Wie sollte es anders sein, natürlich hatte ich mich während meines Erasmus-Aufenthalts auch verliebt. Die folgende Geschichte halte ich selbst bis heute für zu kitschig, um tatsächlich ernst genommen zu werden. In einem Tanzworkshop meiner Austauschuniversität traf ich einen Tänzer aus Mosambik, ein durchtrainierter Adonis mit kurzen Rastalocken und schwarzen Augen, deren Blick mich schon bei unserer ersten Begegnung zu durchdringen schien. Er sprach kein Französisch, nur Portugiesisch und Englisch, was uns vollkommen ausreichte. Er war nur für einen Monat wegen eines Engagements als Tänzer auf der Insel und wir verbrachten diese Zeit leidenschaftlich, verliebt und voller Hoffnung, irgendwie eine Zukunft zu haben. Als er abreisen musste, vergossen wir beide viele Tränen, doch wir schworen uns, alles zu versuchen, um wieder zueinanderzufinden. Als ich nach Österreich zurückkam und meinen Freunden von ihm erzählte, hagelte es uralte Scherze. »Pass auf Claudia: Once you go black, you never go back!«, »Und, war er wirklich so groß wie alle behaupten?« Auch das gehört zur Erfahrung, im Ausland zu leben: zurückkehren und sich sehr missverstanden fühlen. Mein Traummann und ich blieben in Kontakt, doch die Leidenschaft ließ nach, und bald wurde klar, dass unser Wunschdenken aussichtslos war. Ich hatte zu konkrete Pläne, um Österreich wieder zu verlassen, er hatte nicht die Mittel, um zu mir zu kommen. Trotzdem konnte ich ihn nie ganz vergessen. Völlig unverhofft, mehr als ein Jahr später, bekam ich die Gelegenheit, ihn wiederzusehen. Er hatte ein Engagement an einer Tanzschule in der Schweiz bekommen. Ich war völlig fertig mit den Nerven, als wir ein erneutes Treffen vereinbarten. Ich malte mir die verrücktesten Dinge aus und hoffte so sehr, dass meine kleine Seifenblase von der unendlichen, leidenschaftlichen Liebe zwischen uns diesmal nicht platzen würde. Sie platzte nicht – zuerst. Wahrscheinlich auch deshalb, weil ich sah, was ich sehen wollte. Dass er immer noch schön war, dass er immer noch gut küsste und liebte, dass wir immer noch viel Spaß miteinander hatten und reden konnten. Davon abgesehen aber hatten wir ganz andere Vorstellungen vom Leben, doch das sah ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Schlussendlich musste ich mich nie damit auseinandersetzen, denn nur wenige Wochen später verließ er mich für eine italienische Primaballerina. Es tat weh und gab mir gleichzeitig die Erlaubnis, ehrlich mit mir selbst zu sein: In Wahrheit hatte ich mich auch aus Exotismus in ihn verliebt, weil einfach alles an ihm und seinem Leben anders war. Wahrscheinlich hatte er das Gleiche empfunden, womöglich ging es ihm mit seiner neuen Flamme genauso. Kaum etwas ist so reizvoll wie das Fremde, ein Mensch, der anders aussieht, anders spricht, anders aufgewachsen ist. Unsere Welt heute macht es glücklicherweise möglich, dass diese Differenzen oft keine Hindernisse mehr für Beziehungen sind. Mir ist es lieber, von Fremdem fasziniert zu sein als Angst davor zu haben. Doch so zu tun, als würde diese Faszination für eine lebenslange Beziehung ausreichen, ohne auch andere Qualitäten in ihr zu finden, ist verblendet. Und so entscheidet sich bei den meisten Beziehungen, die auf Reisen oder während des Studienaustausches entstehen, irgendwann danach im heimischen Alltag, ob die Liebe mehr aushält als ein paar sorgenfreie Wochen unter Palmen.
