Noch während ich in Kanada war, wurde uns klar: Ein VW-Bus ist in Peru viel leistbarer als in Europa! Also haben wir es getan, gegen jede Vernunft, ganz bewusst, den Traum vor Augen, mit dem Van eines Tages in den Sonnenuntergang zu fahren. Tom hat für uns beide noch vor meiner Ankunft einen VW-Bus gekauft. Drei Monate später hat er hauptsächlich viel zu viel Zeit und Geld in bürokratische Prozeduren und Reparaturen unserer »(Im-)Mobilie« investiert. Jetzt, da auch ich mich in Peru eingelebt habe, sehen wir ein, dass es in diesem Land viel zu gefährlich ist, im Auto zu übernachten, und bei Hostel-Preisen von maximal fünf Euro pro Nacht auch wirklich nicht lohnenswert. Doch wir freuen uns immer noch an unserer alten Hippie-Karre, fahren damit an den Strand zum Surfen – oder Zusehen – und fühlen uns mit dem Van den Beachboys und coolen Surflehrern total zugehörig. Wir laden am Wochenende alle unsere Freunde ins Auto und machen Ausflüge in Grünzonen an den Stadtrand, um uns dann auf dem Rückweg stundenlang in den Sonntagabendstau einzureihen. Jeder sagte uns, dass es viel zu riskant sei, das Auto nachts auf der Straße zu parken, also muss ein überwachter Parkplatz her, was absurd teuer ist, wie wir feststellen.
Dafür lernen wir Carlos und Julio kennen, zwei reizende Parkwächter und echte Unikate. Carlos bewacht den Autoparkplatz sieben Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag. Seine Schlafkammer liegt direkt über dem Büro der Parkplatzbetreiberin, nur hin und wieder hat er sonntags frei. Er ist praktisch immer da. Der Siebenundvierzigjährige freut sich, zwei Gringos kennenzulernen, und plaudert gerne mit uns. Ich komme manchmal tagsüber auf dem Weg zum Markt bei ihm vorbei und bleibe stehen, um mich mit ihm zu unterhalten. Mit der Zeit erfahre ich, dass Carlos hochgebildet und in Wirklichkeit für seinen Job völlig überqualifiziert ist. Er hat Kommunikationswissenschaften studiert und vier Jahre lang im französischen Kulturinstitut in Lima gearbeitet. Sein fast perfektes Französisch haut mich um. Ich schäme mich wahnsinnig dafür, dass ich ihm so etwas nie zugetraut hätte. Ich frage ihn also: »WAS machst du hier, Carlos?!« Und er erzählt mir von einer kaputten Ehe, von zwei Töchtern, die er selten sieht, von Reiseplänen und von Freiheit, die er früher vermisst hat. Doch wirklich frei ist Carlos jetzt auch nicht. Er verbringt seine Tage hauptsächlich mit Julio, einem kauzigen Rentner mit schlecht rasiertem Bart, Gehstock, runder Brille im Gesicht und schiefen Zähnen. Julio macht die Nachtschichten und bewacht die Autos auf der Straße, die in der Autogarage keinen Platz mehr bekommen haben. Wenn er fertig ist und Carlos mit seiner Schicht anfängt, frühstücken die beiden zusammen. Auch Julio hat eine Ex-Frau und wenig Kontakt zu seiner Familie. Er erzählt mir, dass er früher Pilot war und viel gereist ist, auch in Deutschland war er oft. Stolz präsentiert er ein paar Sätze auf Deutsch. Die beiden Herren fragen mich viel über Österreich, Carlos möchte unbedingt einmal nach Europa reisen. Er gibt mir auch viele Lesetipps, er kennt die großen lateinamerikanischen Autoren gut und schätzt die Poesie. Ich bin immer wieder beeindruckt von unseren Gesprächen, nachdem ich mich verabschiedet habe und nach Hause spaziere. Das ist es für mich wahrhaftig, was »ein Land und seine Leute kennenlernen« bedeutet. Über diese Begegnung vergesse ich fast den ärgerlichen Auslöser dafür – unsere hippe, alte Rostlaube. Täglich wächst unser Credo: »Nach all dem Aufwand müssen wir den Bus jetzt richtig ausnutzen und die Fahrten damit genießen!« Wenn jemand sagt, dass man etwas genießen MUSS, dann ist es eigentlich schon zum Scheitern verurteilt. Wir setzen uns schlauerweise in den Kopf, die mindestens achtstündige Fahrt in die zweitgrößte Gebirgskette der Welt – die Autostrecke von Lima führt auf über 4000 Höhenmeter hinauf – mit dem Bus anzutreten. Zwei Tage lang laufe ich zwischen der Autowerkstatt und Carlos’ Parkgarage hin und her und versuche den Mechanikern Druck zu machen, damit der VW-Bus rechtzeitig zum Tag der geplanten Abfahrt für steile Bergstraßen umgerüstet ist. Sie haben wie gewohnt keine Eile und lassen sich ihre Arbeitszeit trotzdem gut bezahlen. Endlich, mit einem vollen Tag Verspätung, legen wir eines Sonntagmorgens los. Carlos steht extra um vier Uhr früh auf, um uns das Tor zu öffnen, als wir wegfahren, winkt er uns hinterher und ruft »Suerte!