Sie schenkte ihm ein Lächeln.
»Tut mir leid, mein Schatz, ich muss jetzt nach draußen. Geh doch schon mal in die Küche, hole dir etwas zu essen, denn mit einem gemeinsamen Essen, das wird heute nichts. Das können wir heute knicken. Wenn das Zelt richtig aufgebaut ist, treffe ich den Lieferanten für Tische und Stühle, eine Gärtnerin kommt für die Dekoration vorbei. Es wird spät werden, mein Liebling. Aber wenn das Fest vorbei ist, dann versuche ich, mehr Zeit für uns herauszuschinden.«
Er sah nicht gerade glücklich aus.
Julia ging auf ihn zu, wollte ihn gerade küssen, als die Stimme des Mannes vom Zeltaufbau unwillig sagte: »Frau Herzog, kommen Sie jetzt bitte? Wir wollen fertig werden, meine Männer wollen endlich ihren verdienten Feierabend machen.«
»Tut mir leid, Liebling«, sagte Julia, dann eilte sie dem Mann nach, der das Restaurant wieder verlassen hatte.
So ein Fest auszurichten, das war eine Herausforderung, und leider gab es immer wieder kleine Pannen, die beseitigt werden mussten. Und das war so trotz aller genauer Planung.
Zum Glück war dieses Problem jetzt relativ schnell behoben, und eigentlich wäre ihre Anwesenheit überhaupt nicht notwendig gewesen. Der Mann hatte sich einfach nur absichern wollen, und vielleicht hätte sie das ebenfalls getan, wenn sie an seiner Stelle gewesen wäre.
Julia wollte ins Haus zurückgehen, als sie eigentlich mehr zufällig bemerkte, dass Daniel zum Parkplatz zu seinem Auto ging.
Julia rannte los, erreichte ihn, blieb vor ihm stehen. »Daniel, wo willst du hin?«, erkundigte sie sich, »du bist doch gerade erst gekommen.«
Er blickte ein wenig unglücklich rein. Vielleicht war er auch genervt.
»Ich fahre in die Redaktion zurück, versuche, dort an meinem Manuskript zu arbeiten. Da habe ich wenigstens meine Ruhe.«
Er war sauer!
»Daniel, innerhalb der nächsten Stunde wird das Zelt komplett aufgebaut sein, dann kehrt Ruhe ein. Und du kannst doch oben in der Wohnung arbeiten. Das hast du bislang doch auch immer getan.«
Er antwortete nicht sofort, spielte nervös mit seinem Autoschlüssel. Ihm war anzumerken, dass er überlegte, ob er jetzt etwas sagen oder schweigen sollte. Ein Parkplatz war nicht unbedingt der richtige Ort für eine Aussprache.
Daniel entschied sich, jetzt zu sprechen. Er war ein Mann der klaren Worte und gehörte nicht zu den Menschen, die alles vor sich herschoben, sei es nun aus Bequemlichkeit oder sei es aus Angst vor der Konfrontation.
»Julia, als ich herkam, wollten wir auf eine gemeinsame Reise gehen. Mittlerweile ist es so, dass du davonfährst und ich entweder auf dem Bahnhof zurückbleibe oder dir hinterher hechele. So habe ich mir unseren Weg nicht vorgestellt. Statt uns näherzukommen, driften wir immer mehr auseinander …, ich komme mir in deinem Leben ziemlich überflüssig vor …, du brauchst mich nicht.«
Sie wollte etwas sagen, ihm widersprechen, und noch während sie über die Worte nachdachte, die sie wählen wollte, fuhr er fort: »Dir ist kein Vorwurf zu machen, Julia. Ich bin zu dir gekommen, ich habe mein Leben aufgegeben, um eines gemeinsam mit dir zu beginnen …, ich stelle immer mehr fest, dass ich nicht mehr als ein Anhängsel für dich bin …, du brauchst niemanden für eine gemeinsame Reise, du bist eine Einzelkämpferin, die mit Volldampf voraus ihren eigenen Weg geht.«
Sie wollte etwas sagen, ihm widersprechen. Sie konnte es nicht, weil vieles, was er sagte, der Wahrheit entsprach. Sie liebte ihn über alles, aber sie liebte auch ihr unabhängiges Leben, sie stellte sich jeden Tag gern der Herausforderung ihres Existenzkampfes. Sie genoss es, geschätzt zu werden, sie war ehrgeizig.
