Hillmoor Cross. Shannon Crowley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Shannon Crowley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130425
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musste hier raus, notfalls ohne Zustimmung des Arztes. Doctor Mackenzie nickte.

      »Gut. Das ist natürlich Ihre Entscheidung. Sonst gibt es niemand, der sich ein wenig um Sie kümmern kann?«

      »Nein. Ich brauche auch niemand. Es geht mir ja schon wieder gut.«

      »Überschätzen Sie sich nicht. Außer der Gehirnerschütterung wird Ihnen auch die Verletzung am Bein eine Weile zu schaffen machen.«

      »Es geht mir gut. Ich will nach Hause«, beharrte er.

      »Ja, sicher. Ich bin gleich wieder bei Ihnen«, sagte der Arzt. Jake umklammerte die Bettdecke, sowie der Mann zur Tür hinaus war. Zwei Tage. Wie sollte er weiterleben, wenn er Großmutter Martha auf dem Gewissen hatte? Dagegen schrumpfte die Sorge, wie er ihr gegenübertreten sollte, falls sie noch am Leben war, zu einem Nichts zusammen.

      Er sah an sich hinunter. Er musste die Infusion loswerden und er brauchte seine Kleidung. Im Moment trug er einen dieser grässlichen weißen Leinenkittel, die überraschend eingelieferten Patienten meist verpasst wurden. Die Tür ging auf und Doctor Mackenzie betrat das Zimmer, gefolgt von der rothaarigen Schwester. Die Schwester hielt eine Pappschale in der Hand. Der Arzt stöpselte den Infusionsschlauch aus der Kanüle.

      »Ich gebe Ihnen etwas, damit Sie rasch wieder auf die Beine kommen.«

      Ehe Jake begriffen hatte, was er vorhatte, nahm der Mediziner eine Spritze aus der Pappschale, setzte den Konus an die Nadel, die in seinem Arm steckte, und drückte eine Flüssigkeit in seine Vene. Augenblicklich überfiel ihn schwere Müdigkeit, ohne jedoch das namenlose Entsetzen wegen der Großmutter zu mindern.

      »Versuchen Sie zu schlafen. Sie sind hier in guten Händen und Sie sollten jede Aufregung vermeiden.«

      Er kämpfte gegen den Schlaf an, der ihn überwältigen wollte, doch die Wirkung des Medikamentes war stärker. Ein verzweifeltes Schluchzen stieg in seine Kehle, gleichzeitig zog es ihm die Augen zu und es wurde erneut dunkel um ihn.

      *

      Katie Ward hatte den Bus nach Kinvarra genommen, einer kleinen Hafenstadt am südlichen Rand von Galway. Hier hatte Finn seit zwei Jahren als Pastor seine eigene Gemeinde. Nachdem sie ihn am Abend zuvor unzählige Male vergeblich versucht hatte zu erreichen und auch sein Handy ausgeschaltet war, hatte sie beschlossen, am anderen Tag mit dem ersten Bus zu ihm zu fahren. Es war eine Fahrt von anderthalb Stunden von Hillmoor Cross bis nach Kinvarra, weil die Linie unterwegs an unzähligen Ortschaften Station machte. Aber das musste sie auf sich nehmen, denn nun hatte sie genug von Finns Verhalten. Sie hatte ihn verkehrt eingeschätzt. Offensichtlich hatte er nicht die Absicht, sich bei ihr zu melden, und wenn er sich weigerte, ans Telefon zu gehen, würde sie eben persönlich bei ihm aufkreuzen. Sollten die Leute seiner kleinen ergebenen Gemeinde über ihr Erscheinen denken, was sie wollten. Sollte sich Finn später neugierigen Fragen stellen und ihnen eine Erklärung geben müssen, war es nicht ihre Schuld.

      Finn Brady bewohnte das Pfarrhaus, gleich neben der Kirche. Von der Bushaltestelle aus waren es zu Fuß nur ein paar Minuten. Katie warf ihren bunten Flickenbeutel über die Schulter und marschierte energisch los.

      Der kleine Vorgarten lag sauber und gepflegt in der diesigen Frühjahrssonne. Tulpen und Narzissen blühten in Büscheln auf dem kurzen Rasen, und neben der Haustür stand eine Bank für zwei Personen – Sitzfläche und Rückenlehne aus Holz, der Rest aus schwarzem Gusseisen. Obwohl es später Vormittag war, waren die dunkelroten, blickdichten Vorhänge hinter sämtlichen Fenstern zugezogen. Katie bekam ein flaues Gefühl im Bauch. Resolut drückte sie auf die Glocke neben der Haustür. Innen rührte sich nichts. Sie machte einen zweiten Versuch und hörte schlurfende Schritte den Gehweg entlang kommen, der direkt am Pfarrhausgarten vorbei führte. Eine magere alte Frau mit Kopftuch, die sich auf einen braunen Holzkrückstock stützte, blieb stehen.

      »Wenn Sie zum Pfarrer wollen, der ist verreist.« Ihre Stimme klang überraschend kräftig.

      »Verreist?« Katie glaubte, Sand auf der Zunge zu haben.

