Als die Krone in England damit begann, Zölle auf Leder, Papier, Tee und andere Produkte zu erheben, die von Europa nach Nordamerika exportiert wurden, reagierten die Bewohner der dreizehn Kolonien mit Unmut. Obwohl nur wenig britischer Tee in den Kolonien getrunken und verkauft wurde und der Ertrag aus der Teesteuer entsprechend gering war, waren die Siedler in den Kolonien über die Teesteuer besonders erzürnt. Um ihren Unmut zu zeigen, veranstalteten sie im Hafen von Boston in der Kolonie Massachusetts 1773 einen Aufstand, die sogenannte »Boston Tea Party«: Sechzig als Indianer verkleidete Siedler enterten ein britisches Schiff und warfen 342 Kisten des wertvollen Tees ins Wasser. Sie zerstörten also fremdes Eigentum. Die Regierung in London unter König George III. reagierte scharf auf die Provokation und schickte Truppen, die den Befehl hatten, die Rebellion in den Kolonien zu beenden. Öffentliche Versammlungen wurden verboten.
Ein Teil der Siedler, die Loyalisten, wollte auch in Zukunft zum britischen Imperium gehören. Doch ein anderer Teil, die Patrioten, wollten genau dies nicht. Die Patrioten schürten die Rebellion und forderten den Austritt aus dem britischen Imperium, das sie als ungerecht und despotisch bezeichneten. Am 19. April 1775 kam es zum ersten Gefecht. Die Briten töteten sich nun gegenseitig in Nordamerika. Am ersten Tag der Zusammenstöße in der Nähe von Boston starben bereits 368 Menschen, darunter 273 britische Soldaten und 95 Siedler. Im August 1775 erklärte der König die nordamerikanischen Kolonisten offiziell zu Rebellen. Die Siedler radikalisierten sich, erklärten gegenüber London den Kriegszustand und ernannten George Washington, einen 43-jährigen Plantagenbesitzer aus Virginia, zum Oberbefehlshaber ihrer neu geschaffenen Armee. Wie viele andere Patrioten hatte auch George Washington enge Verbindungen zu England. Er war zwar wie sein Vater in der Kolonie Virginia geboren, doch sein Urgroßvater war ein Engländer aus Essex, nordöstlich von London.84
Die Patrioten könnte man als »Terroristen« bezeichnen, weil sie Gewalt einsetzten, vor Mord nicht zurückschreckten und ein politisches Ziel verfolgten, nämlich den Abzug der britischen Soldaten aus den dreizehn Kolonien. Doch diese Bezeichnung wurde nicht verwendet. Die Patrioten sahen sich als Kämpfer für eine gerechte Sache, den Widerstand gegen das despotische britische Imperium. In der US-Geschichtsschreibung werden sie daher als »Freiheitskämpfer« bezeichnet. Wer Terrorist und wer Freiheitskämpfer ist, kann auch heute nicht einfach erkannt werden, denn beide setzen auf Gewalt. Die Wortwahl ist letztendlich einzig eine Frage der Perspektive.
Am 4. Juli 1776 erklärten die dreizehn britischen Kolonien in Nordamerika ihre Loslösung von Großbritannien und ihr Recht, einen eigenen souveränen Staatenbund zu bilden. Mit der von Thomas Jefferson verfassten Unabhängigkeitserklärung entstanden die USA. Als »Independence Day« ist der 4. Juli bis heute der US-Nationalfeiertag. In der Präambel deklarierten die Siedler weise, dass jeder Mensch zur Menschheitsfamilie gehört und dass niemand unterdrückt werden darf: »Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden sind, und dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.« Diese Formulierung war für die damalige Zeit revolutionär und weitsichtig. Die USA entstanden aus edlen Werten. Die Friedensbewegung orientiert sich auch heute noch an der Unabhängigkeitserklärung und dem Prinzip Menschheitsfamilie, das im Kern besagt, dass das Leben heilig ist.85
»Einem bei vielen Amerikanern populären Geschichtsbild zufolge ist die Geschichte der Vereinigten Staaten eine Geschichte des Triumphs von Freiheit, Fortschritt und Demokratie«, erklärt Manfred Berg, der Geschichte an der Universität Heidelberg lehrt. Aber diese »Meistererzählung« deckt sich nicht mit den Fakten. Es muss daran erinnert werden, dass die in der Unabhängigkeitserklärung deklarierten Werte schon damals nicht umgesetzt wurden, weil die Siedler in den dreizehn Kolonien gleichzeitig Sklaven hielten und diesen keineswegs die gleichen Rechte oder sogar Freiheit einräumten. Im Weiteren wurden auch die Indianer nicht zur Menschheitsfamilie gezählt, ihr Recht auf Leben haben die Siedler nie geachtet. Auch ihre Frauen sahen die Siedler keineswegs als den Männern gleichwertig an, erst 1920 wurde in den USA den Frauen das Wahlrecht zugestanden. Nur gegenüber dem britischen Imperium legten sie eine andere Messlatte an und forderten, dass jede Regierung die Freiheit des Individuums und sein Recht auf Leben zu schützen habe.86
