Einige der Europäer, die nach Nordamerika auswanderten, sahen in der Katholischen Kirche ihren religiösen und politischen Gegner. Denn seit in Deutschland der Reformator Martin Luther 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen hatte und darin die Korruption der Katholischen Kirche beim Ablasshandel angeprangert hatte, spaltete die Reformation Europa. Katholiken und Protestanten töteten sich gegenseitig in blutigen Religionskriegen. Der Papst hatte als Oberhaupt der Katholischen Kirche das in der Neuen Welt entdeckte Land dem katholischen Spanien zugesprochen. Doch seit der Gründung der Anglikanischen Kirche 1534 erkannten die Briten die Oberhoheit des Papstes in Glaubensfragen nicht länger an, sodass seine Weisungen zur Aufteilung der Welt sie auch nicht mehr interessierten. Ein Teil der Protestanten, die mit dem Schiff nach Nordamerika fuhren, wollte in Nordamerika ein protestantisches Reich erschaffen, das als machtpolitisches Gegengewicht zum expansiven spanischen Katholizismus dienen konnte, der Mittel- und Südamerika dominierte. Die religiösen Auswanderer beriefen sich auf den Reformator Johannes Calvin. Dieser hatte gepredigt, dass göttliche Gnade am privaten und vor allem wirtschaftlichen Erfolg ablesbar sei. Diese protestantische Ethik begründete nicht zuletzt den Geist des Kapitalismus, der die USA bis heute prägt. Nicht wenige religiöse Dissidenten aus Europa glaubten, in Nordamerika das in der Bibel verheißene Gelobte Land gefunden zu haben. Nach Virginia entstand mit Massachusetts 1629 die zweite britische Kolonie in Nordamerika, welche mit Boston über einen wichtigen Hafen verfügte. Der Engländer John Winthrop, der 1630 mit über 1000 Puritanern in Massachusetts landete und Gouverneur der Kolonie wurde, forderte seine Glaubensgenossen in einer Predigt auf, in der Wildnis ein »Neues Jerusalem« zu errichten, eine »Stadt auf dem Hügel«, an der sich die sündige Welt ein moralisches Beispiel nehmen sollte. Dieses Sendungsbewusstsein prägt die USA bis heute.
Nach der Gründung von Jamestown im heutigen Virginia wanderten tausende Engländer, Schotten und Iren nach Nordamerika aus, aber auch Deutsche, Polen, Schweden, Holländer und Schweizer. Neue Siedler aus Europa wurden dadurch angeworben, dass man ihnen rund zwei Hektar Farmland, das man den Indianern geraubt hatte, gratis zur Verfügung stellte. Dass die Siedler Viren und Bakterien einschleppten, gegen die die Indianer keinerlei Abwehrkräfte entwickelt hatten, war fatal. Pocken, Masern, Scharlach und Diphterie löschten ganze Dörfer der Indianer aus. Nach Virginia und Massachusetts folgte die Gründung der Kolonien Rhode Island (1636), Connecticut (1636) und Maryland (1634). Die Kolonien New York, New Jersey und Delaware waren zuerst von den Holländern und Schweden erschlossen worden, kamen dann aber in den Besitz des englischen Königreiches. Die Holländer gründeten in Neu-Amsterdam am Atlantik den Verwaltungssitz ihrer Kolonie Neu-Niederlande. Doch die Holländer konnten sich gegen die Briten nicht durchsetzen. Die Briten eroberten 1664 Neu-Amsterdam und änderten den Namen der Stadt in New York. Mit Carolina (1663), New Hampshire (1680) und Pennsylvania (1681) erweiterten die Briten ihren Kolonialbestand in Nordamerika auf insgesamt zwölf Kolonien. Carolina, benannt nach König Karl I. von England (lateinisch Carolus), wurde 1729 in North Carolina und South Carolina geteilt. 1732 kam mit Georgia im Süden die dreizehnte Kolonie hinzu.
Die dreizehn Kolonien am Atlantik
Die berühmten dreizehn britischen Kolonien sind das Kernland der heutigen USA. Alle Kolonien befanden sich am Atlantik und konnten dadurch von Europa direkt mit dem Schiff angesteuert werden. Die Bevölkerung in den Kolonien wuchs stark an, um 1760 lag sie schon bei über 2 Millionen Menschen, darunter 400000 schwarze Sklaven. Niemand in London ahnte damals, dass diese Kolonien nur wenige Jahre später sich zuerst vom britischen Imperium lossagen und danach einen eigenen Staat gründen würden. Kaum jemand hätte vorhergesagt, dass der kleine Staat USA danach den großen Raum bis an den Pazifik erobern und schließlich sogar zu einem globalen Imperium mit Militärbasen in Kuba, Deutschland und Japan aufsteigen würde.
