Genau genommen hatte er sich sein freies Wochenende ohne Claire komplett versaut. Von Erholung konnte keine Rede sein. Aber Daniél bereute keine Sekunde. Auch die Rückenschmerzen und der Muskelkater störten ihn nicht wirklich.
Sicherlich würde Claire sich über die neue Errungenschaft freuen. Vielleicht war sie sogar dankbar. Der Garten sah auch wieder ordentlich aus, bis auf den Bereich um den Schuppen und ein paar kahle Stellen auf dem Rasen. Er setzte sich in das Wohnzimmer und wartete auf sie.
5 Ringe im Schnee
Der Schnee hatte nachgelassen, aber es war immer noch bitterkalt. Major T.C. Carson schaute auf sein Handy. Er wusste bereits seit gestern, dass es hier kein Netz gab. Aber er wollte noch einmal das Bild seiner Tochter sehen. Er redete sich ein, dass er das alles hier für seine Frau und seine Kinder tat. Aber es half nicht viel. Er klappte sein Handy zu und ging zum Kommunikationsoffizier in das benachbarte Zelt.
»Haben Sie eine Verbindung?«, fragte er.
»Ja, die Satellitenverbindung steht.«
»Ich müsste mal ein Privatgespräch führen.«
Das war verboten, aber dem Kommunikationsoffizier war es total egal.
»Welche Nummer?«
Der Major gab die Nummer des Krankenhauses an.
Der Hörer war immer noch mit einer aufgedrehten Schnur mit dem Gerät verbunden. Das schränkte den Bewegungsspielraum beim Telefonieren erheblich ein. Aber es machte diese Geräte auch weniger anfällig gegen Störungen. Sie waren einfach und funktionierten.
»Hallo mein Engel! Wie geht es dir ... oder besser euch?«, fragte der Major.
In dem Moment betrat Dr. Bolina das Zelt und fing – wie es ihre Art war – sofort an zu sprechen. »Hallo Sam«, soweit sie konnte, duzte sie alle im Lager, »ich muss noch mal kurz nach Hause telefonieren.« Dann sah sie Major Carson. »Ach, Sie sind auch hier?«
»Sie sehen doch, dass ich gerade telefoniere!«, sagte der Major zu Dr. Bolina. Dann sprach er wieder in den Hörer: »Was? Es sind auch Frauen hier. Weiß ich noch nicht. Vielleicht am Wochenende. Vielleicht auch nicht. Ich liebe dich. Ich muss jetzt auflegen. Gib der Kleinen einen dicken Kuss von mir und der Großen auch. Du bekommst einen, wenn ich wieder da bin.«
Er legte auf und schaute Dr. Bolina grimmig an. »Sie hätten draußen warten können!«
»Es ist saukalt da draußen!«
»Wir sind in Grönland, das ist hier völlig normal!«
Major Carson wollte eigentlich viel länger mit seiner Frau sprechen. Aber es war schwierig für ihn, wenn ihm jemand dabei zuhörte. Wobei er den Kommunikationsoffizier mit seiner gelangweilten Art nicht als Person ansah, sondern zum Inventar zählte.
»Sind Sie fertig?«
»Ja.«
Der Major ging aus dem Zelt und sah, wie einige Soldaten damit beschäftigt waren das olivgrüne Lager in ein weißes zu verwandeln. Es hatte aufgehört zu Schneien und die Sonne brach durch die Wolken. Der Major blickte in die Ferne, aber außer einer weißen Landschaft war nichts zu sehen. Wie konnte sich nur ein Langläufer in diese Gegend verirren? Hier gab es nichts! Es war nicht mal eine schöne Strecke.
Er ging weiter zum Hauptquartier, welches mittlerweile schon weiß war.
»Ah, Major Carson, kommen Sie doch herein!«, sagte der General.
»Sir.«
Dann sah er Donovan in einer dunklen Ecke und nickte ihm kurz zu.
»Wie steht es zu Hause?«, fragte der General.
Woher wusste er das jetzt schon wieder? Oder war es einfach nur so eine Floskel? Nein, wahrscheinlicher war, dass ihm irgendjemand berichtet hatte, sein Major hätte ein Privatgespräch geführt.
