Jay blickte noch einen Moment in das jetzt vor Hass glühende Gesicht. Dann wandte er sich ab und ging zum Fenster. Daneben lehnte er die Schulter gegen die Wand und blickte hinaus.
Verlassen lag der Hof in der Nacht, und kurz vor dem leise murmelnden Bach der tote Jago Kidd. Von den beiden Banditen war nichts zu sehen.
Jay ging zum nächsten Fenster und blickte nun zur anderen Hofseite. Auch hier konnte er keinen der Kerle sehen. Aber vielleicht standen sie an einer dunklen Wand, wo sie nicht zu erkennen waren.
„Dein Trick stammt auch von mir“, sagte Sean hinter ihm.
Jay wandte sich um und lud den Colt nach.
„Ich habe nicht den Ehrgeiz, einen Trick für deinen Vater erfinden zu wollen“, gab er zurück. „Es hat sich so ergeben, und ich war sicher, dass keiner von euch auf den Gedanken kommen würde, ich könnte es genauso wie du machen. Weiter wollte ich nichts erreichen.“
Durch das zerschossene Fenster blickte er wieder hinaus und sah eine Gestalt am Schuppen entlang hasten. Sein Revolver fuhr in die Höhe und zuckte dreimal im Rückstoß. Drüben in der Schuppenwand schlugen die Kugeln ratschend ein.
Die Gestalt war hinter der Kante des hohen Gebäudes verschwunden. Draußen blieb es still.
„Sie werden es dir schwermachen“, sagte Sean. „Und am Ende bist du tot.“
Jay Durango ging zur Tür und verließ die Wohnhalle.
„Achtung!“, schrie Sean. „Jared, Clint, er kommt hinaus! Verpasst ihm eine Kugel!“
Jay Durango ging weiter. Kurz vor der Tür stand eine hohe, schlanke Vase an der Wand. Er nahm sie auf und warf sie vor die Veranda hinaus. Sie rollte zwei Stufen holpernd hinunter. Dann fielen hämmernde Schüsse und zerfetzten die Vase. Ein paar Splitter flogen in den Flur herein, und einer traf Jay Durangos Hose.
Er sprang hinaus, sah den Schatten an der Schuppenwand wieder und schoss.
Ein Schrei tönte in die peitschenden Abschüsse hinein. Jay Durango ließ sich auf den Verandaboden fallen. Kugeln wimmerten über ihn hinweg und fraßen sich irgendwo im Flur in die Wände.
Aus dem Schlagschatten des Schuppens taumelte eine Gestalt und brach in die Knie. In dieser Lage schoss der Bandit wieder, aber seine Kugeln gingen weit fehl. Der Rückschlag des letzten Schusses entriss seiner Hand den schweren Colt.
Jay Durango, der den Kopf gehoben hatte, erkannte, dass es Rule war. Der Bandit hatte sich auf die Hände gestützt und kroch dorthin, wo seine Waffe lag.
Jay sprang auf. Er wurde von der anderen Seite beschossen. Eine Kugel streifte seinen Arm und riss sein Hemd auf. Er feuerte zurück. Der Schatten, den er gesehen hatte, verschwand. Jay wirbelte herum. Da hatte Rule seinen Colt erreicht und aufgehoben. Wieder schoss er auf den Knien liegend. Sein Gesicht war verzerrt. Seine Kugel traf die oberste Treppenstufe. Er wollte noch einmal abdrücken, aber der Hammer schlug auf eine leere Patronenhülse.
„Durango, komm her!“, schrie er gepresst und keuchend. „Ich bringe dich um!“ Der Revolver entfiel ihm abermals. Seine Gestalt begann zu schwanken. Dann fiel er zur Seite.
Jay stieg die Treppe langsam hinunter. Neben dem Schuppen sah er das Pferd stehen, auf dem er gekommen war.
„Clint, Jared!“, schrie Sean Tetley im Haus. „Was ist los? Warum kommt ihr mich nicht befreien?“
Am Fuß der Treppe blieb Jay Durango stehen. Clint Rule lag so reglos wie Jago Kidd, und neben ihm der Colt, den er leergeschossen hatte. Er ging weiter auf ihn zu und berührte den ausgestreckten Arm mit der Stiefelspitze.