      »Ja. Aber wenn es wichtig ist – es vertritt ihn Pfarrer Callahan. Der wohnt aber nicht hier, sondern in Redstone. Sie müssen …«

      »Nein, nein«, unterbrach Katie die alte Frau. »Ich muss zu F… zu Pfarrer Brady. Wissen Sie, wo er hingefahren ist?«

      »Nein.« Abwartend sah die alte Frau sie an.

      »Wann kommt er denn wieder?« Ihr war heiß und kalt gleichzeitig. Dass er mit dem Jungen weggefahren war, hätte sie ihm niemals zugetraut.

      »Das weiß ich nicht so genau. Aber am 25. ist er auf jeden Fall wieder hier. Da heiratet nämlich meine Enkeltochter, und Pfarrer Brady nimmt die Trauung vor.« Die alte Frau klang jetzt stolz und hielt sich etwas aufrechter. Am 25. wollte er also wieder hier sein. Hastig rechnete sie im Kopf nach. Das waren noch sieben Tage. Sieben Tage, in denen er mit dem Jungen Urlaub machte, ohne ihr Bescheid zu sagen. Dumm war Finn wirklich nicht. Wenn er mit Sebastian irgendwohin fuhr, wo ihn keiner kannte, konnte er ganz offiziell Vater und Sohn spielen.

      »Was wollen Sie denn von ihm?«, fragte die Frau und musterte Katie neugierig. Katie wandte sich von der Haustür ab.

      »Nichts. Vielen Dank.«

      Sie wollte an ihr vorbei und überlegte, ob sie vom Gehweg runter und auf der Straße laufen sollte, weil ihr die Alte regungslos den Weg versperrte.

      »Ach, sagen Sie«, setzte Katie an, als sie direkt vor ihr stand. »Wissen Sie, ob er alleine fortgefahren ist?«

      Die Frau schürzte die Lippen.

      »Hier spioniert keiner dem anderen nach. Aber ich denke schon. Mit wem hätte er denn fahren sollen?«

      »Schon gut. Ich dachte nur.«

      Katie schob sich an ihr vorbei. Sie spürte den Blick der Alten im Rücken. Wäre sie nicht so wütend gewesen, hätte sie den Moment genossen. Vermutlich dachte die Alte, Katie wollte sich Finn an den Hals werfen. Aber das war vorbei. Die eine Nacht vor fünf Jahren, in der sie den Priesteranwärter erst zum Alkohol und dann zur Zweisamkeit verführt hatte, hing seither in Form ihres gemeinsamen Sohnes tagtäglich wie Ballast an ihr.

      Katie musste bis zum frühen Nachmittag warten, ehe ein Bus zurück nach Hillmoor Cross fuhr. Sie kaufte sich in einem Pub einen Milchkaffee und einen Schokoladendonut, und weil der Tag so frühlingshaft mild und sonnig war, lief sie anschließend Richtung Dungory Castle, einer Burg außerhalb von Kinvarra. Hier war sie als Kind einmal mit ihrem Vater gewesen, ehe ihn der Alkohol in seinen Sumpf gezogen hatte und ihn gleichgültig allem und jedem gegenüber machte, einschließlich seiner einzigen Tochter.

      Katie brauchte länger, als sie gedacht hatte, bis sie bei dem alten Gemäuer war, das sich kantig und längst nicht so mächtig, wie sie es in Erinnerung gehabt hatte, aus der einsamen Landschaft emporreckte. Die weitläufigen unebenen Wiesen, die sich seitlich und hinter der Burg erstreckten, waren von saftigem Grün; weiße und graue Steine und Felsbrocken lagen wie verstreut auf der Rasenfläche. Auf den flachen Ausläufern des Atlantiks vor Dungory Castle ließ sich gemächlich ein Schwanenpaar treiben. Katie hielt inne und blickte auf das in der Sonne glitzernde Wasser.

      Ihre Wut drohte zu verrauchen, und damit gewann ein nagender, hässlicher Gedanke Oberhand: Und wenn Finn den Jungen doch nicht hatte? Wo war er dann? Dann konnte doch tatsächlich nur etwas passiert sein. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Vielleicht hatte Maya recht und sie hätte zur Polizei gehen sollen. Katie kramte in ihrer Tasche nach den Zigaretten. Dass Finns Handy ausgeschaltet war, sprach dafür, dass er Sebastian hatte. Ansonsten ließ er es immer an, damit er erreichbar war, was Katie völlig überzogen fand. Denn was sollte schon sein? Gut, vor einem Jahr hatte sie einmal nachts mit ihm in die Klinik fahren müssen. Er hatte sie fürchterlich genervt und lautstark mit einem Papierflieger gespielt, trotz etlicher Ermahnungen, leiser zu sein und nicht so herumzutoben. Bis ihr die Hand ausgerutscht war. Dass er mit dem Kopf an die Tischkante geflogen war, hatte sie wirklich nicht gewollt, und dass die klaffende Wunde an der Schläfe mit einem Pflaster nicht richtig versorgt war, hatte sie nach zwei Stunden einsehen müssen, zumal Sebastian wegen des vielen Blutes