Der Sheriff fügte zügig hinzu: „Staatssenator Walker Danson.“
Wightman fügte den Titel an, als würde er vom königlichen Adel sprechen.
Danson gab Riley und Ann Marie die Hand.
„Ich bin Laurens Bruder“, sagte er. „Ihr Ehemann, Brady, ist in London, daher bin ich seit diesem Morgen hier, um ihr Gesellschaft zu leisten. Sie ist sehr bestürzt über diese jüngste Entwicklung. Ich hoffe, dass Sie sie nicht weiter aufregen werden.“
Er sagte das so, als wäre es ein Befehl und keine Bitte. Riley antwortete natürlich nichts. Sie bezweifelte sehr, dass diese Befragung Lauren Hillis irgendeine Erleichterung bringen würde.
Während Danson sie durchs Haus führte, stoppte er plötzlich und sagte etwas zu Riley und Ann Marie.
„Ich habe es so verstanden, dass Sie von der Verhaltensanalyse sind.“
Riley nickte.
Danson neigte den Kopf zur Seite und sagte: „Kennen Sie zufälligerweise Carl Walder?“
Riley versuchte beim Erwähnen dieses Namens nicht zusammenzuzucken.
„Ja“, sagte sie. „Er ist der… leitende Spezialagent der Verhaltensanalyseeinheit.“
„Ja, ich weiß“, sagte Danson.
Danson stand einen Moment lang da und schaute sie mit einer unlesbaren Miene an.
Riley fragte ihn: „Kennen Sie ihn?“
„Tatsächlich, das tue ich“, sagte Danson.
Riley lief es kalt den Rücken runter von der Art und Weise, wie er das sagte.
Ohne eine weitere Bemerkung führte Danson Riley und ihre zwei Kollegen ins Innere des Hauses. Riley fühlte sich nun offenkundig ungemütlich. Hatte dieser Marylander Politiker irgendeine persönliche Beziehung mit ihrem Erzfeind an der Verhaltensanalyseeinheit? Riley konnte nur hoffen, dass er keine Probleme machen würde.
Walder liebte es damit anzugeben, dass er hochrangige Freunde hatte und einige dieser Freunde hatten Riley in der Vergangenheit bereits Kopfschmerzen bereitet. Das Letzte was sie jetzt gebrauchen konnte war irgendein ranghoher Familienverwandter, der sich direkt bei Walder über ihre Arbeit beschwerte.
Der Eingangsflur führte in ein offenes, durch und durch modernes Interieur, eine durchgehend offene Fläche, die von einem Bereich in den anderen überging.
Sie kamen bald schon in einem großen Wohnzimmer mit hohen Decken an. Die Wände waren strahlend weiß und der blasse Holzboden war auch beinahe weiß. Farbakzente von den Kissen auf den Möbeln passten farblich zu den Tönen der abstrakten Kunst an den Wänden.
Direkt in der Mitte des Raumes auf einem Sofa befand sich eine Frau, die in einfache, gedämpfte Farben gekleidet war, die in Kontrast zum Rest des Raumes standen. Danson stellte sie als seine Schwester und Allisons Mutter, Lauren Hillis, vor.
Ihre Augen leuchteten auf.
Sie sagte zu Riley und Ann Marie: „Oh, Sie sind die FBI Leute, von denen Walker gesprochen hatte. Ich bin so erleichtert Sie zu sehen. Heute war ein schrecklicher Tag.“
Sie wandte sich mit einem zornigen Gesichtsausdruck an Sheriff Wightman.
„Emory, ich kann es nicht glauben, wie schrecklich deine Polizisten waren, als sie heute morgen mit den Neuigkeiten kamen. Sie haben versucht mich davon zu überzeugen, dass sie Allisons Leiche gefunden haben. Das ist lächerlich und das weißt du auch.“
Wightman sah getroffen aus.
Er begann etwa: „Lauren, es tut mir leid, aber –“
Lauren unterbrach ihn: „Nun versuch bloß nicht auch du noch mich davon zu überzeugen. Ich weiß, dass die Leiche, die gefunden wurde, ein Skelett Kostüm trug. Aber das bedeutet überhaupt gar nichts. Allison hat dieses Outfit in einem Kostümgeschäft gekauft, alle möglichen Leute kaufen dort ein. So ein Kostüm hätte jeder kaufen können.“
Ihr finsterer Blick wurde noch intensiver, als sie hinzufügte: „Und die Polizisten, die heute morgen da waren, haben mir gesagt, dass die Leiche eine lange Zeit vergraben war. Dass sie nicht sicher identifiziert werden konnte. Wie kann das sein? Sie muss in einem schrecklichen Zustand der Verwesung sein. Emory, du hast die Leiche gesehen. Kannst du ehrlich sagen, dass sie Allison auch nur irgendwie ähnlich sah?“
Sie ließ dem Sheriff keine Chance darauf zu antworten und wandte sich erneut an Riley und Ann Marie.