Rule reagierte nicht mehr darauf. Er war tot.
Jay fuhr heftig herum, als etwas scheppernd über den Hof rollte. Er sah einen leeren Blecheimer, der neben der Verandatreppe liegenblieb. Um die Schuppenecke schob sich ein Arm.
Jay Durango schoss von der Hüfte aus, aber seine Kugel lag zu tief. Sie zog eine Furche in den Boden und schleuderte den feinen Sand in die Höhe.
Der Arm war wieder verschwunden.
Jay hetzte zurück und sprang vom Hof aus zur vierten Stufe der Verandatreppe hinauf. Dort wirbelte er herum. An der Seite des Schuppens flammte ein Revolver auf. Die Kugel traf das Verandageländer und ließ es zittern.
Jay Durango schoss zurück. Ein Schatten sprang zurück und verschwand. Jay stieg die Treppe weiter hinauf.
„Clint, Jared!“, schrie Sean Tetley im Haus. „Warum helft ihr mir nicht?“
Jay betrat das Haus, ohne sich umzusehen. Sein Blick war immer noch auf die dunkle Wand des Schuppens gerichtet. Dort war Zattig gewesen. Jared Zattig, der im Grunde seines Herzens ein Feigling war. Vielleicht war es das, was ihn so verzweifelt kämpfen ließ.
Jay betrat das Haus ohne sich umzuwenden. Männer wie Zattig waren heimtückisch. Jago Kidd hatte seinen Gegner noch angerufen. Zattig würde das nicht tun. Er würde schießen, und es war ihm gleich, ob er einen Mann von vorn sah oder von hinten. Vielleicht würde er ihn sogar lieber von hinten sehen.
„Clint, Jared!“ Sean Tetleys Ruf glich schon fast einem Heulen.
*
Hinter der Tür blieb Jay Durango stehen. Der Petroleumgeruch schien noch intensiver geworden zu sein. Seans bleiches Gesicht leuchtete ihm wie eine trübe Lampe entgegen.
„Außer Zattig sind alle tot“, sagte Jay. „Wer weiß, ob Zattig dir helfen will.“
„Er ist mein Freund!“
Jay Durango ging weiter auf den Banditen zu, bis er das sprühende, irre Licht in dessen dunklen Jettaugen sehen konnte.
„Dein Freund, den du ermorden wolltest, als er im Jail saß und dir gefährlich werden konnte, Sean“, erwiderte er. „Vielleicht denkt er jetzt daran.“
Sean Tetleys Kopf sank auf das schwarze Kissen.
„Jared!“, schrie er. „Er ist allein! Wovor hast du denn Angst?“
„Er hat vor mir Angst“, sagte Jay Durango. „Ist das wirklich so weit hergeholt?“
Sean stemmte den Oberkörper wieder in die Höhe, so gut er es konnte. Jay Durango zog sein Messer und schnitt ihm die Fußfesseln durch.
„Wir gehen hinaus“, bestimmte er. „Steh auf!“
Sean nahm die Fuße vom Sofa und setzte sich. Verlangend streckte er die Hände vor.
„Die behältst du“, sagte Jay. „Und zwar so lange, bis du in im Jail sitzt. Was dann passiert, bestimmt Marshal Clayburn.“
„Soll er auf einmal mein Richter sein?“
„Nein. Du bist dann nur in der Stadt, in die du jetzt gehörst. Und dort wirst du bleiben, bis dich Richter Douglas holt.“
„Vielleicht wartet mein Vater dann auf dem Weg.“
„Er würde sich die Zähne ausbeißen. Steh auf, wir gehen jetzt!“
„Und Jared?“
„Das werden wir sehen.“ Jay zog den jungen Banditen mit der linken Hand vom Sofa.
Tetley wollte nach ihm schlagen, aber Jay konnte den aneinandergebundenen Händen ausweichen. Plötzlich stand er neben Sean und presste ihm die Revolvermündung gegen die Schläfe. Seans Haltung entspannte sich.
„Das wirst du nicht wagen!“, stieß er krächzend hervor. „Ich bin unbewaffnet und gefesselt.“
„Du warst schon einmal gefesselt und hast mir ins Gesicht getreten. Ich fiel bewusstlos um. Wir könnten vielleicht schon sein, wo ich mit dir hinwill.“
„Du