»Ja. Alles bestens. Ich habe gerade kurz mit meiner Frau telefoniert. Der Kleinen geht es gut. Und meiner Frau auch.«
Donovan sagte: »Ach, Sie sind wohl gerade Vater geworden. Na dann, herzlichen Glückwunsch.«
»Danke. Ist schon mein zweites Kind.«
»Die Anzahl meiner Kinder beläuft sich auf eins. Alles Mädchen.«
Der General deutete auf Donovan und sagte: »Wir haben ein paar Fortschritte gemacht. Donovan kann ein wenig berichten.«
Dieser holte einen Schreibblock hervor, schaute aber nicht darauf.
»Wir haben gestern Abend noch ein wenig an Boden gut machen können. Sie haben sicherlich gesehen, dass ein großes Zelt über der Fundstelle errichtet wurde, so dass wir nun weitgehend unabhängig vom Wetter arbeiten können. Die Bagger können bequem da drin hin und her fahren. Die Schutzanzüge haben wir wie besprochen angelegt. Gegen Neunzehnhundert hatten wir einen ausreichend großen Bereich hinter dem Behälter freigelegt, um mit den Feinarbeiten beginnen zu können. Wir wollten das Skelett nach Möglichkeit genauso herausholen, wie es in der Grube liegt. Vier Männer haben zehn Stunden mit kleinen Schaufelchen und Spitzhacken danach gesucht. Sie sind gerade fertig geworden. Das Ergebnis sehen Sie dort hinten auf dem großen Tisch.«
Es schien, als ob er das Gesagte schon einige Male erzählt hatte. Gemeinsam gingen sie nach hinten und betrachteten die Knochen.
Major Carson fragte sofort: »Wo ist der Schädel?«
Der General lächelte kurz.
Donovan sagte: »Wir haben keinen gefunden.«
Der Major schaute sich nun die übrigen Knochen an. Er war keine Koryphäe auf dem Gebiet, aber er entdeckte, dass ein oder zwei Halswirbel ebenfalls fehlten. Der letzte vorhandene schien verschmort zu sein.
»Was ist da passiert?«, Er deutete auf den leicht verformten Halswirbel.
»Wir wissen es nicht. Ich kann nur Vermutungen anstellen. Vielleicht sollte sich das Dr. Bolina einmal ansehen.«
»Sie hat es noch nicht gesehen?«
»Wir konnten sie bislang noch nicht im Lager finden.«
»Sie ist im Kommunikationszelt«, sagte Major Carson.
»Was zur Hölle macht sie da?«, fragte der General.
»Nun, Sir, ich denke, sie telefoniert.«
Donovan wiederholte seine Geschichte. Fast wortwörtlich. Und wieder hatte er seinen Schreibblock unnötigerweise in der Hand. Aber es verlieh ihm ein gewisses Maß an Autorität. Auch Dr. Bolina bemerkte den fehlenden Schädel und den verformten Halswirbel sofort.
Sie fragte: »Haben Sie ein paar Fotos gemacht? Damit man sehen kann, wie er lag?«
Donovan antwortete: »Ja, jede Menge sogar.«
»Na, dann zeigen Sie mal her!«
Gemeinsam gingen sie zu einem Laptop. Die Ausgrabungen waren wirklich erstaunlich gut dokumentiert. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie zu interessanten Bildern kamen. Aber dann konnte man die Lage des Skeletts sehr gut erkennen.
Major Carson sagte: »Es sieht so aus, als ob er sich am hinteren Ende des Behälters festgehalten hat. Und dann ist er nach hinten geschleudert worden.«
Donovan fügte hinzu: »Und es scheint, als ob irgendetwas seinen Kopf abgerissen hätte.«
Der General sagte: »Donovan, haben Sie noch weitere Messungen vorgenommen? Etwas weiter hinten? Vielleicht finden wir den Kopf, wenn wir in einem größeren Radius suchen.«
»Wir haben in einem Radius von 15 Metern intensive Messungen vorgenommen. Darüber hinaus wurden bis zu einem Radius von 30 Metern stichprobenartige Messungen vorgenommen. Ich denke, wir haben sehr gründlich gearbeitet. Oh, da fällt mir ein, dass wir uns beim Alter geirrt haben.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Major Carson.