Tochter der Inquisition. Peter Orontes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Orontes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783839250686
Скачать книгу
nahmen die Pferde beim Zügel und schritten am Zaun entlang.

      »Hans und Gottfried, ihr sichert den Eingang und passt auf die Pferde auf, die lassen wir bei euch. Siegbert, Bodo, Heinrich und Jakob, ihr kommt mit uns«, instruierte von Panhalm seine Büttel, als sie beim Gatter angelangt waren.

      Nachdem sie sich durch die Öffnung gezwängt hatten, suchten sie hinter einigen Haselsträuchern erst einmal Deckung und sahen sich um. In nordöstlicher Richtung, in einer Entfernung von vielleicht fünfzig Fuß, bemerkten sie ein geduckt daliegendes Gebäude – die Kate des Zeitlers. Als dunkelgrauer Klotz erhob sie sich aus dem hohen Gras, das an diesem verregneten Montagmorgen ebenfalls jegliche Farbe verloren zu haben schien.

      Der Stadtrichter hob die Hand.

      »Gehen wir’s an. Wir werden ihm eine hübsche Überraschung bereiten. Bodo, Siegbert und Jakob, ihr umstellt die Hütte. Auf jede Seite ein Mann«, raunte er den Bütteln zu. »Heinrich, du bleibst bei mir und Herrn von Falkenstein. Wir nehmen uns die Tür vor.«

      Auf sein Zeichen hin begannen sie loszulaufen, wobei das hohe, nasse Gras ihnen das Vorwärtskommen nicht gerade erleichterte. Die drei Büttel erreichten als Erste die Kate und umstellten sie. Gleich darauf langten auch von Panhalm, Falk und Heinrich bei der Tür an. Sie war verschlossen.

      »Gundel Schreyer, hier ist der Stadtrichter Georg von Panhalm. Ich befehle Euch, zu öffnen und herauszukommen!«, rief von Panhalm, noch ganz außer Atem, und hämmerte mit der Faust mehrmals gegen die Tür.

      Nichts rührte sich.

      »Gundel Schreyer, ich fordere Euch im Namen der weltlichen Gerichtsbarkeit auf zu öffnen!«, brüllte der Stadtrichter erneut.

      Wieder keine Antwort.

      »Öffne endlich die Tür, du verdammter Bastard! Oder sollen wir sie einschlagen?«

      Stille. Keine Reaktion.

      »Er will es nicht anders. Heinrich, tritt sie ein!«, befahl der Stadtrichter seinem Büttel. Der Mann war untersetzt, aber muskulös und kräftig. Er grinste und trat einige Schritte zurück. Dann nahm er Anlauf, sprang mit einem Satz hoch und trat mit dem rechten Stiefelabsatz gegen das Schloss. Ein Krachen ertönte, Holz splitterte, die Tür sprang einen Spalt weit auf.

      »Komm heraus! Und denk daran, jeder Widerstand ist zwecklos!«, rief der Stadtrichter, der sich zum Schutz vor unliebsamen Überraschungen mit dem Rücken zur Wand neben dem Eingang postiert hatte. Auch Falk und Heinrich waren seinem Beispiel gefolgt. Alle hatten sie ihre Schwerter gezogen und warteten nun darauf, dass der Zeitler die Ausweglosigkeit seiner Lage einsah und endlich erschien.

      Doch noch immer rührte sich nichts. Außer dem leisen, kaum wahrnehmbaren Rauschen, das das Nieseln des Regens verursachte, war alles still – unheimlich still.

      Von Panhalm und Falk wechselten einen kurzen Blick. Dann sprangen beide, die Tür zur Gänze aufstoßend, mit gezückten Schwertern über die Schwelle. Das magere Licht des Morgens fiel durch die Tür und erhellte nur spärlich das Dunkel des Hütteninneren. Doch es genügte, um sie den fürchterlichen Anblick wahrnehmen zu lassen, der die unheimliche Stille erklärte.

      An einem der Deckenbalken, die sich quer durch die Kate zogen, hing an einem Strick die Leiche eines Mannes, zu seinen Füßen lag ein umgestoßener Schemel. Das Haupt zur Seite geneigt, die Augen weit aufgerissen, streckte er den entsetzten Betrachtern die Zunge entgegen. Ein Windhauch fuhr in die Kate und ließ den Körper gespenstisch hin- und herpendeln.

      »So er wirklich der Mörder ist, hat er sich nun selbst gerichtet«, murmelte von Panhalm nach dem ersten Schrecken. »Heinrich, eine Fackel, schnell! Und sag den anderen, sie sollen hereinkommen«, befahl er dem Büttel.

