Deutschstunde. Siegfried Lenz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Siegfried Lenz
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783455810813
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lassen und nahm den Brief nun ruhig an sich mit seinen rötlich behaarten Händen und faltete ihn sorgsam, während der Maler sagte: Ihr seid verrückt, Jens, ihr könnt euch das nicht anmaßen.

      Mir entging nicht, daß er von einer Mehrzahl sprach, der er meinen Vater jetzt schon ohne weiteres zuzählte. Ihr habt kein Recht dazu, sagte der Maler, und mein Vater darauf: Ich hab das nicht geschrieben, Max, ich maß mir auch nix an, und er konnte seine Hände nicht daran hindern, eine Bewegung unbestimmter Hilflosigkeit zu machen. Nein, sagte der Maler, du maßt dir das nicht an, du sorgst nur dafür, daß sie sich ihre Anmaßung leisten können.

      Was soll ich denn machen? fragte mein Vater kühl, und der Maler: Die Bilder von zwei Jahren – weißt du, was das heißt? Ihr habt mir Berufsverbot gegeben. Genügt euch das nicht? Was werdet ihr euch noch ausdenken? Ihr könnt doch nicht Bilder beschlagnahmen, die niemand zu Gesicht bekommen hat. Die nur Ditte kennt und allenfalls Teo. – Du hast den Brief gelesen, sagte mein Vater. Ja, sagte der Maler, ich hab ihn gelesen. – Dann weißt du auch, sagte mein Vater, daß verfügt worden ist, alle Bilder aus den letzten beiden Jahren einzuziehen: ich hab sie morgen verpackt auf der Dienststelle in Husum abzuliefern.

      Sie schwiegen, ich blickte durch den Lichtschlitz zur Seite und sah zwei schmale Hosenbeine rund wie Ofenrohre aus der Haustür treten und hörte eine Stimme rufen: Wir vermissen euch, wann kommt ihr? Worauf der Maler und mein Vater zurückriefen: Gleich, wir kommen gleich. Das beruhigte die Ofenrohre, denn sie schritten steif wieder ins Haus hinein, und nach einer Weile hörte ich meinen Vater sagen: Vielleicht, Max, werden die Bilder zurückgeschickt eines Tages? Die Kammer prüft sie nur und schickt sie dir zurück? Es klang sogar glaubwürdig, wenn mein Vater, der Polizeiposten Rugbüll, so etwa fragte oder als Möglichkeit erwähnte, und niemand mochte ihm ein anderes Wissen zutrauen neben dem, das er mit seinen Worten bekanntgab. Der Maler schien so verblüfft, daß er Zeit brauchte zu einer Antwort. Jens, sagte er dann in einem Ton von Bitterkeit und Nachsicht, mein Gott, Jens, wann wirst du merken, daß sie Angst haben und daß es die Angst ist, die ihnen rät, sowas zu tun: Berufsverbote auszusprechen, Bilder zu beschlagnahmen. Zurückschicken? Vielleicht in einer Urne. Die Streichhölzer, Jens, sind in den Dienst der Kunstkritik getreten – der Kunstbetrachtung, wie sie sagen.

      Mein Vater stand dem Maler ohne Verlegenheit gegenüber, es gelang ihm sogar, in seiner Haltung ungeduldiges Begehren auszudrücken, das erkannte ich ohne Schwierigkeit, und ich war nicht überrascht, als er sagte: Is in Berlin verfügt worden, das genügt. Du selbst hast den Brief gelesen, Max. Ich muß dich auffordern, zugegen zu sein bei der Sichtung der Bilder. – Willst du die Bilder verhaften? fragte der Maler, und mein Vater darauf trocken und unnachsichtig: Wir werden feststellen, welche Bilder eingezogen werden müssen. Ich schreib mir alles auf, damit sie morgen abgeholt werden können.

      Ich muß mir die Augen wischen, sagte der Maler. Wisch sie nur, sagte mein Vater, dabei wird sich nichts verändern. – Ihr wißt nicht mehr, was ihr tut, sagte der Maler, und da rutschte meinem Vater der Satz raus: Ich tu nur meine Pflicht, Max. Da sah ich auf die Hände des Malers, kräftige, erfahrene Hände, die er sachte hob vor dem Leib und schnell in die Luft greifen ließ, und ich verfolgte auch, wie er die Finger zuerst spreizte und dann zur Faust schloß, als sei dies eine Entscheidung. Die Hände meines Vaters dagegen hingen schlaff und bereit an der Hosennaht, zwei gehorsame Wesen, möchte ich mal sagen, jedenfalls machten sie sich nicht besonders bemerkbar. Gehen wir, Max? fragte er. Der Maler rührte sich nicht. Nur daß die sehn, ich hab meine Pflicht getan, sagte mein Vater, und der Maler plötzlich: Es wird euch nicht helfen. Es hat noch keinem geholfen. Holt euch, was euch Angst macht. Beschlagnahmt, zerschneidet, verbrennt: was einmal gewonnen ist, wird dableiben.

      So kannst du nicht zu mir sprechen, sagte mein Vater. Zu dir? sagte der Maler, zu dir kann ich noch ganz anders sprechen: wenn ich dich nicht rausgeholt hätte damals, wärst du heute bei den Fischen.

      Einmal muß man quitt sein, sagte mein Vater, und der Maler darauf: Hör zu, Jens, es gibt Dinge, die kann man nicht aufgeben. Ich habe damals nicht aufgegeben, als ich nach dir tauchte, und ich kann ebensowenig diesmal aufgeben. Damit du klar siehst: ich werde weiter malen. Ich werde unsichtbare Bilder machen. Es wird so viel Licht in ihnen sein, daß ihr nichts erkennen werdet. Unsichtbare Bilder.