Bestimmt machen nicht alle die gleichen Erfahrungen während ihres Studienaustausches. Alles bleibt eine Frage davon, wie sehr man sich auf das neue Umfeld einlässt. Zu Weihnachten nach Hause fliegen – wozu? Erstmals hast du die Gelegenheit, ein anderes Weihnachtsfest kennenzulernen. Stille Nacht, heilige Nacht kannst du in den nächsten Jahren noch oft genug singen. Aus anderen Gründen dazwischen noch mal einen Abstecher nach Hause machen ist ebenfalls Quatsch. Sich ganz auf sich alleine gestellt fühlen kann nur dann voll einschlagen, wenn ich auch wirklich nicht nach Hause zu Mami laufe, und sei es auch manchmal hart.
Austauschsemester können aber natürlich genauso gut ohne Drogenrausch und Liebschaften aus dem Groschenroman ablaufen, sondern sich ganz zahm abspielen. Dafür war meine Zeit in Kanada der beste Beweis. Für den typischen alternativen Globetrotter auf der Suche nach Abenteuer ist Kanada erst mal kein spannendes Reiseziel: Es ist teuer, es ist gut organisiert, es ist friedlich, es hat Justin Trudeau. Die meisten würden lieber dort sesshaft werden, als nur einen Zwischenstopp zu machen. Ich entschied mich also, nach längst verjährten Erasmus-Orgasmen mein zweites Auslandssemester in der überschaubaren kanadischen Klein- und Hauptstadt Ottawa zu verbringen. Ich ging mehr als entspannt in diese Zeit, denn: Auslandsaufenthalte kannte ich, die gängigen Sprachen beherrschte ich perfekt und überhaupt fühlte ich mich allem und jedem überlegen. Kulturelle Differenzen würde es wohl keine geben, dachte ich mir, und tatsächlich, das Seltsamste war meist, wie furchtbar viel furchtbar dünnen Kaffee die Kanadier trinken. Die Zeit wurde für mich vor allem eine Erfahrung des Alleinseins, der Disziplin und der fleißigen Arbeit. Sowohl das Niveau der kanadischen Universität als auch meine eigene Abschlussarbeit forderten mich sehr. An meinen freien Wochenenden lernte ich trotzdem erneut großartige Menschen kennen, entdeckte leckere Märkte und tolle Sportmöglichkeiten und fühlte mich binnen der inzwischen bekannten zehn Wochen ganz wie daheim. Ich hatte mich bewusst gegen eine Studenten-WG entschieden, hielt ich mich doch inzwischen für zu alt und erwachsen für chaotische Buden, in denen ständig gefeiert wird. Stattdessen zog ich zu einer einsamen alten Cat Lady in ihr adrettes Vorstadthäuschen im Kolonialstil und freute mich auf hochintellektuelle Gespräche mit der weitgereisten Dame. Die Haupterkenntnis, die ich am Ende zog, war, dass ich vor der übertrieben freundlichen, furchtbar komplizierten alten Dame und ihren fauchenden Katzen wann immer ich konnte in die WGs meiner Freunde flüchtete. So alt war ich dann wohl doch noch nicht. Und so grauenhaft würde ich hoffentlich niemals werden.
Am Ende meiner Zeit in Kanada konnte ich sogar mein Fazit routiniert ziehen: Auch diese Reise hatte mir viele Selbsterkenntnisse beschert und war für mich eine wahre Bereicherung gewesen. Doch nun drängte sich mir eine neue, selbstkritische Frage auf: Was hatte mein Auslandsaufenthalt den Menschen in Ottawa oder der Gesellschaft insgesamt gebracht? Bis auf das völlig nichtssagende Ergebnis meiner überkomplexen Masterarbeit und meine Teilnahme an einer Charity-Sportveranstaltung fällt mir wenig bis gar nichts ein. Ein Freiwilligenengagement hätte sich für die wenigen Monate nicht gelohnt, war ich überzeugt: Bis du