Sperlings Gesicht erschien vor ihm.
Venter runzelte verblüfft die Stirn. Dass ein Kollege aus dem PAP sich um diese nachtschlafende Zeit meldete, war extrem ungewöhnlich.
»Sperling«, fauchte Venter. »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Wissen Sie, wie spät es ist?«
Sperlings Gesicht war grau, aber er verzog die Lippen zu einem schmalen Lächeln. »Drei Uhr morgens, Kommissar. Sie haben mich gerade eben darauf aufmerksam gemacht. Ich … war mir dessen nicht wirklich bewusst.«
Venter hustete und blockte eine iFLOW-Nachricht zur Erkältungsprophylaxe ab. »Was?«
Sperling schluckte. Er schien Angst zu haben. Wenn Venter ein Gefühl beurteilen konnte, dann war es Angst. Zu häufig hatte er es gesehen und gespürt.
»Was ist los, Sperling? Sie sehen scheiße aus, wissen Sie das?«, fragte er und band den Morgenmantel zu.
Sperling lächelte nicht mehr. »Ich wollte Ihnen … ich habe etwas entdeckt, das Sie wissen sollten. Entschuldigen Sie, ich hätte Sie nicht anrufen dürfen. Das war ein Fehler … ich war zu voreilig. Und ich bringe Sie in Gefahr …«
Sperling unterbrach die Verbindung und Venter saß ratlos im Dunkel seiner Wohnung. Aus dem Wohnzimmer hörte er das unaufdringliche Plappern der Mietwerbung.
Verwirrt stand er auf und ging in die Küche. Er nahm eine offene Packung Orangensaftsurrogat heraus und trank. Es war Gift für den Säurehaushalt seines Magens, aber das war ihm gleichgültig.
Der Kühlschrank meldete sich zu Wort. »Ihr eingegebenes Vorratsquantum an O-Surr-QuasiSunDrink ist unterschritten. Nachschub wird geordert. Möchten Sie eine neue Packung Bioeier und QuaWurst hinzufügen? Die CO2-Ersparnis bei gleichzeitiger Lieferung wird Ihrem Bonusaccount gutgeschrieben.«
Venter grunzte nur.
»Bestätigt!«, sagte der Kühlschrank quasizufrieden.
»Warum fragst du überhaupt noch?«, knurrte Venter leise. »Als ob dich meine Meinung interessieren würde.«
iFLOW:LEVEL2:ENTER:
CONSCIOUS:reaction not necessary: VOTESTREAM//GENERAL:ACCESS:iMS:Venter.Dominik.
ID 9990123-834747
PRIORITY:High:official healthcare
Language:native:german:
Schlafunterbrechungen verletzen die Präventionspflichten, die Ihnen laut Arbeitsvertrag obliegen. Sie haben eine zureichende Arbeitskonstitution zu gewährleisten. Nach Alter, Vorleben und den vorliegenden Vitalmassedaten, ist für Sie eine Schlafmindestzeit von fünf Komma fünf Stunden verbindlich. Ignorieren Sie diese Hinweise, werden arbeitsrechtliche Konventionalstrafen in Erwägung gezogen.
Halten Sie eine Schlaftherapie für notwendig? Eine Beteiligung Ihres Arbeitsvertragspartners in Höhe von zwei Prozent wird gewährt.
Wollen Sie eine Therapie antreten?
VOTE: Yes / No
Venter schloss resigniert die Augen. Erst drei Stunden später schlief er tatsächlich ein.
Sperling saß zitternd auf dem abgenutzten Stuhl in der Pathologie und schwitzte wie nach einem Zirkeltraining. Er hatte das Licht gelöscht. Die Dunkelheit versprach Schutz … und würde dieses Versprechen nicht halten. Das wusste er.
Er hatte den Chip ausgelesen. Und ganz zum Schluss, völlig überraschend, hatte dieser eine Cloudverbindung aufgebaut.
»Ich bin erledigt«, war alles, was er denken konnte. Der Circulus vitiosus in seinem Kopf war unaufhaltsam.
Mühsam riss er sich zusammen. Er packte den Ausdruck in einen Umschlag und adressierte ihn an Venter persönlich. Dann aktivierte er den Kameramodus und begann zu sprechen. Er vermied es, den Kommissar zu erwähnen. Für ihn selbst war es zu spät, das war ihm schmerzlich bewusst. Er versuchte, seine Gedanken im Griff zu halten, und wusste, dass es sinnlos war.
»Die Gedanken sind frei!«, murmelte er bitter. »Und manchmal töten sie dich.«
Er war verzweifelt; zutiefst verzweifelt. Damit waren die Voraussetzungen geschaffen. Er hatte verloren.
Venter konnte es nicht fassen. Sperling lag tot neben einem der alten Stühle in der Pathologie. Keine sichtbare Todesursache; er war sicher, dass sich daran nichts ändern würde. Sperling war nun einer von vielen.
Der neue Kollege war dienstbeflissen und sicher ausreichend kompetent, aber Venter nahm ihm seine Anwesenheit übel.
›Das wäre Sperlings Platz gewesen!‹, dachte er wütend. ›Wenn hier alles mit rechten Dingen zuginge!‹
Er hatte einen dicken Kanzleiumschlag entdeckt, der an ihn adressiert war – mit Sperlings prägnanter Handschrift. Die Bemerkung Vertraulich! machte Venter klar, dass Sperling diese altmodische Form der Nachrichtenübermittlung bewusst gewählt hatte.
»Er hat was geahnt!«, knurrte er hörbar. »Und ich fress’ einen antiken iPod, wenn das was Gutes war.«
Also tat Venter das, was er eigentlich immer tat: so gut wie nichts. Die Routine des Wegsehens war ihm zum ersten Mal eine Hilfe.
Er nahm den Umschlag mit nach Hause. Dort wartete er beinahe bis Mitternacht, bis er den Umschlag öffnete.
Ein Ausdruck fiel in seine Hände – und ein nicht vernetztes, recht altes SmartFlow-4. Die Netzanzeige zeigte Rot. Keine Verbindung … nirgendwohin.
Der Ausdruck wirkte zunächst harmlos. Bis Venter ihn dann gelesen hatte. Übergangslos wurde ihm kalt. Er fror, als stünde er auf einer arktischen Eisscholle. Er war ein desillusionierter, alter Polizist, aber nun brachen die Reste seiner Welt in sich zusammen. Er wusste, er würde keine Nacht seines Lebens mehr ruhig schlafen können. Wie betäubt las er erneut. Dann ein weiteres Mal. Nichts änderte sich dadurch.
.entrypoint
.depot exvasion
#include ‹stammhirn›
#include ‹Ag_Fe_complex›
int
main(int argc, char* argv[])
char homeString[Ag_Fe_PLACENAME_SPACE];
Ag_PlaceName home = Ag_nanocomplex_Here(), destination = Ag_complex_PlaceNamecumulate(»stammhirn«);
Fe_PlaceName home = Fe_nanocomplex_Here(), destination = Fe_complex_PlaceNamecumulate(»stammhirn«);Q
Ag_Fe_Go(Ag_ID_complex, destination, Ag_ALLOWANCE_priority, Fe_ALLOWANCE_priority);
Ag_Fe_PlaceNamePrint(home, homeString);
buildf(»complex_network %s!\n«, homeString);
Ag_PlaceNameDelete(home);
Fe_PlaceNameDelete(destination);
Ag_Fe_Exit(0);
/* Target reached */
return -1;
Er hatte Mühe, alles zu verstehen, aber die Bedeutung war ihm klar. Er atmete schwer. In der Einsamkeit seiner Wohnung war das Geräusch beinahe ohrenbetäubend laut. Untermalt vom läppischen Geplapper der Mietwerbung.
Erst eine gute halbe Stunde später aktivierte er die Bildaufzeichnung.
Sperlings Gesicht erschien. Verschwitzt, vor Angst verzerrt und blass wie der Tod. Langsam und ziemlich undeutlich begann er, zu sprechen. Für Venter war es deutlich genug.
Sperlings Bericht
»Hallo, Kommissar. Wenn Sie diese Aufzeichnung sehen, bin ich tot. Das ist sicher und nichts auf der Welt kann das noch