      Mein Vater hob die Hand, sichelte langsam in Höhe des Koppels und sagte warnend: Du weißt, Max, wozu ich verpflichtet bin. – Ja, sagte der Maler, ja, ich weiß, und damit du es genau weißt: es kotzt mich an, wenn ihr von Pflicht redet. Wenn ihr von Pflicht redet, müssen sich andere auf was gefaßt machen. Mein Vater trat einen Schritt gegen den Maler vor, zwängte beide Daumen unters Koppel und straffte sich tatsächlich und sagte: ich frag nicht nach den Möwenbildern – damit sind wir quitt. Aber ab heute, Max, paß auf! Mehr habe ich dir nicht zu raten: paß auf. – Ich bin darauf eingestellt, sagte der Maler, und mein Vater, nach einer Weile: Gehn wir, Max? – Wie du willst, sagte der Maler, gehn wir; doch bevor er ging, sagte er noch mit zögernder Stimme: Aber laß hier keinen was merken, Jens, vor allem ihn nicht: Teo. Der Polizeiposten Rugbüll schwieg, und ich nahm an, er sei einverstanden.

      An meinem Lichtschlitz vorbei gingen sie nacheinander über den leeren, windigen Hof, ich hätte sie berühren, hätte sie erschrecken oder streifen können, doch ich tat es nicht, sondern ging tief in die Hocke und ließ die Männer aufwachsen in der Fortbewegung, und nachdem sie im Haus verschwunden waren, untersuchte ich erst einmal das neue Versteck, maß und prüfte und fand heraus, daß genügend Platz auch für zwei vorhanden wäre, etwa für Jutta und mich. Dann schlüpfte ich durch den Spalt hinaus, stand allein am Teich und bereitete den Enten ein rasches Skagerrak, indem ich vor, hinter und zwischen ihnen dekorative Fontänen aufspringen ließ. Ich gebrauchte unterschiedliche Kaliber dabei; das schwappte, wellte, kippte, warf sich schlank empor, so daß die Enten gezwungen waren, ihre Formation immer wieder zu ändern, um den Geschossen auszuweichen, und bevor ich in den Garten zurücklief, gab ich ihnen noch ein Gefühl für Sperrfeuer, wobei eine der jungen Enten die Beherrschung verlor, aus dem Verband ausscherte und sich, mit klatschendem Flügelschlag über das Wasser laufend, in das Planquadrat verirrte, wo meine Geschosse niedergingen: wäre sie bei den Alten geblieben, hätte sie keinen Treffer eingefangen.

      Jedenfalls beeilte ich mich, in den Garten zu kommen, wo Addi immer noch spielte, das Lied von einem Mädchen spielte, das um jeden Preis, trotz bedenklichem Wellengetose, an die Seite ihres fernen Matrosen wollte, weil sie angeblich mit ihm zusammengehörte wie der Wind und das Meer und so weiter. Und zu dieser Melodie wurde auf dem großen Rasenplatz getanzt – nein, nicht getanzt: Hilde Isenbüttel vor allem, der Lehrer Plönnies, aber auch die alten Holmsens, stampften, trampelten, klotzten herum und schoben sich zäh und nachdenklich umeinander, um sich Appetit zu verschaffen für das bevorstehende Abendbrot. Ich merkte mir nicht genau, wer sich da alles Bewegung verschaffte, mich interessierte auch nicht, wer da auf Stühlen und Bänken saß unter wandernden Schatten – regungsloses, doch aufmerksames Meeresgetier –, denn ich hatte auf den ersten Blick die beiden Männer in der Tiefe des Ateliers entdeckt, schräg hintereinanderstehend, mit angehobenen Schultern der eine, mit gesenktem Gesicht der andere. Ich linste durch die Scheiben. Sie waren allein im Atelier. Sie standen vor Doktor Busbecks Geschenktisch. Ich legte meine Hände neben meinem Gesicht auf die Scheibe, und jetzt, da die Blendung aufhörte, sah ich, daß sie vor dem Bild standen, auf dem Segel sich in Licht auflösten, und ich merkte, daß ein zäher Prozeß um das Bild geführt wurde: fordernd stieß der Zeigefinger meines Vaters auf das Bild herab, worauf der Maler sich mit seinem Körper davorstellte, da wurde beansprucht und verweigert, begehrt und zurückgewiesen – alles lautlos, in erregtem Aquariumschweigen; ich sah, wie sie sich stritten und zu überzeugen versuchten, und auf einmal nahm sich der Maler eine Farbtube, drückte einen kurzen Wurm raus, bückte sich vor dem Bild und veränderte oder vervollständigte etwas, indem er die Fingerkuppe, dann die Seite des Fingers und schließlich, wie so oft, den Handballen gebrauchte, während mein Vater steif und drohend hinter ihm stand wie ein Seezeichen in gefährlicher Strömung. Der Maler richtete sich auf, wischte sich die Finger ab. Ich erkannte einen Ausdruck von vorsichtiger Geringschätzung auf seinem Gesicht. Er blinzelte meinen Vater an, und der bedachte sich, nickte, schien keinen Einwand zu finden, jedenfalls nicht so rasch. Das nutzte der Maler aus, indem er meinen Vater abdrängte in uneinsehbare Winkel. Ich wußte, wie dieser Prozeß ausgegangen war. Ich wandte mich um, suchte Doktor