Dr. Heinrich Bernds, erster Vorsitzender des Freien Sozialistischen Studentenbundes Münster, o. J.
Quelle: Martin Bernds, Lübeck
Unter der Nazi-Herrschaft stach Pastor Dr. Bernds dem Regime als entschiedener Gegner ins Auge. Bald nach Beginn des Zweiten Weltkriegs verurteilte ihn ein Sondergericht in Hannover wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ der Nazis zu 18 Monaten Zuchthaus. Nach seiner Haftentlassung im Mai 1942 galt für ihn ein nahezu lückenlos durchgesetztes faktisches Berufsverbot.58
Auffällig ist, dass zwei der sieben Gründungsmitglieder, die Münsteraner Fritz Niemeyer und Helmut Schütz, vorher dem 1927 neugegründeten „Republikanischen Studentenbund“ (RSB) angehört hatten. Der RSB verfocht als parteiungebundene Vereinigung die demokratischen Ideen und Prinzipien der Weimarer Verfassung.59 Helmut Schütz beendete diese Doppelmitgliedschaft schon im Wintersemester 1929/30, nachdem er den Vorsitz im „Freien Sozialistischen Studentenbund“ übernommen hatte. Fritz Niemeyer jun. hingegen, Sohn des gleichnamigen Münsteraner Gewerkschaftssekretärs und SPD-Stadtverordneten, gehörte beiden Studentenbünden beinahe ununterbrochen an - bis zu deren erzwungener Auflösung im Jahre 1933.60
„Freier Sozialistischer Studentenbund“. Entwurf eines Anschlagbretts [1929]
Quelle: Universitätsarchiv Münster, Bestand 004, Nr. 773, Bl. 4
In den nächsten Jahren gab es öfter Doppelmitgliedschaften. Grundsätzlich schlossen die Satzungen beider Verbände diese nicht aus, zumindest wenn es sich um demokratische Sozialisten handelte.
Anfangs trafen sich die freien Sozialisten in der Gaststätte „Zum Felsen“, bald im „Zum Pulverturm“, dann wieder im „Zum Felsen“, später in der Jüdefelder Straße bei Schmiess („Deutsches Keglerheim“).61
Nur ein einziges Mal fand eine Studentin, die Bochumerin Brunhilde Heinemann im Wintersemester 1930/31, den Weg in den sozialistischen Studentenbund. Immerhin komplettierte sie dort den dreiköpfigen Vorstand.62
Wie weit links der FSSB in den Jahren 1929-1933 stand und was er sich unter Sozialismus konkret vorstellte, lässt sich kaum präzisieren. Er war weder eine Studentenorganisation der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) noch der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) oder etwa einer kleineren Partei wie der linkssozialistischen SAP(D) (Sozialistische Arbeiterpartei [Deutschlands]). In seinen Statuten findet sich als Hauptziel sehr allgemein formuliert die „Pflege sozialistischer Weltanschauung und ihre wissenschaftliche Vertiefung“.63
Am ehesten könnte man den Bund als Vereinigung diskussionsfreudiger Linkssozialisten apostrophieren, von denen allerdings der eine oder die andere gleichzeitig Mitglied der dogmatischen KPD war oder mit ihr sympathisierte.64
Nach rückblickender Darstellung von Rudolf Quast, einem Mitglied des Bundes in den Jahren 1932/193365, bestand die Gruppe aus einer bunten Mischung von Anhängern verschiedener sozialistisch-kommunistischer Tendenzen.66 1933 drückte sich ein Mitglied ähnlich aus: „Dieser Bund war eine Gemeinschaft sozialistisch eingestellter Studenten aller Schattierungen, von denen die meisten keiner Partei angehörten.“67
Die Reichweite des linken Studentenbundes dürfte im akademischen Milieu Münsters nicht allzu groß gewesen sein. Viele Studenten und Studentinnen standen der Politik fern, zumindest der Hochschulpolitik. Andere organisierten sich in – im Sonderfall Münster zumeist katholischen – Studentenverbindungen. „An keiner anderen deutschen Universität gab es ein derartiges Übergewicht der katholischen Verbindungen – der Korporationsgrad der münsterischen Hochschüler überstieg jedoch insgesamt nie 40 % und blieb damit unter dem Reichsdurchschnitt von 60%.“68 Unter den politischen Studierendenverbänden, ob mit oder ohne Parteianschluss, dominierten bis ungefähr 1930 stark rechtsgerichtete, antidemokratische Gruppen aus dem Bannkreis der sogenannten Konservativen Revolution. Auch standen wesentliche Teile der katholischen Studentenschaft nicht mehr hinter der Zentrumspartei, sondern folgten ebenfalls antiliberalen, antidemokratischen Leitbildern.69 Für alle Hochschulen im deutschen Reich galt mit nur wenigen Einschränkungen: „Die studentische Linke hatte schon vor 1933 an den Universitäten eine nur marginale Rolle gespielt. Stattdessen dominierten […] Nationalsozialisten und schlagende Verbindungen.“70
Die öffentlichkeitswirksame Tätigkeit des FSSB erschöpfte sich in der Durchführung von Vorträgen für das akademische Publikum.71 Am 20. Mai 1930 sollte z.B. Frau Prof.
