»Da ist kein Durchkommen. Wir müssen sprengen!«
»Was?«, schrie Daniél. Er hatte eine panische Angst vor allem, was in die Luft fliegen konnte. Selbst sein Haus heizte er ohne Zuhilfenahme von Gas oder Erdöl.
»Hey, ruhig, Daniél! War nur Spaß.«
»Puh.«
»Aber da unten ist irgendetwas. Ein großer Felsen oder so. Da kommen wir nicht dran vorbei. Ich kann schlecht um die Ecke bohren!«
»Ja? Und nun?«
»Ja, was wohl? Du bist der Ingenieur!«
»Ich habe keine Ahnung! Das ist mein erster Brunnen!«
Luc zeigte auf den Boden, etwa einen Meter entfernt von dem Loch: »Na, wir müssen eine neue Bohrung ansetzen.«
»Oh, echt? So ein Mist!«
Luc hob die Schultern: »Was soll ich machen? Mir gefällt das genauso wenig wie dir.«
»Aber das Loch sollte dort in die Ecke! Claire wird ausflippen, wenn ich ihren Garten umgestalte. Das war alles besprochen!«
»Sag das dem Felsen!«
Daniél beugte sich zum Loch herunter und rief: »Hey, Felsen! Geh zur Seite!«, und dann an Luc gewandt, »So! Jetzt kannst du es noch einmal probieren.«
Luc zeigte nur ein müdes Lächeln, riss einen Kirschlorbeerstrauch aus dem Boden und fing an zu graben.
Als sie nach Stunden die 3.40 Metermarke passierten, atmeten beide erleichtert auf.
Gegen Abend hatten sie eine Tiefe von 3.90 Metern erreicht, als der Bohrer erneut auf ein Hindernis stieß.
»Verdammte Scheiße! Das kann doch nicht sein!«, schrie Luc.
»Oh nein! Und nun?«, fragte Daniél. Dann winkte er ab und sagte: »Sag nichts! Ich weiß! Noch ein Loch.«
»Richtig, aber nicht mehr heute! Das machen wir morgen früh.«
Morgen also. Vielleicht regenerierten sich bis dahin seine Muskeln wieder. Die Wahrscheinlichkeit dafür lag bei zwei, vielleicht drei Prozent. Morgen würde auch Herr Trautwein nicht ins Büro müssen.
Samstag. Jemand hämmerte an die Tür. Das bedeutete für gewöhnlich, dass Claire aufstand und sie öffnete. Aber Claire war ja nicht da. Sie war ja mit ihrer Mutter an die See gefahren. Wer könnte dann wohl die Tür öffnen? Nach einiger Zeit wurde Daniél klar, dass er der einzig verbliebene Bewohner des Hauses war. Zwangsläufig musste er aufstehen. Aber eine höhere Macht hinderte ihn daran. Und sie hieß Muskelkater.
Unter Schmerzen schleppte er sich zur Tür und öffnete sie.
»Verpennt, oder was?«, lachte Luc ihm entgegen und drängte sich in die Wohnung.
»Nein, nein«, sagte Daniél und rieb sich die Augen.
Der kräftige Mann steuerte direkt auf die Küche zu und suchte Kaffee. Er fand ihn.
»Hey Daniél, geh noch mal zum Wagen! Ich habe Brötchen mitgebracht. Die liegen auf der Rückbank. Ich mache schon mal Kaffee.«
Sie frühstückten zusammen und Daniél spürte wie seine Lebensgeister zurückkehrten. Luc schien überhaupt kein Problem mit der anstrengenden Arbeit zu haben.
»Das war ganz schöner Mist gestern«, sagte Luc.
»Ja, passiert dir das öfter?«
Luc fragte: »Was, dass ich dreimal ansetzten muss? Nein, dass ist mir noch nie passiert. Aber gleich wird es funktionieren, da bin ich völlig sicher.«
»Aber es ist eine verdammt blöde Stelle. Claire wird das nicht mögen. Der Schacht liegt dann genau im Beet.«
»Na, da fällt ihr bestimmt irgendetwas Dekoratives ein, so wie ich deine Frau kenne. Hier ein Blümchen, da ein Strauch und schon sieht es keiner mehr.«
Sie gingen wieder in den Garten. Herr Trautwein war schon da. Hatte dieser Mann denn niemals etwas anderes vor?