Heute dauert der Flug von Frankfurt nach New York nur neun Stunden. Die USA sind dank der Luftfahrt nicht mehr weit von Europa entfernt. Im Flugzeug wird den Gästen ein Essen mit Nachtisch serviert, dazu auch sauberes Wasser oder Wein. Zudem können die Gäste aus einer Vielzahl von Filmen auswählen, um sich die Zeit zu vertreiben. Doch das war nicht immer so. Die Überfahrt mit dem Segelschiff in die Neue Welt dauerte noch im 18. Jahrhundert bei schlechtem Wind zwölf Wochen, und auch bei gutem Wind mussten die europäischen Kolonialisten sieben Wochen auf dem Schiff ausharren, was nicht alle überlebten.
Die Qual auf den Schiffen war groß, wie ein deutscher Augenzeuge berichtet, der 1750 mit dem Schiff nach Philadelphia fuhr: »Es werden die Menschen teils in Rotterdam, teils in Amsterdam in die großen Seeschiffe sehr nahe, bald sozusagen wie Heringe zusammengeladen … Während der Seefahrt aber entsteht in den Schiffen ein jammervolles Elend, Gestank, Dampf, Grauen, Erbrechen, mancherlei Seekrankheiten, Fieber, Ruhr, Kopfweh, Hitzen, Verstopfungen des Leibes, Geschwulsten, Skorbut, Krebs, Mundfäule und dergleichen, welches alles von alten und sehr scharf gesalzenen Speisen und Fleisch, auch von dem sehr schlimmen und wüsten Wasser herrührt, wodurch viele elendiglich verderben und sterben. Dazu kommt ferner Mangel der Lebensmittel, Hunger, Durst, Frost, Hitze, Nässe, Angst, Not, Anfechtung und Wehklagen nebst anderer Ungemach … Dieser Jammer steigt alsdann aufs höchste, wenn man noch zwei bis drei Tag und Nacht Sturm ausstehen muss, dabei jedermann glaubt, dass das Schiff samt den Menschen werde zu Grunde gehen.«83 Viele arme Auswanderer aus Europa konnten die Fahrt über den Atlantik nicht bezahlen. Die Schiffskapitäne nahmen sie nur mit, wenn sie versprachen, die Kosten für die Überfahrt in der Neuen Welt als Schuldknechte abzuarbeiten. In Nordamerika wurden sie vom Kapitän an ihren neuen Herrn verkauft und mussten diesem, als Knecht oder Magd, in der Regel vier Jahre ohne Bezahlung dienen, bis sie schuldenfrei waren.
Grafik 6: 1732: Die 13 britischen Kolonien bilden das Kernland der späteren USA.
Wer die entbehrungsreiche Überfahrt über den Atlantik überlebte, versuchte sich in Nordamerika eine neue Existenz aufzubauen. Die europäischen Siedler brachten auf ihren Schiffen eine Vielzahl von Nutztieren aus Europa mit, die zuvor in Nordamerika nicht bekannt gewesen waren, darunter vor allem das Pferd, aber auch Ziegen, Schafe und Rinder. Die Indianer, welche in der weitläufigen und flachen Prärie lebten, erkannten den Nutzen des aus Europa importierten Pferdes als Reit- und Transporttier schnell, weshalb sich die Pferde in Nordamerika auch unter den Indianern verbreiteten. Umgekehrt brachten Reisende, die aus der Neuen Welt nach Europa zurückkehrten, Pflanzen mit, die zuvor in Europa unbekannt gewesen waren, sich dann aber bald großer Beliebtheit erfreuten, darunter die Kartoffel, die Tomate und den Mais.
Die Unabhängigkeitserklärung von 1776
Im Jahre 1770 zählte Großbritannien zu den führenden Kolonialmächten in Europa. Die Briten besaßen in Indien, der Karibik und Nordamerika wertvolle Handelsstützpunkte. Doch die dreizehn Kolonien in Nordamerika rebellierten. Die Kolonisten waren erzürnt darüber, dass sie nur mit dem britischen Mutterland Handel treiben durften. Zudem hatte der britische König George III. erklärt, die Kolonisation von Nordamerika sei beendet und werde nicht über die Bergkette der Appalachen hinausgehen. Das sahen die landhungrigen Siedler aber ganz anders, denn sie wollten nach Westen expandieren. Es gefiel den Siedlern nicht, dass ihre Kolonien von einem