«, was wir tatsächlich gebrauchen können. Tom fährt, und wir sind entspannt: Die ersten drei Fahrtstunden führen uns nur an der Küste entlang, erst danach wird es ernst, wenn es hinauf in die Anden geht. Da sitzen wir also zu zweit in einem rostigen Bus, in dem locker zehn Personen Platz hätten, was ja an sich schon eine Perversität für uns deklarierte Ökos ist, und freuen uns an unserer Freiheit. Bevor wir von der Küste in die Berge abbiegen, machen wir halt in einem kleinen Fischerdorf, um eine Kleinigkeit zu essen. Wir parken unser Ungetüm direkt vor einem Café in einer sehr belebten Straße und gehen hinein. Von unserem Tisch aus können wir die Schnauze des Busses sogar sehen, nach weniger als dreißig Minuten verlassen wir das Café wieder. Ihr ahnt wohl schon, was jetzt kommt. Als wir zurückkehren, bemerke ich, dass der Kofferraum offen ist – und unsere Rucksäcke fehlen. Die Polizei, die praktischerweise direkt neben unserem Auto steht, gibt an, nichts gesehen zu haben. Aha. Die beiden jungen Polizisten erklären uns, dass sie hier zum persönlichen Schutz eines Zeugen stationiert sind. Dieser Ort wird mir immer sympathischer. Dann fällt ihnen ein, dass ihr Zeuge eine Überwachungskamera installiert hat, und verschwinden in seiner Wohnung. Kurz darauf kommen sie zurück und erzählen uns, was die Kameraaufnahme zeigt: Drei junge Typen haben binnen Sekunden mit einem Schraubenzieher unseren Kofferraum aufgebrochen und die Rucksäcke mitsamt unserer ganzen Bergsteigerausrüstung mitgenommen. Das Klischee vom reichen, weißen Mann im VW-Bus mit gutem, teurem Bergequipment im Kofferraum dürfte sich auch bis hierher herumgesprochen haben. Nach stundenlanger sinnloser Anzeigenerstattung in einem tristen Polizeikommissariat ohne Fensterscheiben, während der uns der Polizeikommandant noch stolz seine Sammlung konfiszierter Drogen und Schusswaffen vorführt, geben wir auf: Ohne eine warme Jacke oder Handschuhe müssen wir gar nicht erst in die Anden fahren. Und so kehren wir um, zurück nach Lima. Noch bevor wir die Stadtgrenze erreichen, haben wir entschieden: Dieses Auto wird uns keine Freude mehr machen, sondern immer nur noch mehr Ärger. Vierundzwanzig Stunden später steht es bereits wieder online zum Verkauf. Drei Wochen später haben sich immer noch kaum Interessenten gemeldet. Wir müssen zugeben: Wenn sich nicht ein anderes, ebenso illusioniertes Möchtegern-Hippie-Pärchen findet, dem wir den Bus aufschwatzen können, dann werden wir mit dieser Investition ziemlich draufzahlen. Anscheinend wissen die meisten inzwischen, dass Bustickets in Südamerika viel billiger und praktischer sind als ein eigenes Gefährt. Manchmal entdecken wir in den Straßen Limas noch einen bunt bemalten VW-Bus, oft mit argentinischem, chilenischem oder uns fremdem Autokennzeichen. Wenn wir einen Blick hineinwerfen können, dann tun wir das immer noch, aus Neugierde, doch der Neid ist uns längst vergangen. Vielmehr spekulieren wir darauf, zu erkennen, dass die Van-Besitzer ebenfalls mit ihrer Reiseart zu kämpfen haben. Manchmal ist der Innenraum zur Schlafkoje umgebaut, hin und wieder sehen wir richtige Werkstätten durchs Fenster: Künstler, die Schmuck, Dekoratives aus Naturmaterialien oder Kleidung herstellen, scheinen so unterwegs zu sein. Einmal sehen wir sogar eine fahrende Bibliothek. Die Aufschriften auf den Bustüren laden ein, das geplante Abenteuer auf Instagram oder Facebook mitzuverfolgen oder sogar mit Spenden zu unterstützen. Reisen wird immer mehr zum Projekt. Unser Projekt erklären wir endgültig für beendet, als sich endlich ein Käufer findet: Eine Marketingfirma will den Van kaufen und wir übergeben ihn frei von schlechtem Gewissen – diese Karre ist wahrlich geeignet, um als reines Image-Objekt für Bierverkostungen in