Wenn man das alles bedachte, durfte man sich dann eigentlich auf eine Partnerschaft einlassen? Ja, man durfte es, doch dann ging es nicht, dass der Partner den vollen Preis zahlte. Und das hatte Daniel getan, indem er ohne Netz und doppelten Boden zu ihr gezogen war. Er war das volle Risiko eingegangen, und sie …
Julia schämte sich beinahe. Sie hatte es mehr oder weniger als eine Selbstverständlichkeit hingenommen. Sie machte ihr Ding, und sie genoss es, diesen liebevollen Menschen an ihrer Seite, nein, wenn sie ehrlich war, neben sich zu haben.
Das war egoistisch.
Er gab, und sie nahm!
»Daniel, lass uns über alles, über uns, reden, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist. Hier auf dem Parkplatz, das ist wahrhaftig nicht der richtige Ort …, es war alles in letzter Zeit ein wenig viel. Ich hatte nicht genug Zeit für dich, doch eines, das musst du mir glauben. Ich liebe dich sehr, ich liebe dich über alles. Und ich bin so glücklich, so froh, dich in meinem Leben zu haben.«
Er warf ihr einen traurigen Blick zu.
Er war verletzt, sie hatte ihn überfordert, sie hatte ihm keinen Platz in ihrem Leben gegeben. Im Grunde genommen hatte sie sich verhalten wie ein kleines Mädchen, das ab und zu ihr Lieblingsspielzeug aus der Ecke holte, mit ihm spielte, um es dann wieder beiseitezulegen.
Daniel war kein Spielzeug. Er war ein Mensch, ein ganz wertvoller dazu.
»Daniel, ich …«
Sie kam nicht dazu, ihren Satz zu beenden, denn in diesem Augenblick kam der Mann vom Zeltbau um die Ecke und rief: »Frau Herzog, können Sie bitte noch einmal kommen? So wie Sie es haben möchten, ist es nicht machbar, damit würden wir die Sicherheitsbestimmungen unterlaufen.«
Julia warf Daniel einen unglücklichen Blick zu. Diese Störung jetzt, ausgerechnet jetzt, die musste nicht sein. Doch so war es halt, das Leben. Es nahm keine Rücksicht auf Befindlichkeiten.
»Daniel, wir reden später, oder nein …, wir reden morgen. Doch bitte, fahr jetzt nicht weg.«
Er holte tief Luft, wollte etwas sagen, ließ es bleiben, machte eine nicht zu deutende Handbewegung, dann drehte er sich um, ging zu seinem Auto, stieg ein und fuhr los.
Sie hatten ihre erste Krise!
Vermutlich wäre es schon früher dazu gekommen, wenn sie nicht alles unter den Tisch gekehrt hätten. Sie hätten miteinander reden müssen.
Julia spürte, dass sich etwas verändert hatte, und sie spürte ebenfalls, dass es an ihr lag, etwas zu tun.
»Frau Herzog …«
Die Stimme des Mannes klang ungeduldig. Sie setzte sich in Bewegung.
»Sie sind der Fachmann, dann müssen wir jetzt halt eine Lösung finden, mit der uns niemand an den Karren fahren kann. Ich bleibe jetzt am besten bis zum Schluss bei Ihnen. Dann müssen Sie mich nicht immerfort suchen.«
Damit war der Mann einverstanden, doch Julia war ihm wirklich keine große Hilfe, denn sie hörte kaum zu, weil ihre Gedanken in eine ganz andere Richtung gingen. Und die waren bei Daniel.
Sie war sich seiner zu sicher gewesen, sie hatte nur an sich gedacht, und für sie war die Welt vollkommen in Ordnung gewesen.
Der ›Seeblick‹, in dem sie ihre berufliche Erfüllung fand, und dann war da noch Daniel, der Mann für ihr Herz.
Seine Worte vorhin, die hatten sie unglaublich berührt, und sie hatten ihr vor Augen geführt, wie unterschiedlich ihre Interessen doch waren.
Die gemeinsame Reise …
Sie hatten davon geträumt, das hatte ihr Herz berührt, doch Daniel allein hatte die Voraussetzungen dafür geschaffen.
Julia spürte, wie sich Angst in ihr Herz schlich. Am liebsten hätte sie jetzt alles stehen und liegen lassen und wäre zu ihm geeilt.
Es ging nicht. Das mit dem Zelt musste zu Ende gebracht werden, und dann ging es ja weiter. Und es war ja auch nicht so, dass das eine Qual für sie war. Sie machte es gern, sie war eine Frau, die an den Herausforderungen über sich hinauswachsen konnte. Sie hatte sie immer gedacht, und sie wollte niemals mehr an den Zeit erinnert werden, als es ganz so ausgesehen hatte, dass sie den ›Seeblick‹ vor die Wand fahren würde. Die offenen Rechnungen hatten sich gestapelt,