Anna Siemsen aus Jena, damals Reichstagsabgeordnete der SPD,, im Audimax sprechen. Die zum Thema „Frau und Sozialismus“ eingeladene Rednerin72 war eine ausgewiesene Bildungsexpertin der Sozialdemokratie.73
Der Rektor verweigerte jedoch schon im Vorfeld ihren Auftritt in den Räumen der Universität. Er könne nur unpolitische Veranstaltungen genehmigen.74 Über die Haltung des Rektorates entspann sich nun ein Disput, der im März 1931 in einer „Kleinen Anfrage“ der SPD im Preußischen Landtag gipfelte. Der preußische Kultusminister schaltete sich ein und warf der Universitätsleitung Ungleichbehandlung im Umgang mit studentischen Vereinigungen vor, nachdem selbst ein Vortrag des preußischen Innenministers Severing (SPD) nicht gestattet worden war.75
Prof. Dr. Anna Siemsen (SPD), MdR 1928-1930. Foto von 1929. Sie war zeitweilig auch Mitglied der SAP.
Quelle: AdSD/FES, Signatur: 6/FOTA009080
Reichstagswahl, SAP/Sozialistische Arbeiterpartei (Deutschlands), 01.07.1932
Quelle: BArch, Plak 002-033-009
Hingegen hatte die Universitätsspitze keinerlei Einwendungen gegen einen Auftritt der NSDAP-Größe Hermann Göring bei einer der üblichen Langemarck-Feiern76 an der WWU. Die Universitätsoberen - so der Medizinhistoriker Bernward Vieten - begegneten den Faschisten mit wohlwollender Duldung, während sie die Sozialisten misstrauisch beobachteten und behinderten.77
Die Ende 1929 ausgebrochene Weltwirtschaftskrise wirkte als Katalysator einer Politisierung78 wie Radikalisierung der Studentenschaft auch in Münster. Schon vorher hatte sich im Februar 1929 der „Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund“ als ernstzunehmender Feind der sozialistischen Linken an der Westfälischen Wilhelms-Universität konstituiert.
Münster war eine der letzten Universitäten, an der die Nazis noch nicht Fuß gefasst hatten79 Der zeitweilig von Wilhelm Schübbe geführte rechtsradikale Studententrupp begann mit der Störung von Vorlesungen ihm nicht genehmer Professoren. Otto Piper, Professor für Evangelische Theologie, eines der Vorbilder Ludwig Bitters unter der Professorenschaft, wurde zur bevorzugten Zielscheibe ihrer Aktionen.80 Bitter hatte ihn bei einer Tagung auf Burg Hohensolms näher kennengelernt.81
Prof. Dr. Otto Piper, o.J.
Quelle: Universitätsarchiv Münster, Bestand 68, Nr. 4805. Foto: Prof. Dr. Otto Piper/Fotograf(in): Clearose Studio, Princeton N.J.
Wilhelm Schübbe, als Zeuge bei den Nürnberger Prozessen, ca. 1946-1948
Quelle: