Grundlagen des Methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit. Franz Stimmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Stimmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170359307
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Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist« (1996, S. 56). Der Beziehungsaspekt definiert, wie eine Mitteilung zu verstehen ist, er ist daher eine Metakommunikation, eine Mitteilung über eine Mitteilung, oder: »Der Inhaltsaspekt vermittelt die ›Daten‹, der Beziehungsaspekt weist an, wie diese Daten aufzufassen sind« (S. 55). Es hängt also von der Mimik, Gestik, Tonlage der Sozialpädagogin ab, wie etwa die Kontrollen des Jugendamts in der Wahrnehmung der Eltern wirksam werden, als unverschämte Einmischung, als kränkender Akt oder als hilfreiche Handreichung für die Eltern zum Wohle des Kindes. In der Sozialen Arbeit geht es also um »Sacharbeit« (Unterstützungswege, Beratungsinhalte, Konfliktlösungen, Erziehungsmöglichkeiten, materielle Zuwendungen …) und deren Gestaltung über die »Beziehungsarbeit« zwischen Professionellen und Klienten, wobei die Qualität der letzteren über den Erfolg bzw. Misserfolg sozialpädagogischer Sacharbeit entscheidet. Formal kann diese Art der Beziehungsgestaltung annähernd als Interdependenzrelation im Sinne der Hypothesenbildung (image Kap. 6.2) verstanden werden.

      Die These ist, dass Soziale Arbeit um so erfolgreicher sein wird, je weniger erfolgsfixiert und je ausgeprägter verständigungsorientiert sie ist. Auf dem oben erwähnten Kontinuum steht auf der Seite der Verständigungsorientierung ein Handeln, das inhaltlich den Definitionen sozialen Handelns bzw. sozialer Beziehung von Max Weber entspricht und das mit unterschiedlichen Interaktions-Begriffen belegt ist, wie »Begegnung« (Moreno), »Dialog« (Buber), »Kommunikatives Handeln« (Habermas), »Rapport« (Bandler und Grinder) u. v. a. Diese Begriffe sind nicht synonym zu verwenden, sie haben aber die gleiche Grundrichtung, nämlich die Verständigung als Ziel des Handelns, wobei das, was erreicht werden soll, erst auszuhandeln ist und der Erfolg, nämlich die Zielerreichung, immer auch ein gemeinsamer Akt von Klient und Fachkraft bleibt. Wenn ein Alkoholabhängiger nach einem wiederholten »Rückfall« in die Beratung kommt, geht es nach diesem Modell zunächst um Verständigung. Die Haltung des Beraters sollte, das hat Rogers sehr eindeutig nachgewiesen, durch Wertschätzung, Empathie und (image Kap. 9.2.1.3) geprägt sein, um überhaupt auf die Ebene der Verständigung zu kommen. Die Sachargumente wie Entgiftung, ambulante Therapie, Selbsthilfegruppenbesuch kennt der Alkoholabhängige häufig aus eigener Erfahrung mindestens genauso gut wie der professionelle Berater. Diese Angebote allein bleiben letztlich folgenlos. Bietet der Berater dem Klienten aber z. B. an, als eine Wahlmöglichkeit neben den anderen Vorschlägen, weiter zu trinken, ist dies, wenn die Beziehungsgestaltung diesen Vorschlag nicht als Zynismus entlarvt und wenn es dem Bedürfnis des Klienten entspricht, eine verständigungsorientierte Lösung, die u. U. über kurz oder lang zum Erfolg führt. Die Wirksamkeit solcher paradoxen Aufforderungen, der »Symptomverschreibungen« sind bekannt (Watzlawick u. a. 1996, S. 213 ff.). Sie dürfen hier aber nur ernst gemeintes und verantwortetes Ergebnis einer Verständigung sein und nicht die Anwendung einer wirksamen Technik.

      In dem eben beschriebenen Fall ist die Verführung natürlich groß, über ein immer noch »Mehr-desselben« (Watzlawick u. a. 1974, S. 51 ff.; Angebote über Angebote, die in Richtung Abstinenz gehen) oder über Drohungen oder geschickte Manipulation einen kurzfristigen »Erfolg« zu erzielen, also offen oder verdeckt erfolgsorientiert (oder besser erfolgszentriert oder erfolgsfixiert) zu handeln. Bei diesem strategischen Handeln geht es um die strikte Realisierung vorgegebener Ziele und Erfolgsparameter, wie immer auch diese bestimmt werden (durch Fachkraft, Einrichtung, Gesellschaft …). Das ist die andere Seite des Kontinuums, das Feld der Strategien und Täuschungsmanöver, die nicht unbedingt bösartig sein müssen, sondern vielfach auch »gut gemeint« sein können, wobei die Handlungsziele aber eben nicht gemeinsam erarbeitet wurden, sondern nach dem Willen, den Bedürfnissen, den Wünschen des Beraters vorgegeben sind.

      Die Abbildung 6, eine Differenzierung und Transformation des Handlungsmodells von Habermas (1981, S. 446), verdeutlicht das Kontinuum noch einmal schematisch.

Images

      Beim verständigungsorientierten Handeln geht es primär um die Beziehungsgestaltung, der Erfolg entsteht aus dieser heraus; beim erfolgszentrierten Handeln steht die Wirkung im Mittelpunkt, deren Verfolgung handlungsleitend ist. Verständigungsorientiertes Handeln ist immer zwei- oder mehrseitig, erfolgszentriertes Handeln dagegen kann einseitig, zwei- oder auch mehrseitig sein. Wenn es »offen« ist, ergibt sich daraus ein Zwangssystem oder auch eine Hierarchie oder aber, wenn mehrere gleichzeitig bei unterschiedlichen Zielen erfolgszentriert sind, eine kämpferische Auseinandersetzung. Manipulative Versuche verlaufen gewöhnlich in der Form, dass einer manipuliert, der andere manipuliert wird. Wenn zwei oder mehrere versuchen, sich gegenseitig zu manipulieren, wird das System schon sehr komplex, Sieger bleibt vermutlich der, der die besseren Strategien anwenden kann. Solche Manipulationen können den manipulierenden Akteuren bewusst sein, den Manipulierten allerdings unbewusst. Falls sie letztlich allen Beteiligten unbewusst sind, kommt es zu Formen verzerrter Kommunikation. Die Strategien sind teilweise die gleichen, teilweise aber unterschiedlich. Doppelbindungen (Bateson) laufen meist unbewusst ab, denkbar ist allerdings, sie bewusst als Möglichkeit zu nutzen, andere zu manipulieren oder verrückt zu machen.

      Dieses Schema ist kein normatives Konzept oder Gesetz, an dem das Handeln von SozialpädagogInnen über Aussagen von »gut oder schlecht« oder »wahr oder falsch« gemessen werden soll, es bietet aber ein idealtypisches Orientierungsraster, das dabei hilft, konkretes Handeln immer wieder zu überprüfen und zu reflektieren und es – u. U. erst über kollegiale Beratung oder auch Supervision – wieder zu ändern. Je nach Situation, je nach Problem, je nach den beteiligten Personen wird der Ort des Handelns auf dem Kontinuum unterschiedlich sein. Das gegenseitig Aufeinander-bezogen-Sein im verständigungsorientierten Handeln ist stets gefährdet, es ist, wie Goffman dies ausdrückt, »zerbrechlich, es ist mit konstitutiven Schwächen und Gefährdungen behaftet, ein prekärer, unsteter Zustand, der die ständige Möglichkeit von Entfremdung«, wie sie sich im einseitig erfolgszentrierten Handeln ausdrückt, »in sich birgt« (1971, S. 128). Bezogen auf die Berufsethik Sozialer Arbeit hieße dies, dass eine Gesinnungsethik, die unabhängig vom Erfolg sich dialogisch verausgabt, genauso unangemessen ist wie eine Erfolgsethik, die entfremdetes Handeln um des Erfolges willen in Kauf nimmt. Die Lösung kann nur eine Verantwortungsethik sein, die sich des Handelns zwischen den beiden Polen bewusst ist, die Spannung »dazwischen« erträgt und zu einer konstruktiven Gestaltung des Handelns nutzt (image Kap. 4.4.2).

      In diesem Kapitel wurden bedeutsame Aspekte der Grundlagen methodischen Handelns diskutiert. Das Fundament methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit wird aber durch deren Ethik gesetzt und nicht durch psychologische Kommunikationstheorien oder soziologische Gesellschaftmodelle oder pädagogische Konzepte, so wichtig und im Einzelnen auch handlungsleitend deren Kenntnis, Reflexion und pragmatische Umsetzung auch sind.

      Weiterführende Literatur zum 4. Kapitel:

      Bellermann, M., Sozialpolitik, Freiburg 2008.

      Brumlik, M., Advokatorische Ethik, Bielefeld 2004.

      Hradil, St., Soziale Ungleichheit, Wiesbaden 2005. 8. Auflage.

      Hradil, St., Die Sozialstruktur Deutschlands im internationalen Vergleich, Wiesbaden 2006.

      Köble, R., Menschenbilder in der Sozialen Arbeit, Reutlingen-Ludwigsburg 2013.

      Martin, E., Sozialpädagogische Berufsethik, Weinheim und München 2007.

      Schilling, J., Anthropologie, Menschenbilder in der Sozialen Arbeit, München 2000.

      Schlüter, W., Sozialphilosophie für helfende Berufe, München 1995.