigen Sohn, der die letzte Schule nach zweimaligem Sitzenbleiben in Klasse acht verlassen hatte und von seiner lieben Mutti trotz allem viel zu sehr verwöhnt wurde. So seine Meinung. Zum Glück war er ständig irgendwo unterwegs. Außerdem finanzierte er mir nach wie vor den Luxus meiner Einliegerwohnung mit separatem Eingang an der Seite von ihrem Haus und deshalb versuchte ich, einem Streit mit ihm, so gut es ging, aus dem Weg zu gehen.
Ich schloss die Augen und ließ mich tief in die Couch sinken. Schon seit Wochen hatte ich den Beginn der Maßnahme mit dunklen Wolken auf mich zudriften sehen. Dabei hatte ich meine Zeit gerade so entspannt mit ein bisschen Musik, Gezeichne und Büchern ausgefüllt. Und selbstverständlich weiter hart an meinem Ruf als erfolgreicher Weedgärtner gearbeitet.
Ich brauchte diesen Schulkram nicht! Egal, was meine Eltern und all diese ach-so-korrekten Pädagogen sagten. Bei mir lief es … okay.
Zumindest bis heute.
Der letzte Zug des Joints verbrannte mir fast die Lippen.
Ich hatte völlig verdrängt, wie unsexy es ist, morgens zu einer bestimmten Uhrzeit aufzustehen. Nachdem die Einführungsveranstaltung gestern noch ganz entspannt gestartet war, hieß es ab heute: Pünktlich um 7:50 – um sieben Uhr fünfzig! – mussten wir, die Holzprofis, zur Einführung in der Werkstatt antreten. Und so entriss mich mein Handy um sechs Uhr mit dem heftigsten Klingelton meinen süßen Träumen.
Boah, das waren schmale vier Stunden Schlaf gewesen. Mein Spiegelbild sah aus wie die Druckplatte des roten Kraftklubcovers: blass mit roten Augen.
Ein paar Minuten nachdem die kalte Dusche mein Hirn etwas massiert hatte, trat ich mit verwaschenem Shirt, ausgebeulter Jeans und abgewetzten Vans aus dem Haus. Meinen Augen gönnte ich eine dunkle Sonnenbrille, denn dieser Septembermorgen war definitiv zu hell für meinen Geschmack. Über die Ohren schob ich mir den sauteuren Kopfhörer, den ich mir vor Kurzem von meinem Vater geborgt hatte.
Der einsetzende Bass überlagerte die Außenwelt. Ich setzte mich in die nächste U-Bahn und ließ die App über meine Reiseroute entscheiden. Hoch leben die Programmierer, die dieses himmlische Tool gebastelt haben. Früher war ich völlig aufgeschmissen, wenn ich herausfinden wollte, welche Bahn mich pünktlich ans Ziel kutschieren durfte. Ich war nämlich bereits beim Ablesen einer Zeigeruhr raus. Jetzt musste ich nur noch das digitale Ankunftszeiträdchen richtig wischen und schon reichte ein Blick aufs Handy, um meinen neuen Lehrern mitteilen zu können, wann sie mich mit dampfendem Kaffee und Croissant am Schultor empfangen durften.
Shit! Ankunft: 8:03 stand da auf dem Display.
Letztendlich traf ich sogar mit rund dreißig Minuten Verspätung vor dem Eingang des Maßnahmengebäudes ein. Die Bahn war ausgefallen. War halt Köln.
Maßnahme … das klang ähnlich verlockend wie Brechdurchfall und das Maßnahmengebäude hatte passenderweise den Charme eines abgefuckten Lagerschuppens. Manege der Idioten und Verstoßenen hatte jemand über die Eingangstür gesprayt. Es sah ziemlich frisch aus – stand das schon gestern dort?
Durch ein Lkw-taugliches Tor ging es in eine Halle mit diversen Werkbänken, an denen man bestimmt unglaublich beeindruckende Sachen aus Holz bauen konnte. Die Skizzen für meine perfekte Bong kamen mir in den Sinn, aber aus Holz? Hm … vielleicht in Kombi mit einem Glaszylinder. Ich musste grinsen, während ich den Blick umherschweifen ließ.
Das war also das Reich der sechzehn Holzis, wie ein mittellustiges Schild schon am Hallentor verkündete, damit sich bloß keiner der Metals, Schrauber oder Nähis zu uns verirrte, die ihr klägliches Dasein in angrenzenden Gebäuden fristeten. Am Ende der Halle waren ein paar Räume abgeteilt worden, unter anderem Unterrichtsräume und Büros. Zögernd öffnete ich die Tür zu dem Raum, in dem wir gestern begrüßt worden waren, und erblickte gerade mal fünf Leute. Fünf! Von fünfzehn Holzexperten!
Ich Depp war scheinbar zu früh aufgestanden. Schweigend ließ ich mich auf einen Stuhl in der hintersten Reihe fallen und platzierte meinen Rucksack aus alter Gewohnheit als Kopfkissen auf dem Tisch.
Rechts von mir saß ein korpulenter Typ mit Pottschnitt und kariertem Pullunder. Vor ihm lag ein riesiges belegtes Baguette, das er sich nun freudig in den Schlund gleiten ließ.
Dabei schaute er mich an: »Knöpfle kmmt gleiff. Ftau«, sagte er und wischte sich einen Mayoklecks aus dem Mundwinkel. Ich übersetzte innerlich, dass Frau Knöpfle erhöhtes Verkehrsaufkommen zu bewältigen hatte, und nickte ihm pflichtbewusst lächelnd zu.
Auch das zuckende Mädchen mit den schwarzen Klamotten war schon da und schlug sich wieder in unregelmäßigen Abständen mit der flachen Hand gegen das Schlüsselbein. Was war bloß los mit der? War das normal? Und sie zuckte nicht nur, sie schnalzte und räusperte sich auch ständig! Echt strange. So in Action zu sein, musste ja Kalorien verbrennen wie bei einem Profisportler.
Auf der linken Seite saß außerdem ein total schmaler Typ. Der hatte Klamotten an, als wäre er auf dem Weg hierher erst mal nackig bei der Heilsarmee aufgeschlagen. Und seine Brille war original die von Harry Potter. Sogar mit Klebeband geflickt. Den Blick hatte er so konzentriert auf seine fein säuberlich mit Kadir beschriftet Kladde geheftet, als müsse er gerade seinen eigenen Namen auswendig lernen. Seine reichlich aufgetakelte Banknachbarin – es war dieses Mädchen, das sich schon während der Einführung so exzessiv die Nägel gefeilt hatte – fragte ihn etwas, doch er reagierte nicht einmal.
Da wurde die Tür aufgerissen und dieser dunkelhaarige Beatboxer, heute mit fetter Panzerkette um den Hals und triefend gegelten Haaren, stand grinsend im Türrahmen, als warte er auf Applaus.
»Hey, Bros … was geht?«, rief er. »Ich bin’s, euer Tariq!«
Ah ja.
Kaugummi kauend betrat er den Raum. Seine Augen hefteten sich sofort an das