„Los, wir gehen hinaus!“, kommandierte Jay Durango, griff nach dem Arm des jungen Burschen und drehte ihn heftig herum. Im nächsten Moment bohrte sich die Coltmündung schon in Sean Tetleys Rücken.
Er ging mit steifen Schritten auf die Tür zu. Auf der Schwelle blieb er stehen und blickte zu dem dunklen Klumpen in der hinteren Ecke.
„Es ist Brock“, sagte Jay.
„Keiner kann so schlecht sein, dass er sich nicht verdient hätte, beerdigt zu werden, Durango.“
„Mag sein, Sean.“
„Warum tust du es dann nicht? Soll ich es machen? Sie waren meine Sattelgefährten.“
„Hör damit auf, Sean. Vielleicht bildest du dir ein, mit einem Spaten etwas gegen mich unternehmen zu können. Nein, wir beerdigen sie nicht. Dein Vater kommt mit seinen Leuten irgendwann in den nächsten zwanzig Stunden zurück. Das ist sicher. Er wird sich um sie kümmern müssen. Los, zur Tür!“
Sean lief vor dem Revolver weiter und trat auf die Veranda hinaus.
„Jared!“, rief er bellend. „Er ist hinter mir!“
Dumpf schallten seine Worte vom Bunkhaus zurück und mussten wie Hohngelächter in seinen Ohren klingen.
„Jared, warum gibst du keine Antwort?“, rief er. „Du bist doch noch hier?“
Plötzlich merkte Jay Durango, wie der Bandit zusammenzuckte. Er blickte über Seans Schulter und sah den huschenden Schatten an der Schuppenecke, der in dieser Sekunde auf das Pferd zulief und in die Höhe sprang.
„Jared, das ist gemein!“, brüllte Sean.
Da saß Zattig schon auf dem gesattelten Pferd und zog ihm die Zügel über den Kopf.
„Halt, Zattig!“, rief Jay Durango.
Jared Zattig hörte nicht darauf. Mit einem Fluch trieb er das Pferd an. Es stürmte zwei, drei Sätze vorwärts, bis Jay die Waffe neben Seans Arm angeschlagen hatte.
„Jared!“, brüllte der junge Bandit.
Da krachte die Waffe. Ein Feuerstoß jagte an Sean vorbei und blendete ihn. Die Kugel strich über die Hinterhand des Pferdes. Erschrocken wiehernd stieg es in die Höhe. Jared Zattig wurde aus dem Sattel geschleudert. Nur den Bruchteil einer Sekunde lag er auf dem Boden. Dann wurde er von dem anspringenden Tier jäh mitgerissen, denn sein Stiefel hatte sich im Steigbügel gedreht und verklemmt. Das Tier riss ihn über den Boden und wieherte wieder. Das Pferd donnerte auf die Brücke. Zattigs Kopf knallte gegen das Geländer. Dann wurde er über die Bohlen gerissen. Staub wallte in die Höhe.
Plötzlich blieb Zattig liegen. Das Pferd stürmte weiter.
Jay Durango blickte zu der Stelle, an der der Bandit lag. Über ihm schien sich der Staub im Kreis zu drehen. Das Pferd verschwand in der Nacht.
Jay drückte Sean Tetley den Revolver wieder mit der Mündung in den Rücken.
„Weiter“, befahl er. „Wir wollen nachsehen, ob ihm noch zu helfen ist.“
Sean stieg die Treppe hinunter. Seine Knie schienen zu zittern. Obwohl er und Clint Rule mehrfach versucht hatten, den lästigen und gefährlichen Zeugen zu beseitigen, schien ihm nun dessen jähes Ende doch in die Glieder gefahren zu sein. Am Ende der Treppe blieb Sean Tetley stehen.
„Wozu noch?“, fragte er heiser. „Er ist tot, das sieht man doch. Und beerdigen willst du ihn ja doch nicht.“
„Weiter!“, kommandierte Jay.
Sean setzte sich wieder in Bewegung. Dann, als er neben Rule war, hielt er wieder an. Er bückte sich und drückte seinem toten Kumpan die Augen zu.