Die Siedler proklamierten auch ein Recht des Volkes auf Widerstand gegen eine tyrannische Regierung. Wenn eine Regierung, gemeint war das britische Imperium und König George III., despotischen Machtmissbrauch betreibe, dann müsse das Volk diese Regierung stürzen, erklärten die Siedler in der Unabhängigkeitserklärung. »Zwar gebietet Klugheit, dass von langer Zeit her eingeführte Regierungen nicht um leichter und vergänglicher Ursachen willen verändert werden sollen; und demnach hat die Erfahrung von jeher gezeigt, dass Menschen, so lang das Übel noch zu ertragen ist, lieber leiden und dulden wollen, als sich durch Umstoßung solcher Regierungsformen, an die sie gewöhnt sind, selbst Recht und Hilfe verschaffen. Wenn aber eine lange Reihe von Misshandlungen und gewaltsamen Eingriffen, auf ein und dieselbe Gruppe gerichtet, ein Ausmaß erreicht, das an Despotismus grenzt, so ist es ihr Recht, ja ihre Pflicht, eine solche Regierung abzuwerfen und sich für ihre künftige Sicherheit neue Gewähren zu verschaffen.«87
Despoten, die ihre Macht missbrauchen, müssen durch das Volk gestürzt werden. Darin besteht der Kerngedanke des Patriotismus. Die Patrioten haben damals sehr genau zwischen dem Volk und der Regierung unterschieden. Heute ist das in den USA nicht mehr der Fall. Wer sich gegen die Regierung und den Präsidenten in Washington äußert und ihren Machtmissbrauch anprangert, was Vertreter der Friedensbewegung wiederholt getan haben, wird als unpatriotisch diffamiert. Doch dies ist eine Verdrehung der Begriffe. Der Glaube, dass ein Patriot der Regierung blind gehorcht, ist falsch und konnte nur durch die Massenmedien in die Köpfe eingepflanzt werden. Die Umdeutung war erfolgreich. Wer heute den sogenannten »Krieg gegen den Terror« kritisiert, wird schnell als »unpatriotisch« diffamiert.
Der Kampf gegen das britische Imperium
Unabhängig waren die USA auch nach der Verabschiedung der Unabhängigkeitserklärung noch nicht, weil der britische König den Austritt aus dem britischen Imperium nicht akzeptieren wollte. Die Siedler mussten erst hastig eine reguläre Armee aufbauen. George Washington, der Anführer der Rebellen, führte mit nur 15000 Soldaten einen Guerillakrieg gegen die britischen Truppen. Eine Luftwaffe gab es damals nicht. Der Krieg wurde vorwiegend auf dem Land ausgefochten. Dass die Royal Navy, die damals stärkste Flotte der Welt, den Atlantik dominierte, half London wenig. Denn die dreizehn Kolonien konnten sich selbst ernähren. Ein Abschneiden der Versorgungswege und Aushungern des Gegners, die klassische Kriegsführung der britischen Marine, war gegen die Siedler wirkungslos.
Die Franzosen beobachteten die Rebellion in Nordamerika mit Interesse. Sie wünschten sich eine Niederlage der Briten und belieferten daher die Guerillas von Washington mit Waffen. London wiederum stärkte seine Einheiten dadurch, dass in Europa 30000 Söldner angeworben wurden, die große Mehrheit davon Deutsche, welche in den Krieg nach Nordamerika verschifft wurden. Zudem bewaffneten die Briten auch Indianer, weil sie hofften, so die Rebellion in den dreizehn Kolonien zu zerschlagen. Doch dies gelang nicht. Als Frankreich die Unabhängigkeit der dreizehn Kolonien anerkannte und ab 1780 selbst auf der Seite der Siedler mit französischen Soldaten in den Unabhängigkeitskrieg eingriff und mit George Washington gegen die Briten kämpfte, wendete sich das Blatt. Das britische Imperium musste im Vertrag von Paris 1783 alle dreizehn Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen und verzichtete auf alle Gebietsansprüche östlich des Mississippi. Nur Kanada blieb unter britischer Souveränität.
Grafik 7: 1783: Im Vertrag von Paris sichern sich die USA das Gebiet bis zum Fluss Mississippi.
Der Vertrag von Paris wurde in London als große Schmach und in Paris und Washington als großer Triumph empfunden. Die dreizehn Kolonien sicherten sich mit diesem Vertrag auch das große Gebiet zwischen