      Kurz darauf traten die anderen drei Gerichtsknechte über die Schwelle, und der helle Schein der Fackel prägte das ganze Grauen in die frühmorgendliche Dämmerung. Jetzt erst bemerkten sie, dass das Gesicht der Zeitlers blau angelaufen war; die Zunge, die groß und dick aus dem Mund schwoll, hatte eine fast schwarze Farbe angenommen.

      »Bodo und Siegbert, nehmt ihn herunter!«, befahl der Stadtrichter.

      »Halt, wartet!«, widersprach Falk, was von Panhalm zu einem ärgerlichen Stirnrunzeln veranlasste.

      »Verzeiht, Herr Stadtrichter, aber lasst mich zuerst noch etwas ausprobieren«, bat Falk.

      Er hob den umgestoßenen Schemel auf, stellte ihn direkt unter den am Strick hängenden Leichnam und trat einen Schritt zurück.

      Erstaunt beobachtete von Panhalm ihn.

      »Fällt Euch etwas auf?«, wandte sich Falk an den Stadtrichter.

      »Was sollte mir auffallen?«

      »Seht Euch den Abstand zwischen den Füßen und dem Schemel an.«

      »Den Abstand? Was ist damit?«

      »Ganz einfach: Er ist ein wenig zu groß.«

      »Ein wenig zu groß? Was meint Ihr mit: zu groß?«

      »Er ist zu groß, als dass der Mann sich selbst getötet haben könnte. Er wurde getötet.«

      »Ach, er wurde getötet. Ihr seid dabei gewesen, nicht wahr?«, bemerkte der Stadtrichter süffisant und verärgert zugleich.

      Das darf nicht wahr sein, dachte Falk und erinnerte sich unwillkürlich an die Bemerkung des Ternbergers über die Unfähigkeit des Richters.

      »Nun, überlegt doch mal, wenn Ihr Euch erhängen wolltet, wie würdet Ihr es anstellen?«

      »Hört auf, in Rätseln zu sprechen, erklärt Euch gefälligst deutlicher«, polterte der Stadtrichter los.

      »Würde ich es tun wollen, würde ich einen Strick nehmen, ihn an einer bestimmten Stelle und in einer bestimmten Höhe festknüpfen, und zwar so, dass, nachdem ich mir die Schlinge um den Hals gelegt habe, mein Körper genügend tief fallen kann, um sicher das Genick zu brechen; schließlich möchte ich nicht elendiglich ersticken«, fuhr Falk ungerührt fort. »Vorher allerdings müsste ich darauf achten, dass ich den Gegenstand, auf den ich mich stellen muss, sagen wir, einen Schemel, mit den Füßen problemlos erreichen und umstoßen kann. Könnt Ihr mir so weit folgen?«, dozierte Falk weiter und bemühte sich gar nicht erst, den arroganten Eindruck, den er damit erweckte, zu unterdrücken; zu groß war der Ärger, den er über die Einfältigkeit des Stadtrichters empfand. Der Mann mochte als Richter eine ganz passable Figur abgeben, als Ermittler war er ein Versager.

      Den schien das Belehrende an Falks Argumentation jedoch nicht weiter zu stören.

      »Ah, jetzt verstehe ich. Ihr meint, Schreyer hätte den Schemel gar nicht allein umstoßen können, er hing zu hoch, nicht wahr?«, bemerkte er.

      »Richtig«, bestätigte Falk.

      »Wenn er getötet wurde, wie hat sich aber dann der Täter davonstehlen können? Schließlich war die Tür verschlossen. Der Schlüssel steckte von innen, wie Ihr wisst. Als wir sie aufsprengten, fiel er herunter«, hielt der Stadtrichter dagegen und wies auf den Schlüssel, der in der Tat am Boden lag. »Das Fenster kommt ja wohl nicht infrage. Da kommt niemand durch. Habt Ihr auch dafür eine Erklärung?«, fügte er triumphierend hinzu.

      Falk sagte zunächst nichts und sah sich erst einmal um. Dabei inspizierte er vor allem den Platz um die halb zertrümmerte Tür und schob sie, so gut es ging, zu. Dann aber, als sein Blick am Boden entlangglitt, ging er plötzlich in die Hocke – und schob mühelos die flache Hand in den Spalt, der zwischen der unteren Kante der Tür und dem Fußboden klaffte.

      »Wie ich mir das erkläre? Ganz einfach: Der Täter griff sich den Schlüssel, verschloss damit die Tür von außen und schob ihn einfach durch diesen Spalt wieder nach innen«, entgegnete er lakonisch und erhob sich. »Ihr könnt ihn jetzt herunternehmen lassen«, fügte er hinzu und deutete auf den Leichnam.

      Von Panhalm maß ihn mit einem Blick, als wollte er ihm jeden Augenblick an die Gurgel fahren. Dann drehte er sich ruckartig um. »Siegbert, Bodo, Heinrich, ihr habt es gehört. Also macht voran!«, fuhr er seine