»Ach, guten Morgen, Herr Nachbar!«, sagte Herr Trautwein.
»Herr Trautwein! Gut geschlafen? Oder überhaupt?«, fragte Daniél.
Ein wenig regte er sich über seinen Nachbarn auf. Dadurch fiel das Graben zu Beginn leichter. Aber schnell wurde klar, dass Daniél heute nicht für harte Arbeit zu gebrauchen war. Nach einer halben Stunde bestand seine Hauptaufgabe darin Getränke und etwas Nahrhaftes für Luc zu besorgen. Die Sonne brannte vom Himmel. Luc hatte sein Hemd und seine Jeans ausgezogen und arbeitete nun nur mit einer halblangen Turnhose und einem hautengen T-Shirt bekleidet.
Zentimeter um Zentimeter arbeitete sich Luc seinen Weg nach unten. Heute war er nicht bereit sich vom Erdreich etwas vormachen zu lassen. Heute würde er der Sieger sein.
Bis zum Mittagessen hatte Luc trotz der Hitze fast die Tiefe von drei Metern erreicht.
»So, ich fahre jetzt erst mal nach Hause. Ich muss duschen und mir andere Klamotten anziehen. Und dann gehen wir fein essen. Du zahlst!«
»Hamburger und Pommes?«
»Ein Gedicht! Es gibt nichts besseres!«, sagte Luc.
Daniél wusste sehr wohl, dass es doch etwas Besseres als Pommes gab. Aber er kannte Luc schon seit Jahren und ein Feinschmecker würde der nie werden. Das war ja auch nicht weiter schlimm. Einigen Leuten genügen eben ein wenig gebratenes Hackfleisch mit einer hauchdünnen Gurkenscheibe darüber und frittierte Kartoffeln. Selbst Daniél hatte schon wesentlich schlechter gegessen. Und dafür sogar noch erheblich mehr bezahlt.
Früh am Nachmittag war Luc bereits wieder durchgeschwitzt. Auch Sophie hatte den Weg aus dem Bett gefunden und mal kurz in den Garten zu ihren Pflanzen geschaut.
»Hallo Daniél!«, rief sie über den Drahtzaun.
»Ach, hallo Sophie. Reicht der Kaffee noch?«
»Der Kaffee? Ach so! Ja, ja. Danke. Sag mal, seid ihr immer noch am Brunnen bauen?«
»Ja. Aber ich nicht mehr. Ich bin erledigt. Wir haben gestern zweimal angesetzt und sind immer auf irgendetwas Hartes gestoßen.«
»Etwas Hartes, ja?«, sagte Sophie.
»Ja, wir haben auch keine Ahnung, was das sein kann.«
Luc sagte: »Daniél, der O-Saft ist schon wieder alle! Hol’ noch mal Nachschub. Und vergiss die Eiswürfel nicht.«
»Oh, die sind alle. Ich mache gerade neue, aber das dauert noch«, sagte Daniél.
»Ich habe noch welche, die kannst du haben«, meinte Sophie.
Luc trank fast einen ganzen Liter und kaute dann auf den Eiswürfeln herum. Das erfrischte, sorgte aber auch dafür, dass er noch mehr schwitzte.
Er fügte noch ein weiteres Rohrelement hinzu und bohrte weiter. Luc ließ das Wasser aus dem Schlauch erst über seinen Kopf laufen und beugte sich über den Bohrer, so dass es in den Schacht tröpfelte. Dann schüttelte er sich wie ein Hund nach einem Spaziergang im Regen. Aber seine Haare waren zu kurz, um für einen richtig guten Effekt zu reichen. Auch bei Luc merkte man nun, dass der gestrige Tag und die heutige Hitze Spuren hinterlassen hatten. Er seufzte des Öfteren und regte sich über Kleinigkeiten auf. Bei einer Tiefe von 4.40 Metern stieß der Bohrer erneut auf ein Hindernis.
»Verfluchte Scheiße!«
Daniél kam aus der Küche nach draußen gerannt. In den Händen hielt er eine Kanne O-Saft mit halbfertigen Eisstückchen und ein paar belegte Brötchen auf einem Teller. »Ich komm ja schon, ich komm ja schon!«
Wortlos nahm Luc die Kanne und trank sie leer. Dann biss er in ein Brötchen und kaute missmutig darauf herum.
»Dein Scheißgarten ist verflucht. Da kann man nichts machen.«
»Bist du schon