„Sie beiden sind FBI Leute. Ich habe schon diese ganz Zeit über versucht Emory dazu zu bringen, die föderalen Behörden hierher zu rufen. Sie verstehen, wovon ich spreche. Sie sind Experten in diesen Dingen. Sie wissen es besser, als einfach zu falschen Schlüssen zu springen.“
Sie nickte entschlossen zu Riley und ihrer neuen Partnerin.
„Nun, ich will, dass sie beiden sich sofort an die Arbeit machen und tun, was Emory und seine – seine Amateure nicht in der Lage waren bereits seit einem Jahr zu vollbringen. Finden sie meine Tochter. Sie ist am Leben, ich spüre es in meinen Knochen und eine Mutter weiß solche Sachen. Meine eigene Vermutung ist, dass sie Amnesie hat, sich nicht daran erinnern kann, wer sie ist. Sie muss sich schrecklich verloren fühlen. Aber ich bin mir sicher, dass Sie sie im Nu finden können. Ich zähle darauf.“
Ein unangenehmes Schweigen fiel über den Raum. Sheriff Wightman trat von einem Fuß auf den anderen und schaute zu Boden.
Es war ein Fehler hierher zu kommen, dachte Riley.
Sie dachte daran, dass Wightman ihr auf dem Revier gesagt hatte, dass Lauren Hillis in tiefer Verleugnung der Tatsachen war.
Ich hätte auf ihn hören sollen, dachte sie.
Aber das hier war viel schlimmer, als sie hätte erwarten können. Die arme Frau hatte ein ganzes Jahr damit verbracht zu hoffen und zu trauern, zu versuchen, das Schlimmste zu akzeptieren und doch zugleich auf gute Nachrichten zu warten, und das alles auf einmal. Verwirrung und Trauma hatten ihr offensichtlich schrecklich zugesetzt. Riley spürte, dass sie wohl nicht mehr ganz bei sich war.
Mit ruhiger Stimme sagte ihr Bruder: „Vielleicht würden Sie drei sich gerne setzen.“
Riley wollte nein sagen, sagen dass sie und ihre Kollegen gehen müssten und mit ihrer Arbeit fortfahren. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Lauren klare, zusammenhängende Antworten auf irgendwelche Fragen geben könnte. Selbst schon diese zu stellen würde sicherlich eine Bedrängung und eine Zeitverschwendung darstellen. Doch abrupt zu gehen schien auch keine Option zu sein.
Das wäre zu unmenschlich, dachte sie.
Riley und der Sheriff setzten sich auf ein paar Stühle, die vor der Couch standen. Riley war überrascht, als Ann Marie sich auf die Couch direkt neben Lauren setzte.
Sie war noch erstaunter, als Ann Marie die Hand der Frau nahm.
Nein! dachte sie.
Das war absolut unangemessen. Wusste das Mädchen nicht, dass man keinen solch intimen Kontakt herstellte, wenn man eine Befragung durchführte? Riley befürchtete eine bevorstehende emotionale Katastrophe.
Dann schnurrte Ann Marie mit leiser, sanfter Stimme.
„Ms. Hillis, es tut uns schrecklich leid, wie schwer das alles für Sie gewesen ist.“
Ann Maries Ton schien einen sofortigen Beruhigungseffekt auf die Frau zu haben.
„Sie haben keine Ahnung“, sagte Lauren Hillis.
„Nein, natürlich nicht“, sagte Ann Marie, während sie weiterhin Laurens Hand hielt. „Niemand außer Ihnen kann auch nur annähernd wissen, was Sie durchmachen.“
Dann saßen sie und die Frau einen Moment lang da und schauten einander an. Riley begriff sofort, was ihre Juniorpartnerin machte.
Sie verhält sich, wie eine Bestatterin.
Sie hatte zweifelsohne viele Male dabei zugesehen, wie ihr Vater Trauernde in den verschiedensten Stadien der Verzweiflung