Jay war einen Schritt zurückgetreten. Er war bei Sean immer auf Überraschungen gefasst, auch wenn es im Moment so schien, als wäre der junge Bandit unfähig, etwas zu unternehmen oder an etwas anderes als seine gestorbenen Kumpane zu denken.
„Weiter, Sean!“, stieß Jay Durango hervor.
Der Bandit richtete sich auf und lief mit steifen, schleifenden Schritten weiter. Unter seinen Stiefeln dröhnten die Bohlen der Brücke.
Dann standen sie bei Jared Zattig. Eine breite Wunde klaffte an seiner Schläfe. Er musste gleich, nachdem er mit dem Kopf ans Brückengeländer geschlagen war, tot gewesen sein.
Sean bückte sich auch bei ihm nieder und schloss ihm die Augen. Dann richtete er sich wieder auf.
„Und nun?“, fragte er hohl.
„Nun nehmen wir uns Pferde. Jeder zwei. Ich muss noch meinen Sattel suchen.“
„Warum zwei Pferde?“
„Damit wir schnell genug sind, Sean. Sobald die ersten beiden nicht mehr können, lassen wir sie zurück. Ich will sichergehen.“
„Vielleicht hat mein Vater längst alles durchschaut und ist bereits auf dem Rückweg.“
„Vielleicht, Sean. Wir werden es sehen. Vorwärts, dort hinüber!“
Sean warf noch einen Blick auf den Colt, der aus Zattigs Halfter gerutscht war. Dann wandte er sich um und ging über die Brücke zurück.
*
Tobe Tetley starrte dem Mann, der auf der Fährte des Reiters zurückkam, entgegen.
Vor ihm hielt der Mann an.
„Und?“
„Es ist wirklich nur einer, Boss. Er ist nach Westen geritten. Hinter dem Hügel führt die Spur in der gleichen Richtung weiter. Vielleicht sollten wir ihr folgen.“
„Wozu?“
Der Mann zuckte die Schultern.
„Das weiß ich auch nicht, Boss.“
Tobe Tetley schaute die anderen an.
„Was sagt ihr dazu?“, knurrte er. „Sagt doch etwas! Was denkt ihr?“
„Vielleicht haben sie uns zum Narren gehalten, Boss“, meinte einer.
„Wie?“
„Einer von ihnen trieb die Pferde weg. Mit dem Leithengst am Lasso ist das eine Kleinigkeit, schätze ich. Der andere ...“
Der Mann brach ab, als Tetleys Arm scharf die Luft durchschnitt. Alle schwiegen und starrten den Rancher an. Dann sagte Tobe Tetley: „Die anderen Pferde. Zwei Mann kommen mit den abgetriebenen Tieren nach und kümmern sich um die Herde. Al, du und noch einer!“
Tetley saß ab, nahm seinem Pferd den Sattel ab und warf ihn auf den Rücken des anderen Tieres, das Al ihm schon heranführte. Al half Tetley und schlug dem Pferd auf die Hinterhand, als Tetley im Sattel saß.
Das Pferd trabte an. Mann um Mann folgten die Reiter dem Rancher, aber die meisten warfen Al erst einen Blick zu.
„Matt, du bleibst hier!“, rief Al da dem vorletzten Cowboy zu.
Der Mann hielt sein Pferd an und grinste den anderen an.
„Warum ich?“, fragte er.
„Ist es dir nicht gleichgültig? Wer weiß, was auf der Ranch wartet.“
„Sicher eine Überraschung, die dem Boss gar nicht gefällt, Al. Aber vielleicht hätte ich sein Gesicht gern gesehen.“
„Kann schon sein, Matt. Nur, was hast du davon?“
„Eine ganze Menge, denke ich. Er hat mich mal mit der Peitsche geschlagen. Ich würde sein Gesicht wirklich gern sehen. Immerhin ist es möglich, dass Sean nicht mehr da ist.“
„Das denke ich auch. Aber du hast nicht darüber nachgedacht, was danach kommt.“
„Danach?“